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Hungerstreik Hoyerswerda „Ich bin nicht hergekommen, um herumzusitzen.“

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Hungerstreik ist ein radikales Mittel, mit dem Geflüchtete protestieren, um für ihre Rechte einzutreten. Hier im Bild ein Hungerstreik 2014 in München am Sendlinger Platz. (Quelle: Flick.com//CC//Sascha Arnhoff)

Interview und Übersetzung: Oliver Wobst

Herr Faour, warum sind Sie in Hoyerswerda?

Ich komme ursprünglich aus Hamah in Syrien. Dort arbeitete ich 13 Jahre als Redakteur, Cutter und Regisseur beim syrischen Fernsehen. Meine zwei Söhne, acht und fünf Jahre alt, sind immer noch in Syrien bei meiner Mutter. Meine Frau wurde von Regierungstruppen verhaftet und später ermordet, da sie ihren Bruder mit der Freien Syrischen Armee in Verbindung brachten. Auch ich wurde von Regierungstruppen fünf Mal verhaftet. Seit September 2014 bin ich in Deutschland. Zuerst war ich in München, nach einem Monat schickten sie mich nach Chemnitz, von wo aus ich nach Hoyerswerda kam.

Sie befinden sich seit mehreren Tagen im Hungerstreik. Was wollen Sie damit erreichen und warum haben Sie sich für diese Form des Protestes entschieden?

Ich warte bereits seit zwölf Monaten darauf, dass mein Asylantrag bearbeitet wird. Ich bin eigentlich nach Deutschland gekommen, um meine Kinder zu retten. Aber solange ich keinen Aufenthaltstitel habe und als Flüchtling anerkannt werde, können auch meine beiden Söhne nicht nach Deutschland kommen.

In Deutschland gibt es eine leistungsfähige Bürokratie – das scheint aber nicht für Asylanträge zu gelten. Ich habe Bekannte, die ihren Aufenthaltstitel viel schneller bekommen haben. Ich dagegen wurde erst nach neun Monaten in Deutschland zu einem ersten Gespräch eingeladen. So geht es auch anderen. Wir haben deshalb Briefe und Faxe an die Behörden geschickt, aber keine Antwort erhalten. Deshalb sind wir in den Hungerstreik getreten, denn wir sehen keine andere Möglichkeit mehr, auf unsere Situation aufmerksam zu machen. Wir wollen Gewissheit über unseren Status und dass unsere Anträge bearbeitet werden.

Ich möchte nichts Illegales tun oder die Behörden verärgern. Denn diese verhalten sich überwiegend sehr freundlich. Es gefällt mir nicht, in den Hungerstreik treten zu müssen und auch nicht, dass dieser Schritt notwendig ist. Aber ich bin nicht hergekommen, um herumzusitzen, zu essen, zu schlafen und zu trinken. Ich möchte für meine Familie und mich eine Zukunft aufbauen und dafür arbeiten. Nach wie vor denke ich, dass ich dafür einen der besten Orte gewählt habe.

Haben Sie Kontakte zu Geflüchteten aus anderen Städten?

Wir sind nicht mit anderen Geflüchteten oder Unterstützern vernetzt. Aber wir wären dankbar für Hilfe von anderen Gruppen oder der lokalen Bevölkerung.

Wie verhält sich die Heimleitung gegenüber Ihrem Protest und wie reagieren die anderen BewohnerInnen der Unterkunft in Hoyerswerda?

Die Heimleitung hat eine Liste mit unseren Namen an das zuständige Amt in Kamenz geschickt, welche von dort an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitergeleitet wurde. Davon abgesehen hat die Heimleitung nichts unternommen. Einige der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft sehen unseren Protest positiv, die meisten interessieren sich jedoch kaum dafür.

Welche Unterstützung gibt es von der Hoyerswerdaer Bevölkerung? Wie verhält sich die Lokalpolitik?

Nur eine Familie, die sich seit längerem freiwillig engagiert und uns z.B. in Deutsch unterrichtet, unterstützt uns bei unserem Streik. Sie kommen jeden Tag vorbei und bringen uns Wasser, schreiben mit uns Briefe und helfen bei Telefonaten. Sie sind wirklich eine große Unterstützung und wir vertrauen ihnen. Vor wenigen Minuten war eine weitere Familie hier und hat uns zwei Zelte überlassen, denn ab morgen soll es regnen. Für diese Hilfe sind wir sehr dankbar.

Aber abgesehen davon erhalten wir keine Unterstützung. Keiner der lokalen Politiker ist gekommen, nicht einmal um sich zu informieren, was hier vor sich geht.

Wie empfinden Sie den Alltag in Hoyerswerda? Fühlen Sie sich hier willkommen?

Ich kann nur für mich selbst sprechen, aber die Menschen, die ich hier getroffen habe, sind freundlich. Ein Anwohner hat uns sogar Fahrräder ausgeliehen und mit uns gemeinsam die Umgebung erkundet. Auch in der Kulturfabrik heißen die Leute uns willkommen und gelegentlich habe ich dort bereits am wöchentlichen „Drum Circle“ teilgenommen. Und einmal im Monat organisieren einige Anwohner ein großes Treffen für Asylsuchende und Einheimische um gemeinsam etwas zu unternehmen und sich kennenzulernen. Abgesehen von meinem ungewissen Aufenthaltsstatus, ist es okay hier.

Wie soll es weitergehen?

An erster Stelle hoffe ich, diesen Hungerstreik beenden zu können und meinen Aufenthaltstitel zu erhalten, damit ich auch meine Familie in Deutschland in Sicherheit bringen kann. Erst gestern sind wieder 150 Menschen in Hamah, der Stadt, in der ich vor der Flucht gelebt habe, getötet worden.

Ich möchte gerne arbeiten und meinen Kindern eine gute Bildung ermöglichen. Sie sprechen jetzt bereits viel besser Englisch als ich und außerdem sogar Französisch. Sie sollen eine bessere Zukunft haben als den Bürgerkrieg. Meine Kinder sind der Grund, warum ich lebe und auch der Grund für den Hungerstreik. Mein Wunsch für die Zukunft wäre Frieden: Frieden für Syrien genau wie für Deutschland und den Rest der Welt.

Mahdi Faour floh aus Syrien und wartet seit neun Monaten in Hoyerswerda auf einen Bescheid seiner Situation. Derzeit wird fast allen Geflüchteten aus Syrien Asyl gewährt. Trotzdem dauern die Verfahren lange. (Quelle: Mahdi Faour)

Mehr Informationen

Laut Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dauert die Bearbeitung von Asylanträgen in Sachsen im Schnitt 5,4 Monate. Die Freie Presse aus Chemnitz berichtete, dass von den 11.500 Asylanträgen, welche im ersten Halbjahr 2015 in Sachsen gestellt wurden, nur 4.100 bearbeitete worden seien. Das sind nur gut ein Drittel der Anträge – langsamer sind lediglich Berlin und Thüringen. Die Deutsche Presseagentur dpa meldete, dass sich bis Ende Juni 2015 in Deutschland 240.000 unbearbeitete Asylanträge angestaut hätten, das seien so viele wie in allen anderen EU-Ländern zusammen und das Problem ist nicht neu: bereits seit 2008 wachse die Zahl der unbearbeiteten Anträge.

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