Riesa, ein Mittwochnachmittag Ende April 2005, feierliche Eröffnung des Wahlkreisbüros. Auf dem Parkplatz neben der Verlagshalle schwanken ein paar Sonnenschirme im Wind. Ein Stapel Bauholz ist mit einem Transparent „Aufbruch für Sachsen“ verhängt. Die aufgestellten NPD-Fahnen sind von Regen durchnässt. Zehntausend Handzettel hat die Partei in Riesa verteilt.
Das Büro im Erdgeschoss ist klein und etwas dunkel. In nagelneuen Regalen liegen Faltblätter der Fraktion, es gibt ein Fax, einen Computer. Die Räume nebenan sind mit Doppelstockbetten voll gestellt, hier bringt der Verlag die freiwilligen Helfer unter, die zu Wahlkampfeinsätzen oft von weither anreisen. Eine Treppe höher ist ein Versammlungsraum rustikal mit Holzpaneleelen ausgeschlagen, an den Wänden Zeichnungen von schneidigen Wehrmachtsoldaten und die Wappen der deutschen Länder inklusive Pommern, Schlesien, Siebenbürgen und Donauschwaben. Auf einem Balken über dem Biertresen liegt ein Stahlhelm, im Regal am Fenster wacht eine martialische Odinfigur aus Gussmetall.
„Liebe Freunde der nationalen Sache“, begrüßt der Hausherr, Jürgen Gansel MdL, die Gäste. Er vermerkt freudig, dass auch ein Bürger gekommen ist, den er vorher noch nicht kannte. Knapp zwanzig Leute sind im Raum, fast alle NPD-Funktionäre, nur eine Frau ist unter ihnen, Gansels Sekretärin.
Nach ihm redet Fraktionschef Apfel. „Diese Eröffnung ist ein weiterer Meilenstein zur Verankerung unserer Partei im Lande“, sagt er. Eine knappe Stunde lang breitet er dann vor seinen Parteifreunden die Bilanz der Landtagsarbeit aus. Er prahlt wieder mit seinem Fernsehauftritt vom Wahlabend, echauffiert sich über eine junge PDS-Abgeordnete, beleidigt den Alterspräsidenten des Landtages, geißelt den „krankhaftem Nationalmasochismus“ der Deutschen. Er hat ein dankbares Publikum, es applaudiert exakt an den Stellen, an denen Apfel seine Stimme hebt.
35 Jahre ist Holger Apfel alt, und er hat es bereits weit gebracht in der Partei. Als Schüler ? seine Eltern sind Vertriebene ? machte er beim NPD-nahen Studentenbund Schlesien mit. Eine Schulung für Nachwuchskader der Partei hat er als Lehrgangsbester abgeschlossen. Schulungsleiter war damals der heutige NPD-Chef Udo Voigt, seit dieser Begegnung fördert er Apfel. Der übernahm bald den Kreisverband seiner Heimatstadt Hildesheim, wurde Chef der niedersächsischen JN, rückte in den Landesvorstand der NPD auf, 1994 in die Bundesspitze. Seinen Job als Verlagsangestellter gab er 1996 auf, um sich ganz „der nationalen Sache“ zu widmen. Er wurde Chefredakteur und Verlagsleiter der Deutschen Stimme, Bundesorganisationsleiter, Wahlkampfmanager der Partei.
Alle, die ihn kennen, auch seine innerparteilichen Gegner, erkennen Apfels Fleiß und Disziplin an. Jan Zobel, Ex-JN-Chef von Hamburg und mittlerweile aus der Partei ausgetreten, beschreibt ihn als jemanden, der nachts um drei Uhr hellwach am Schreibtisch sitzt und Faxe in alle Welt verschickt. Nie habe er ihn Alkohol trinken sehen. In seinem gerade veröffentlichten Aussteiger-Buch schildert Zobel, wie er Apfel vor ein paar Jahren in Hildesheim besuchte: „Sein Kinderzimmer ist sein Parteibüro. Es hängt voller Plakate. Im Bücherregal stehen Publikationen der NPD und Alben. In denen hat Holger Aufkleber der Partei und der JN gesammelt. Er zeigt sie mir mit sichtlichem Stolz. Es gibt im Raum nichts Persönliches, was auf ihn verweist. Vielleicht fällt es ihm auch deshalb so leicht, in den folgenden Jahren wiederholt den Wohnsitz zu wechseln.“ Apfel ging immer dorthin, wo die Partei ihn brauchte, erst nach Bayern, dann nach Sachsen.
Fünf Jahre lang (1994-1999) und damit länger als alle seine Vorgänger war Holger Apfel Chef der Jungen Nationaldemokraten. Er profilierte sich als Radikaler, machte den kriselnden Jugendverband wieder flott, dessen Mitgliedern empfahl er als Vorbild „einzig und allein“ die Wehrmacht und Waffen-SS. Gleichzeitig forderte er ein zivilisiertes und diszipliniertes Äußeres: „Wir wollen bei der Bevölkerung um Vertrauen für eine bessere Politik werben, dazu gehört zunächst einmal sauberes und korrektes Auftreten“, mahnte Apfel in einem sogenannten Führungsrundschreiben. „Auch gilt striktes Alkoholverbot während unserer Aktionen!“
In der JN-Zeitschrift Einheit und Kampf führte Apfel 1996 aus: „Ich glaube durchaus, dass sich bald die Gelegenheit ergeben wird, unsere politischen Überzeugungen anzuwenden. Die Geschichte lehrt, dass in revolutionären Phasen jeweils die Kräfte den Neubeginn bestimmen, die den alten Vorstellungen am radikalsten entgegengetreten sind. In unserem Fall heißt dies antikapitalistisch, national, revolutionär. Unsere Grundsätze werden aber erst dann Anwendung finden, wenn wir es geschafft haben, zum Zeitpunkt des Untergangs des BRD-Systems eine umfassend geschulte und gut organisierte Gemeinschaft herangebildet zu haben, die am Tag X in der Lage ist, die suchende und erwartungsvolle Bevölkerung in unserem Sinne zu führen.“
Diese sozialrevolutionäre Rhetorik wurde später auch von der Gesamtpartei übernommen. Apfel hat den Kurs vorbereitet, den Udo Voigt später als Vorsitzender einschlug. Apfel reiste schon 1993 als Redner zum Rudolf-Hess-Gedenkmarsch; er knüpfte bereits Kontakte zu militanten Neonazis und jungen Skinheads, als die Mutterpartei sich noch klar abgrenzte. Auf Fotos von damals ist ein dicklicher Junge im Ringelpullover zu sehen, der wie jemand wirkt, der früher auf dem Schulhof immer von allen gehänselt wurde. Hier aber lauschten Hunderte seinen Reden, auch wenn er lispelte.
Die Partei hat Apfel groß gemacht, und ihm ist anzusehen, dass er noch größer werden möchte. „Unter vier Augen gesteht er mir, dass er mal Vorsitzender der NPD werden würde“, erinnert sich Aussteiger Zobel. „Nicht etwa, dass er es wolle, sondern: dass er es werde.“ Schon heute kommt niemand in der NPD an Apfel vorbei. Als Chef des DS-Verlages und der Landtagsfraktion gebietet er über gut dreimal so viel Personal wie der Parteivorsitzende und hat erheblich mehr Geld zu verteilen als Voigt. Dresden ist das Zentrum der Partei geworden, und Apfel sitzt an der entscheidenden Position.
Seine Fraktion werde „intelligente nationale Fundamentalopposition“ betreiben, hatte Apfel kurz nach Wahl angekündigt. Vor allem in den Kleinen Anfragen der NPD zeigt sich, was damit gemeint war. Nur wenige beschäftigen sich mit typisch rechtsextremistischen Themen, der Zahl von Ausländern in Sachsen etwa. Eher die Ausnahme sind auch Anfragen, die offenbar Informationen für die Arbeit der Kreisverbände erbringen sollen ? etwa die Anforderung einer Liste aller Gräber und Denkmale aus dem Ersten Weltkrieg mit detaillierten Angaben, welche „nicht betreut und gepflegt“ werden. Viel öfter geht es um Wanderwege, Kinderarmut und Katastrophenschutz, um die Schulnetzplanung des Kultusministeriums, die staatliche Lebensmittelüberwachung, den Zustand der Kommunalfinanzen. Die NPD wollte wissen, ob und wie viel Geld sich durch den Einsatz von „Open Source Software“ in der Landesverwaltung sparen ließe. Was die Staatsregierung angesichts von „Straßenschäden auf der A 14 Plauen-Chemnitz zwischen Autobahnkilometer 75 und 85“ zu tun gedenke. Ob sie einen Zusammenhang sehe zwischen Uranabbau in der DDR und heutigen Krebserkrankungen.
Die Partei sucht sich Themen, für die sie in der Bevölkerung Interesse vermutet, und macht sie sich als Fragen zu eigen. Als Quelle dienen die Medien, die Berichte des Landesrechnungshofes oder Bürgerhinweise. Der Vorteil von Kleinen Anfragen ist, dass sie wenig Aufwand erfordern und keine konkreten Folgen haben. Sie seien geeignet, so Apfels Worte, um sich „wie in einem Schaufenster dem sächsischen Wähler zu präsentieren“. Bei der Zahl der Anfragen liegt die NPD nach dem ersten halben Jahr im Landtag nicht weit hinter der CDU-Fraktion, obwohl diese fast fünfmal so groß ist.
Auch die Anträge der NPD sind aufschlussreich: Einmal forderte sie die Landesregierung auf, den Abriss eines alten Funkturmes auf einem Berg nahe Oschatz zu stoppen. Das klang skurril, griff aber ein in der betroffenen Region viel diskutiertes Thema auf. Wie schon in den sechziger Jahren nimmt sich die NPD heute in Sachsen wieder der Sorgen der Bauern (dem „Nährstand“ des Volkes) und Ausrüstungsdefiziten bei der Polizei an. Sie erhebt populäre soziale Forderungen, von denen so manche auch die PDS vertritt. Aber bei der NPD basieren sie auf einem völkischen Gesellschaftskonzept. Apfel und Kameraden sind gegen jede Schließung von Schulen, weil sie „Pflanzstätten“ der „nationalen Identität“ seien. Sie fordern eine „aktive Bevölkerungspolitik“ und eine Verdreifachung des Landeserziehungsgeldes, um der „genosuizidalen“ Entwicklung entgegenzuwirken.
In einer langen Rede auf dem NPD-Bundesparteitag im Herbst 2004 hatte Apfel umrissen, wie sich nationalistische Ideologie in konkrete Politik umsetzen lässt: Das Konzept einer „raumorientierten Volkswirtschaft“ bedeute eine gezielte Mittelstandsförderung statt der Ansiedlung von Großinvestoren. Aus demselben Grund werde man sich für die Stärkung der regionalen Sparkassen einsetzen. Deutsche Betriebe, so Apfel, könnten durch eine Änderung der Vergabepraxis von öffentlichen Aufträgen gestärkt werden. In der Bildungspolitik müsse man „verausländerte Klassen“ kritisieren und ein „zu frühes“ Erlernen von Fremdsprachen. Die NPD werde sich um den Umweltschutz kümmern, denn der sei ja „Heimatschutz“. Dass die Tierschutzpartei bei der Sächsischen Landtagswahl 1,6 Prozent der Stimmen bekam, will Apfel ebenfalls ausnutzen. „Unsere Aufgabe muss sein, diese Partei überflüssig zu machen!“
Auszug aus: Moderne Nazis. Die neue Rechte und der Aufstieg der NPD, Köln 2005
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Kiepenheuer&Witsch