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Homofeindlichkeit und Rassismus Zugezogenes Paar in Brandenburger Dorf wehrt sich

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Die nennhausener Dorfkirche. (Quelle: Flickr / conticium /CC BY-ND 2.0)

Eigentlich könnte es so schön sein: Nennhausen ist eine brandenburgische Gemeinde mit knapp 1800 Einwohnern im Landkreis Havelland. 1304 wurde der Ort erstmalig urkundlich erwähnt. Von 1802 bis 1833 war Nennhausen Wohnsitz des romantischen Dichters Friedrich Baron de la Motte Fouqué, der das berühmte Märchen „Undine“ schrieb. Sehenswert ist das 1737 erbaute, unter Denkmalschutz stehende Schloss Nennhausen mit dem im englischen Stil angelegten Schlosspark sowie die Dorfkirche mit einem Wanddenkmal, Alabaster-Relief und einer Gruft mit geheimnisvoller Mumie.

Dieses verträumte Örtchen hat sich ein binationales, homosexuelles Paar als Wahlheimat ausgesucht. Doch statt die ländliche Idylle genießen zu können, sehen sich Osward Gust-Martínez und René Gust anhaltenden homofeindlichen und rassistischen Bedrohungen ausgesetzt. Im Ort wird vor allem seitens der Nachbarschaft versucht, sie aus dem Ort zu vertreiben. Dies wollen sie sich nicht gefallen lassen und wenden sich daher mit einem offenen Brief an die Bürgermeisterin von Nennhausen, Brigitte Noël. Den Brief und die darin enthaltenen Forderungen unterstützen wir als Verbündete von Betroffenen rechter, rassistischer, antisemitischer und queerfeindlicher Gewalt.

Offener Brief an Brigitte Noël, Bürgermeisterin von Nennhausen, 30. August 2023

Wir sind ein Paar, welches nach Nennhausen im Havelland gezogen ist. Sehr bald sahen wir uns homophoben und xenophoben Beleidigungen von einigen Personen ausgesetzt.

Die erste Beleidigung fiel auf einer Pullerparty [brandenburgisches Fest zur Geburt eines Kindes], wo wir herzlich eingeladen wurden. Aus heiterem Himmel sprach uns ein Mann an und verbot uns, dass wir als schwules Paar im Dorf Hand in Hand haltend spazieren gehen. In dieser Situation verteidigte uns ein Kind: „Was hast Du für ein Problem mit Schwulen? Mein Onkel ist schwul!“

Einige Monate später kamen wir mit dem Zug aus Berlin am Bahnhof in Nennhausen an. Wir gingen an einer Gruppe Jugendlicher vorbei, als zwischen uns und der Gruppe ca. 20 m waren, rief ein Junge: „Solche wie Euch hat’s in Nennhausen nie gegeben, ihr gehört nicht hierher!“ Nach einem kurzen Moment gingen wir auf die Jugendlichen zu und fragten, wer hier so feige solche Beleidigungen ruft. Wir sagten: „Wenn ihr Fragen an uns habt, dann könnt ihr sie gerne an uns richten, aber lasst diese Beleidigungen oder möchtet ihr beleidigt werden?“

Es gab seitens eines Mannes in der direkten Nachbarschaft wiederholt die indirekte xenophobe Frage: „Na, hast Du schon Arbeit gefunden?“ an meinen Mann, der damals noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hatte. An einem Frühsommerabend waren mein Mann und ich glücklich auf unserer Terrasse, als plötzlich ein Mann in der benachbarten Umgebung lauthals schrie: „Ihr schwulen Fotzen!“ Einige Wochen zuvor war derselbe Mann über den Zaun geklettert, um uns von oben herab erneut anzuschreien: „Ihr gehört hier nicht hin, verschwindet!“ Ein anderer Mann äußerte gegenüber meinem Mann eine Morddrohung.

Beide Männer stalken und belästigen uns seitdem bis heute immer wieder. Wir finden Müll auf unserem Grundstück, der Zaun wurde durchtrennt und Traktoren werden in unmittelbarer Nähe unseres Wohnhauses unnötig lange, bis zu einer Stunde, laufen gelassen. Während und nach dem Laufenlassen des Motors verspüren wir häufig ZNS-Symptome wie Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen.

Insgesamt sind seit April 2021 zehn Verfahren bei den Gerichten anhängig, nachdem wir bedroht, beleidigt und Sachbeschädigungen ausgesetzt waren. Zusätzlich wurden falsche Anschuldigungen gegen uns erhoben.

Die letzten homophoben und xenophoben Beleidigung waren der Anlass meines ersten Briefes vom 9.5.2023 an Sie, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin. Wir hatten die bis dato angefallenen Ereignisse in unserem Gespräch am 29.11.2022 gemeinsam erörtert. Sie sagten uns, dass Nennhausen kein Problem mit Ausländerfeindlichkeit oder Homophobie hat. Mit Verlaub, wir müssen Ihnen sagen, das entspricht nicht unseren Erfahrungen als binationales, schwules Paar, welches nun vier Jahre in Nennhausen wohnt. In alltäglichen Gesprächen mit Dorfbewohnern hören wir Ressentiments gegenüber Ausländern.

Nach der Ankündigung des geplanten Flüchtlingsheimbaus in Nennhausen in einer Gemeinderatssitzung in der Grundschule waren wir entsetzt über die offen geäußerten Hassbekundungen und Ängste seitens der Dorfbewohner. Besonders beunruhigend war die daraufhin entstandene Welle des Hasses, inklusive beleidigender Vergleiche zwischen Flüchtlingen und Vergewaltigern, als ein Mitarbeiter des Landkreis Havelland öffentlich erwähnte, dass die meisten Geflüchteten allein reisende Männer seien. Bedauerlicherweise fehlte von Ihrer Seite, Frau Bürgermeisterin, eine klärende Stellungnahme, die betont hätte, dass Flüchtlinge Menschen sind, die vor lebensbedrohlichen Situationen fliehen und Schutz suchen. Einige Gemeinderatsmitglieder haben sogar zu diesen Ängsten beigetragen und sie verstärkt, was zu verpassten Gelegenheiten zur Aufklärung und Beruhigung führte.

Nennhausen ist ein schönes Dorf! Es gibt viele liebe Menschen, die wir hier kennengelernt haben. Warum wir auch nicht wegziehen werden! Nennhausen ist aber eben auch ein brandenburgisches, strukturschwaches Dorf. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden im Osten Deutschlands bedauerlicherweise nicht alle Möglichkeiten optimal genutzt, was zu verpassten Gelegenheiten führte. Es gibt teilweise immer noch gedankliche Strukturen, die im totalitären System der DDR oder noch früher entstanden sind. Die Ereignisse in Burg verdeutlichen aus unserer Perspektive, wie problematisch es ist, unangenehme Angelegenheiten zu verschweigen. Es ist vielmehr ratsam, darüber zu sprechen.

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, während unseres Gesprächs haben Sie uns ein Angebot bezüglich dieser Angelegenheit gemacht. Da wir jedoch keine weiteren Informationen über Ihr Angebot erhalten haben, habe ich in meinen Briefen danach nachgefragt. Sie haben weder auf meinen Brief vom 9.5.2023, auf meine E-Mail vom 10.06.2023, noch auf mein Einschreiben vom 18.07.2023 reagiert. Es ist bedauerlich, dass ich bislang keine Rückmeldung von Ihnen erhalten habe, obwohl ich bereits seit über drei Monaten darauf warte. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, das Ausbleiben einer Antwort von Ihnen als Bürgermeisterin auf meine mit Mühe und Sorgfalt formulierten Briefe an Sie irritiert uns sehr. Über Ihre Beweggründe möchte ich nicht spekulieren, sondern einen konkreten Vorschlag unterbreiten: Aktuell geht von einer speziellen Person immer wieder homophobes und xenophobes Verhalten aus. Ich bitte um ein klärendes Gespräch mit dieser Person, mit der Bürgermeisterin und einer Mediator*in.

Ich bin im Nordosten der DDR aufgewachsen. Ich frage mich oft, warum einige Dinge so gelaufen sind, wie sie gelaufen sind. Trotz der Zweifel denke ich aber, ist es ein Geschenk in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu leben. Diese Grundordnung zu erhalten, ist Aufgabe eines jeden Menschen. Wir müssen jeden Tag unsere demokratische Grundordnung gegen Hass und Intoleranz verteidigen, damit wir und unsere Nachfahren weiter in Freiheit leben können.

„Die Freiheit des Denkens, verbunden mit einem Streben nach Wahrheit und Toleranz gegenüber Andersdenkenden, ist eines der Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft.“

Seit der Veröffentlichung des offenen Briefes sind 13 Tage vergangen. Belltower.News sprach mit den Betroffenen.

Belltower.News: Hat sich an der Situation seit der Veröffentlichung des Briefes etwas für Sie geändert? Sind Sie immer noch Anfeindungen ausgesetzt?

Verschiedene Menschen haben ihre Unterstützung ausgedrückt – aus Nennhausen und den benachbarten Dörfern in der Gemeinde, sowie Teilnehmer am CSD Brandenburg an der Havel und unsere Kollegen, und sie sind empört über unsere Situation. Gleichzeitig sind sie enttäuscht darüber, dass politische Entscheidungsträger schweigen. Leider haben wir auch unsensible Briefe von Dorfbewohnern erhalten, die die Queerfeindlichkeit in Nennhausen bestätigen. Dies geschieht, weil einige Menschen fälschlicherweise glauben, dass eine „Minderheit“ versuchen will, die „Mehrheit“ zu dominieren, und weil wir den Mut aufgebracht haben, anzusprechen, dass es immer noch gedankliche Strukturen gibt, die im totalitären System der DDR entstanden sind. Der Mann, der uns bis heute homofeindlich und rassistisch beleidigt, zeigte einem von uns am letzten Sonntag den Mittelfinger. Es gibt in Nennhausen offensichtlich Aufklärungsbedarf, was Menschenrechte angeht, und das ist die Aufgabe der Politik. Wir sind alle gleich.

Hat Bürgermeisterin Noël mittlerweile auf den Brief reagiert? Ist auf Ihren Vorschlag eingegangen worden, eines klärenden Gespräches mit der rassistisch und homofeindlich agierenden Person zu führen?

Einige Schritte wurden unternommen, um eine Diskussion in Gang zu setzen. Diese Situation ist nicht neu, und wir hoffen von Herzen, dass die Bürgermeisterin ein öffentliches Zeichen setzt, dass weder Homofeindlichkeit e noch Queerfeindlichkeit noch Rassismus in Nennhausen geduldet werden. Dies gilt insbesondere für die Personen, die versucht haben, uns durch Hass aus dem Dorf zu vertreiben. Es gibt hier viel zu tun und es ist notwendig, die Überreste alter, totalitärer Denkmuster aufzuarbeiten.

Haben die Gerichtsverfahren, die wegen der Vorfälle eingeleitet worden sind, bereits zu einem Urteil geführt?

Nein, wir sind äußerst enttäuscht von dem Rechtssystem. Wir fühlen uns im Stich gelassen. Wir warten seit fast drei Jahren darauf, dass die Staatsanwaltschaft endlich Anklage erhebt. Das ist ein Grund, warum die Täter in dieser Situation so ungestraft agieren und weitermachen: Sie haben angesichts des Versagens der Institutionen, die uns schützen sollten, das Gefühl, dass sie tun können, was sie wollen – ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Halten Sie immer noch daran fest, in Nennhausen zu bleiben?

Dies ist eine schwierige Frage. Viele unserer Freunde sind verzweifelt und drängen uns, sofort nach Berlin zurückzukehren. Unsere Familien machen sich Sorgen. Aber andererseits ist dieses Haus unser Zuhause. Wir haben so viel Liebe und Arbeit investiert, um es zu bauen, den Garten anzulegen und Obstbäume zu pflanzen. Hier hat unsere Hündin genügend Platz zum Spielen. Warum sollten ausgerechnet wir gehen? Warum sollten wir, die schrecklich beleidigt und bedroht wurden, unseren Traum vom Leben auf dem Land aufgeben, nur weil eine Gruppe von Menschen, die von Hass angetrieben werden, glaubt, sie könnten entscheiden, wer hier bleiben darf und wer nicht? Wer hier glücklich sein darf und wer nicht? Wenn das der Fall ist, dann haben wir als Gesellschaft versagt. Es kann nicht sein, dass Menschen, die anders sind – sei es queer, schwul, lesbisch, trans, intersexuell oder mit Migrationsgeschichte – kein glückliches Leben auf dem Land führen dürfen und immer in die Hauptstadt fliehen müssen, weil ihr Leben in Gefahr ist. Wo ist die Politik in dieser Angelegenheit?

Wir wünschen Ihnen viel Kraft und hoffen, dass die Situation für Sie zufriedenstellend und bald geklärt wird!

Foto: Flickr / conticium /CC BY-ND 2.0

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