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Interview Berlin zeigt CURAge gegen Geflüchtetenfeindlichkeit

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(Quelle: picture alliance / Jochen Eckel | Jochen Eckel)

In Berlin treffen Welten aufeinander: Während manche Freiheit und Selbstentfaltung genießen, werden andere in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt. Geflüchtete können weder Wohnort noch Umfeld frei wählen und erleben stattdessen oft Gewalt und Ausgrenzung. Das Versprechen eines freien, weltoffenen Berlins bleibt für sie häufig unerfüllt. Die neue Kampagne #BerlinZeigtCURAge macht auf Geflüchtetenfeindlichkeit im Alltag aufmerksam.

Belltower.News: Der Opferfonds CURA beschäftigt sich mit Hassgewalt gegen unterschiedlichste Betroffenengruppen. Was ist das Thema der diesjährigen Kampagne #BerlinZeigtCURAge?
Léa Rei: Dieses Jahr findet die Kampagne zum Thema geflüchtetenfeindliche Gewalt statt. In den letzten Jahren standen die Wahlen und trans*feindliche Gewalt im Vordergrund. Wir haben uns für diesen Schwerpunkt entschieden, da es eine Gewaltform ist, die oft sehr unsichtbar für die nicht betroffene Mehrheitsgesellschaft ist. Im Kontext der vergangenen Landtagswahlen und der bevorstehenden Bundestagswahl hat das Thema aber auch eine ganz andere Brisanz, weil durch die teilweise sehr rechten, rassistischen Diskurse diese Form der Gewalt immer wieder angeheizt wird.

Was macht die Hasskriminalität gegen Geflüchtete besonders schwerwiegend und prekär?
Diese spezielle Form des Rassismus ist dadurch gekennzeichnet, dass es für Geflüchtete – vor allem, wenn sie sich noch im Asylverfahren befinden – sehr schwer ist, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen wird es oft als Gefahr für ihr Asylverfahren gesehen. Das kann stimmen, muss aber nicht unbedingt. Wenn es allerdings zu einer Gegenanzeige kommt, kann das Verzögerungen des Verfahrens zur Folge haben.     Zum anderen gibt es auch große Sorgen gegenüber der Polizei und Justizbehörden insgesamt.

+++ Hier geht es zur neuen Kampagne #BerlinZeigtCURAge +++

Außerdem haben Geflüchtete oft nicht ausreichend Zugang zu Hilfs- und Unterstützungsstrukturen. Auch die sprachliche Barriere kann ein Grund sein, weshalb sich Betroffene keine Hilfe suchen. Und ansonsten ist es so, dass sie einfach andere Sorgen haben: Sie sind oft in einem wirklich problematischen Asylverfahren, in schwierigen Unterbringungssituationen, finanziell sehr prekär aufgestellt und auch häufig mit traumatischen Erfahrungen konfrontiert. Da ist es nicht die oberste Priorität, das, was ihnen jetzt hier gerade auf der Straße angetan wurde, weiterzuverfolgen. Wenn man sich dagegen wehren möchte, braucht es sehr viele eigene Ressourcen, Kraft und Stärke.

Gewalt gegen Geflüchtete wird gesellschaftlich zudem meist einfach toleriert. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass man Unterstützung von außen bekommt. Geflüchtete haben einfach keine gute Lobby. Das ist bei vielen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder Hasskriminalität so.

Welches Ziel hat die Kampagne?
Die Zielgruppe der Kampagne ist die nicht betroffene Öffentlichkeit. Sie richtet sich an Menschen, die die Menschenrechte und -würde aller anerkennen, aber vielleicht nicht genau wissen, was die Lebenssituation von Betroffenen hier in Berlin ist.

Das Ziel ist also, diese Gruppe darauf aufmerksam zu machen und klarzumachen, was das bedeutet. Berlin wird ja oft als sehr offene und liberale Stadt wahrgenommen – was sie auch in vielerlei Hinsicht ist – aber eben nicht für alle und nicht immer. Neben der Aufmerksamkeit, die wir schaffen wollen, wünschen wir uns natürlich auch, dass Menschen aktiv werden. Das kann durch eigenes Engagement oder Handeln sein, aber auch durch Geldspenden, um Betroffene zu unterstützen.

Die Kampagne gehört zum CURA Fonds. Dieser sammelt Geld und zahlt es dann an Geflüchtete oder andere Betroffene von rechter Gewalt aus, die Angriffe erlebt haben. Wir versuchen so, zumindest eine kleine finanzielle Unterstützung zu geben, auch wenn das psychisch natürlich noch ganz andere Folgen hat.

Als Kampagnenfoto habt ihr ein Bild vom Tempelhofer Feld gewählt. Warum?
Wir haben uns für das Bild entschieden, weil es etwas sein sollte, dass sehr Berlin-spezifisch ist. Am Tempelhofer Feld hat uns gefallen, dass es an sich ein sehr inklusiver Ort ist. Er ist für alle Menschen zugänglich, egal in welchem Alter oder in welcher finanziellen Lage. Der Ort ist sehr einzigartig in seiner Vielfalt und Größe und gleichzeitig ist es nicht für alle nur ein schöner Ort. Auch dort finden Übergriffe statt und am Rand des Feldes gibt es Geflüchtetenunterkünfte, sodass die strukturelle Ungleichheit sehr nah ist.

Ihr sprecht in der Kampagne bei Gewalt im Kontext von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit von „Botschaftstaten“. Was ist das und wie trifft diese Form der Gewalt Geflüchtete?
Das ist eben die Besonderheit von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und auch der Unterschied zu grundsätzlicher Menschenfeindlichkeit. Personen werden angegriffen, weil sie einer bestimmten Gruppe zugeschrieben werden. Sie müssen nicht wirklich Teil der Gruppe sein, es reicht aus, dass Täter*innen diese Person aufgrund bestimmter meist äußerer Merkmale ausgewählt haben. Das verursacht ein generelles Unsicherheitsgefühl für Menschen, die auch Teil der Gruppe sind oder als Teil der Gruppe wahrgenommen werden. Und so ist es von den Täter*innen auch gedacht: Sie wollen die ganze Gruppe treffen. Es geht um Symboltaten.

Bei Geflüchtetenfeindlichkeit ist es das Gleiche: Diese Gewalt trifft nicht nur Menschen, die wirklich geflüchtet sind, sondern auch Personen, die in das Bild von Geflüchteten passen. Diese Betroffenen werden dann durch rassistische Vorstellungen dieser Gruppe zugerechnet.

Welche Probleme gibt es bei der Anerkennung dieser Gewalt?
Wenn Hasskriminalität angezeigt wird, muss die Polizei sie als diese erkennen. Es ist häufig der Fall, dass sie als „normale Angriffe” abgetan werden, weil die Dimension dahinter nicht verstanden oder festgehalten wird. Da braucht es Sensibilisierung und ein Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der Themen.
Beleidigungen sind beispielsweise Antragsdelikte. Das heißt, dass die Polizei diese nicht als Straftat verfolgt, solange die Betroffenen dies nicht explizit beantragen. Da braucht es Transparenz und Aufklärung, vor allem, wenn Betroffene nicht mit den Feinheiten des deutschen Rechtssystems vertraut sind – was im Übrigen auf einen Großteil der Bevölkerung zutreffen dürfte

Was kann dagegen getan werden?
Auch Beratungsstellen thematisieren diese Probleme immer wieder. Viele arbeiten öffentlichkeitswirksam an Forderungen und wir unterstützen und multiplizieren diese natürlich. Betroffene müssen ernst genommen werden und wir müssen wegkommen von diesem Einzelfall-Denken. Die Betroffenen haben oft schon ein sehr gutes Gespür für das, was vorgefallen ist. Wir müssen als Gesellschaft einfach hinhören und unsere Schlüsse daraus ziehen – alle in ihren jeweiligen Bereichen.

Im Zuge der derzeitigen Kürzungen muss sichergestellt werden, dass Projekte, die diese Personen unterstützen und generell demokratiefördernde Projekte Gelder zur Verfügung haben, um auch wirklich langfristige und professionelle Arbeit leisten zu können.

Welche Unterstützungsmöglichkeiten haben Einzelpersonen?
In der konkreten Situation muss man eingreifen und zeigen, dass es Widerspruch gegen die Aussage oder die Handlung gibt. Man muss sich dabei nicht in körperliche Gefahr bringen, jede Person kann nach ihren eigenen Fähigkeiten agieren. Wichtig ist, sich als Zeug*in zur Verfügung zu stellen und Betroffene zu stärken – manchmal kann es auch sinnvoll sein, die Polizei zu informieren.  Wenn man nicht konkret Teil einer solchen Situation ist, kann man an CURA oder andere Vereine spenden, die sich dann am politischen Diskurs beteiligen und Betroffene finanziell unterstützen.

Wie können Betroffene von Hasskriminalität Hilfe erhalten?
Es ist stark zu empfehlen, dass man sich immer an professionelle Beratungsstellen wendet. Das kann ganz unverbindlich und ohne Handlungszwang sein. Man erhält aber auch Hilfe beim Ausfüllen verschiedener Anträge, zum Beispiel in Berlin für den Soforthilfefonds. In Berlin, aber auch in ganz Deutschland gibt es viele Antidiskriminierungsstellen und Opferberatungsstellen. Es hilft aber auch, sich zu vernetzen und mit anderen Personen auszutauschen. Man muss das nicht mit sich allein ausmachen!

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