Die Debatte um die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ (IB) reißt nicht ab. Inwieweit inspirierte sie den Rechtsterroristen von Neuseeland? Wie weit reichen die Kontakte von österreichischen Aktivisten zum Attentäter und zu Neonazis aus Australien?
Ende März 2019 wurde im Rahmen einer Hausdurchsuchung bekannt, dass der Rechtsterrorist Brenton Tarrant, der am 15. März 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen muslimischen Glaubens ermordete, bereits im Januar 2018 eine Geldspende über 1.500 Euro an den österreichischen IB-Chef Martin Sellner geleistet hat (BTN, Standard). Diese Nachricht führte zu einem politischen Erdbeben in Österreich und zu Ermittlungen sowohl gegen Sellner persönlich als auch gegen die aus diversen Vereinen bestehende „Identitäre Bewegung Österreich“ (IBÖ), der nun womöglich die Auflösung droht.
Neue Erkenntnisse aus geleakten Quellen
Verschob sich der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zuletzt auf die Auswirkungen dieser Affäre auf die österreichische Regierung, rücken nun neue Erkenntnisse wieder die Frage nach möglichen Kontakten der „Identitären“ zum Rechtsterroristen von Christchurch in den Mittelpunkt der Debatte. Diese neuen Erkenntnisse stammen aus geleakten Quellen, die deutschen und österreichischen Medien vorliegen und am 14. Mai 2019 vom ORF veröffentlicht wurden. Sie geben u. a. darüber Aufschluss, dass auf die Spende des Australiers Brenton Tarrant an den Wiener Martin Sellner eine E-Mail-Korrespondenz folgte, die inhaltsreicher war, als Letzterer es bisher zugegeben hat.
Die neuen Informationen untermauern nicht die im Raum stehenden Terrorismusvorwürfe gegen Sellner oder die IBÖ. Dafür werfen sie aber ein bezeichnendes Licht auf die Frage, wen Sellner eigentlich als Teil seines internationalen Netzwerks „patriotischer“ Kräfte betrachtet; denn offensichtlich gehören dazu auch überzeugte Neonazis, die hierzulande völlig unbekannt sind, da sie am anderen Ende der Welt, nämlich in Tarrants Heimat Australien, leben. Auf diese Personen. Auf den geleakten Inhalt der E-Mails und besonders auf die dort erwähnten Personen soll hier ein näherer Blick geworfen werden.
Mehr als Höflichkeitserweise – aufrichtiges Interesse und ehrliche Sympathie
Nach Sellners Aussage, die er auch zuletzt immer wieder bekräftigt hat, bestand der E-Mail-Verkehr zwischen ihm und dem späteren Attentäter von Christchurch aus einem floskelhaften Austausch von Nettigkeiten, beginnend mit einer obligatorischen Dankes-E-Mail und endend mit einem freundlichen Verweis auf seine englischsprachigen Propagandavideos auf YouTube. Wie man nun aber weiß, sind die insgesamt fünf E-Mails aus dem Januar 2018 – auf die Monate später noch eine automatisierte E-Mail an einen Verteiler folgen sollte – tatsächlich mehr als reine Höflichkeitserweise, als die der IBÖ-Chef sie stets dargestellt hat. Sie zeugen von einem aufrichtigen Interesse Sellners an der extremen Rechten in Tarrants Heimat Australien und von einer ehrlichen Sympathie zwischen den beiden Rassisten, die sich jeweils auf ihre Weise als Akteure in einem Kampf um die Bewahrung der weißen und christlichen „Identität“ verstehen.
Der Austausch per E-Mail beginnt am 6. Januar 2018 mit einem Dankesschreiben, in dem sich der österreichische IB-Kader begeistert für die „unglaubliche Spende“ bedankt und seinen australischen Gönner wissen lässt, dass er ihn „jederzeit“ über diese E-Mail-Adresse kontaktieren dürfe. In seinem darauffolgenden Antwortschreiben spricht Tarrant gegenüber Sellner Worte der Bewunderung aus: Seine Spende sei nur „ein kleiner Betrag im Vergleich zu der vielen Arbeit, die du leistest.“ Dem späteren Terroristen, der zu diesem Zeitpunkt laut eigener Aussage in seinem Manifest bereits radikalisiert war, ist offensichtlich daran gelegen, Sellner in seinem Tun zu bestärken: „Du wirst von Menschen auf der ganzen Welt unterstützt“, und: „Es ist noch ein langer Weg bis zum Sieg, aber jeden Tag werden unsere Leute stärker.“
Diese Worte verfehlen offenbar nicht ihre Wirkung: Sellner schreibt zurück, dass sie ihm „wirklich Energie und Motivation“ für seinen fragwürdigen politischen Aktivismus gäben, angesichts der Repressalien, denen er angeblich ausgesetzt sei. Er spricht eine Einladung „auf einen Kaffee oder ein Bier“ aus, für den Fall, dass Tarrant einmal nach Wien kommen sollte. (Auf Anfrage von WDR/NDR will Sellner diese Worte, warum auch immer, nicht als Einladung verstanden wissen.) Tarrant wiederum bietet Sellner für den umgekehrten Fall sogar an, ihm Unterkunft zu gewähren – sowohl in Australien als auch in Neuseeland gebe es Menschen, die den in rechtsextremen Kreisen mittlerweile auch international bekannten Sellner „gerne in ihrem Haus aufnehmen würden“ (ORF, Standard, Tagesschau).
Verweis auf dezidierten Hitler-Verehrer Blair Cottrell
In diesem Zusammenhang wird der bisher unbekannte Inhalt der E-Mail-Korrespondenz interessant. Tarrant nennt Sellner zwei Neofaschisten, die zu den führenden Köpfen der extremen Rechten in Australien gehören: Blair Cottrell und Tom Sewell. Beide wurden bekannt als Führungskader der seit 2015 bestehenden, mittlerweile aber aufgelösten „United Patriots Front“ (UPF), einer politischen Bewegung mit einer dezidiert muslimfeindlichen Stoßrichtung. Sie entstand überraschend schnell aus den sozialen Medien heraus als Abspaltung einer heterogenen Pegida-ähnlichen Bewegung („Reclaim Australia“), die ihrerseits erst kurz zuvor aufgekommen war. Innerhalb eines halben Jahres wurde die UPF zu einer der größten islamfeindlichen Gruppierungen und Blair Cottrell als ihr führender Kopf zu einem der profiliertesten Rechtsextremen Australiens (ABC News, ABC News, Wikipedia).
Gleichwohl die „United Patriots Front“ bekennende Neonazis in Massen anzog, betonten ihre Kader stets, wie es auch die der „Identitären Bewegung“ zu tun pflegen, nicht aus rassistischen, sondern lediglich aus „islamkritischen“ Motiven zu handeln – eine durchsichtige Schutzbehauptung, die am vielfach vorbestraften Blair Cottrell am deutlichsten bricht. Er hat eine einschlägige Neonazi-Vergangenheit und ist ein bekannter Adolf Hitler-Verehrer: 2013 forderte er auf Facebook, man möge in allen australischen Schulen Porträts von Adolf Hitler aufhängen und dessen Machwerk „Mein Kampf“ zur schulischen Pflichtlektüre machen. Diese offene Wertschätzung faschistischer Menschenverachtung zieht sich regelmäßig durch seine Kommentare in den sozialen Medien, in denen er u. a. Antisemitismus, Sozialdarwinismus und primitivster Frauenverachtung das Wort redet (The Sydney Morning Herald).
Eine australische „Identitäre Bewegung“?
Seit seiner UPF-Zeit fährt Blair Cottrell allerdings einen IB-ähnlichen aktivistisch und „metapolitisch“ orientierten Kurs. So sorgte er im Oktober 2015 für Aufsehen, als er im südostaustralischen Bendigo gemeinsam mit anderen Kadern der UPF öffentlich einer Puppe den Kopf abschnitt, um gegen einen Moscheebau zu protestieren. Der mit der Puppe dargestellte Muslim solle „seine eigene Kultur“ zu spüren bekommen, kommentierte er damals, bevor unter simulierten „Alahu Akbar“-Rufen Kunstblut aus dem Puppenhals strömte (ABC News, Tagesschau,). Es ist eine Aktionsform, die stark an die „Identitären“ erinnert. Die haben nur zwei Monate später eine ganz ähnliche Aktion in Wien durchgeführt, mit der sie eine „IS-Enthauptung“ simulierten, um gegen den angeblichen „Import von Dschihadisten“ zu protestieren (OE24).
Ähnlich wie die „Identitären“ vermeidet Cottrell den Begriff „Rasse“ und spricht lieber von „Nationalität“ oder „Kultur“, die es um jeden Preis zu verteidigen gelte – ansonsten verdiene man es, von „anderen Mächten“ erobert zu werden, wie er in einem 2015 auf Facebook veröffentlichten Video seinen Fans erklärte. Dort wetterte er ungefähr zur selben Zeit mit dem Gestus eines Universitätsdozenten gegen die „egalitaristische Propaganda“, die dem modernen (männlichen) Menschen den „natürlichen Instinkt zur Arterhaltung“ austreiben würde (The Sydney Morning Herald) – womit er nationalsozialistische Propaganda aus Hitlers „Mein Kampf“ wiedergab, aber auch „identitäre“ Rhetorik anklingen lässt, in der wahlweise gegen die „egalitaristischen“, „liberalistischen“ oder „globalistischen Eliten“ gehetzt wird, weil diese die Frechheit hätten, jedem Menschen dieselben Grundrechte zuzugestehen.
Unveränderte Neonazi-Überzeugung
Hitlers „Mein Kampf“ gehört auch weiterhin zu Cottrells Grundlagenlektüre. Es ist neben anderen Büchern in einem Posting auf seiner Facebookseite vom Oktober 2017 abgebildet, mit dem er seine Fans im Sinne einer einschlägigen politischen Weiterbildung zum Lesen faschistischer Literatur animieren möchte. Es ist auf dem Foto allerdings so arrangiert, dass es nicht ohne weiteres erkennbar ist, was natürlich kein Zufall ist. (Ein anderes dort abgebildetes Buch ist ein Titel des britischen Faschisten Oswald Mosley, den Brenton Tarrant in seinem Manifest als wichtigste Inspirationsquelle nennt.) Wenig überraschend also, dass Cottrell gemeinsam mit seinem engen Freund und politischen Weggefährten Tom Sewell am 20. April 2017 – möglicherweise nicht zum ersten Mal – den Geburtstag Adolf Hitlers gefeiert hat. Das geht aus einem auf den Folgetag datierten Facebook-Posting von Sewell hervor, in dem er seinen Fans „Happy 420“ wünscht (420 steht hier für den 20.4.). Wohl gemerkt: Bereits 2015 hatte Cottrell sich offiziell vom Neonazismus distanziert…
Tatsächlich ist Brial Cottrell, der vielen rechtsextremen Australier*innen als Anführer des „weißen Widerstandes“ gilt, derselbe überzeugte Neonazi wie noch vor einigen Jahren – bevor er 2015 auf den Zug der grassierenden Islamfeindlichkeit aufgesprungen ist, mit dem überall in der westlichen Welt rassistische Ressentiments kanalisiert werden. Er ist ein besonders eindrückliches Beispiel dafür, dass mit einer Pseudointellektualisierung à la IB bzw. „neue Rechte“ keine Distanzierung von faschistoiden Weltbildern einhergeht. Der Vorreiter dieser Strategie auf breiter Front ist die IB in West- und Mitteleuropa, an deren Aufbau Martin Sellner maßgeblich beteiligt war.
Ein von Martin Sellner geschätztes rechtsextremes Netzwerk
Der australische Rechtsterrorist Brenton Tarrant war ein erklärter Fan von Brial Cottrell und unterstützte ihn 2016/2017 mit zahlreichen Jubel- und Hasskommentaren im Internet. In Cottrells UPF sah er damals den Garanten „einer Heimat für mein Volk und meine Kultur“, weshalb er auch nicht davor zurückschreckte, ihren Kritiker*innen sogar Todesdrohungen zu schicken (ABC News, ABC News). Es ist also nicht verwunderlich, dass er mit Martin Sellner, der in Österreich eine ähnliche Stellung einnimmt wie Cottrell in Australien, über eben diesen plaudern wollte. Aus Sellners Antwort geht hervor, dass er Cottrell gut kennt und zu schätzen weiß, was er tut: Er drückt seine Bewunderung für „Blairs“ politische Arbeit aus, die er mit Interesse verfolge, und weist darauf hin, dass seine Verlobte Brittany Pettibone, ihres Zeichens selbst eine bekannte Bloggerin und Aktivistin der rechtsextremen Alt-Right-Szene in den USA, ihn sogar bereits interviewt habe. Er zeigt sich abschließend begeistert darüber, dass „unsere Bewegungen in Zeiten der Gefahr so geschlossen“ zusammenstünden (Tagesschau, DiePresse).
Das sind äußerst interessante Worte: Sie machen klar, dass Sellner einen überzeugten Neonazi der übelsten Sorte, der seine Gesinnung nur leidlich versteckt, seinen internationalen „identitär“-patriotischen Netzwerken zurechnet, an deren Etablierung gerade in der englischsprachigen Welt er großes Interesse hat. Wie eng diese internationalen Netzwerke geknüpft sind, wird an einem interessanten Detail deutlich. Eine Freundin und politische Weggefährtin von Sellners Verlobten ist die kanadische Autorin und Filmemacherin Lauren Southern, die sich bereits 2017 an Aktionen der „Identitären“ in Europa beteiligt hat und 2018 im Rahmen einer Art Lesereise in Australien zu Besuch war. Ihre „Security“ bestand dabei ausgerechnet u. a. aus den neonazistischen Bodybuildern Brial Cotrell und Tom Sewell, was natürlich kein Zufall ist.
Rechtsextreme Fight-Clubs für Neonais
Tatsächlich haben die beiden Weggefährten Cottrell und Sewell, als sich 2017 das Ende der „United Patriots Front“ ankündigte, die sogenannte „Lads Society“ gegründet, die sich der international bekannten IB-nahen Aktivistin Lauren Southern geschlossen als Personenschutz angeboten haben. Diese bizarre Gruppierung nimmt nur weiße Männer in ihren Reihen auf, die sämtlichen hypomaskulinistischen Stereotypen entsprechen und der rassistischen Überzeugung sind, weiße Menschen seien unmittelbar von einem Genozid bedroht. Sie treffen sich regelmäßig im Stil eines Fight-Clubs zum Kraft- und Kampsport, wo mit harten Bandagen gekämpft wird
Es ist ein extrem gewaltaffiner Haufen extrem rechter und extrem breit gebauter Faschisten, die aus ihrer rassistischen „White Supremacy“-Haltung keinen Hehl machen – was auch daran liegen mag, dass viele Mitglieder der „Lads Society“ gleichzeitig auch Mitglied der offen neonazistischen Gruppierung noch wenig bekannten „Antipodean Resistance“ sind. Die verkündet auf ihrer Website, dass sie „die Welt als das sehen, was sie ist: sehr krank“ und sehen in „Juden und globalistischen Eliten“ ihre eigentlichen Gegner (womit sie deutlich aussprechen, was „identitäre“ Ideologen wie Martin Sellner nicht auszusprechen wagen) (news.com.au, news.com.au, slackbastard).
Drohungen an die Allgemeinheit: Noch(!) sei Gewalt nicht nötig.
Vor gerade mal zwei Wochen hat Tom Sewell, aktueller Chef der „Lads Society“, in einem Interview mit der australischen Zeitung „The Sydney Morning Herald“ davon berichtet, wie er 2017 versuchte, niemand geringeren als Brenton Tarrant persönlich für die „Lads Society“ anzuwerben. Dieser habe damals abgelehnt, offensichtlich weil er zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem Terroranschlag entschlossen war (BTN). Sewell äußert in diesem Interview Verständnis für den Rechtsterroristen und betont Gemeinsamkeiten zwischen diesem und der „Lads Society“:
„Der Unterschied zwischen meiner Organisation, mir selbst und ihm [Tarrant], ist lediglich, dass wir, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, glauben, dass uns noch friedfertige Wege zur Verfügung stehen, die Gesellschaft zu schaffen, in der wir leben wollen.“
Er spricht eine implizite Drohung an die australische Allgemeinheit aus und betont, dass sich das ändern kann. Dann könne er für nichts garantieren, es sei „verdammt offensichtlich, was dann passieren wird.“
Sind das die internationalen rechtsextremen Netzwerke, nach denen die österreichischen Behörden momentan unter Hochdruck fahnden? Und die Martin Sellner nicht publik gemacht sehen möchte? Hat er womöglich E-Mails gelöscht, aus denen ein engerer Kontakt mit diesen offen gewaltbereiten australischen Neonazis hervorgeht? Wir werden es hoffentlich bald erfahren.