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Interview Die AfD und ihr „Angriff auf Deutschland“

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AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke im Wahlkampf. (Quelle: picture alliance/dpa | Hannes P Albert)

Michael Kraske und Dirk Laabs beobachten seit Jahren die rechtsextreme Szene in Deutschland. Unmittelbar vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg veröffentlichen die beiden jetzt ein neues Buch: Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD.

Wir haben mit Michael Kraske über Recherchen gesprochen, die trotz jahrelanger Erfahrung immer noch schockieren, über die Menschen die am stärksten vom rechtsextremer Politik betroffen sind und über das politische Beben, dass Deutschland in wenigen Tagen erschüttern wird.

Belltower.News: Ihr Buch heißt Angriff auf Deutschland. Wie kommen Sie und Ihr Co-Autor Dirk Laabs auf den Titel?
Michael Kraske:
Der Titel ist das Ergebnis unserer Recherchen. Es geht mitnichten nur darum, dass die AfD rassistisch und menschenverachtend ist, wie man das schon lange weiß sowie geschichtsrevisionistisch, sondern dass ihre Politik tatsächlich darauf abzielt, dieses Land und die Art und Weise, wie wir zusammenleben, fundamental anzugreifen. Davon sind alle Lebensbereiche betroffen: Schulen, Kultur, die Zivilgesellschaft mit ihrem demokratischen Engagement, Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen, People of Color, sexuelle Minderheiten. Deswegen wollten wir im Titel schon klarmachen: Von der AfD geht eine ganz reale Gefahr für uns und unser Zusammenleben aus.

Wie würde das praktisch aussehen, wenn die AfD in einer Regierung säße? Was würde das für all diese Gruppen, die Sie aufgezählt haben, bedeuten?
Wenn die AfD tatsächlich an die Macht kommen sollte, würde sie sofort drastisch in die demokratische Praxis eingreifen. Ein Beispiel: Björn Höcke hat im MDR Sommerinterview 2023 das Ende der Inklusion angekündigt. Das würde bedeuten, dass Menschen mit Beeinträchtigung und Behinderungen aus Schulklassen aussortiert würden. Zu Recht haben Sozialverbände und Betroffenenverbände klargestellt, dass das eine inakzeptable Diskriminierung und eine Einschränkung fundamentaler Rechte auf Teilhabe bedeuten würde. Und es ist zu erwarten, dass die AfD in die freie Kultur eingreift, dass sie über das Budget missliebiger Kultur den Geldhahn zudreht. Dass sie Förderung an Bedingungen knüpft, etwa eine nationalistische Kultur zu promoten. Davon wären Bühnen und Produktionen im ganzen Land betroffen. Die Partei würde in die Lehrpläne in den Schulen eingreifen. Ganz sicher würde die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus drastisch zurückgefahren werden. Stattdessen soll da Nationalstolz befördert werden, wenn es nach der AfD geht. Wenn die Partei sogar Ressorts wie Inneres und Justiz besetzen würde, könnten sich migrantische Menschen, People of Color, Geflüchtete und andere nicht mehr darauf verlassen, dass der Rechtsstaat sie im vollen Umfang schützt, weil die AfD völkisch-rassistische Politik auch in der Praxis der Sicherheitsbehörden umsetzen würde.

Sie sind AfD-Experte und haben schon vorher viel über die Partei geschrieben. Hat Sie trotzdem noch etwas überrascht bei den Recherchen zu diesem Buch?
Es gibt diverse Situationen, die sich mir sehr stark eingebrannt haben. Als ich etwa eine AfD-Aussteigerin aus Bayern gefragt habe, wie es die Partei mit unserer Demokratie hält, hat sie ganz klar geantwortet: Die AfD will die Demokratie in ihrer jetzigen Form abschaffen. Das ist die feste Überzeugung dieser Frau, nachdem sie jahrelang dabei war, Hintergrundgespräche geführt, Parteiveranstaltungen besucht, Chats mitgelesen hat. Und sie hat gesagt, dass für die politischen Ziele der AfD Gewalt eingepreist sei. Das ist hochgradig gefährlich.

Ein zweites Rechercheergebnis, das mich beunruhigt, ist die Frage, mit wem die AfD auf der Straße unterwegs ist, wer in dem sogenannten Vorfeld ihre Bündnispartner sind. Da hat Björn Höcke in Thüringen auf offener Bühne die historischen Verdienste eines Thüringer Reichsbürgers herausgestellt. Wir haben Videos ausgewertet, in denen dieser Reichsbürger explizit die „Überwindung des BRD-Unrechtssystems“ als Ziel benennt. . Das ist ganz klar verfassungsfeindlich. Er spricht davon, dass wir angeblich in einer „Lügen-Matrix“ wie in einer „Sklaven-Plantage“ gehalten würden. Das trägt wahnhafte Züge. Das sind Bündnispartner, mit denen Höcke und die AfD auf der Straße Seite an Seite gegen die Demokratie unterwegs sind.

Am Sonntag wird in Sachsen und in Thüringen gewählt. Was ist Ihre Prognose?
Es ist zu befürchten, dass die AfD in beiden Ländern stärkste Kraft wird. Das macht die Regierungsbildung unglaublich kompliziert. Es wird schwer werden, überhaupt demokratische Mehrheiten gegen die AfD zu organisieren. Ich befürchte, dass das BSW, das Bündnis Sahra Wagenknecht, offen dafür sein wird, mit der AfD Deals abzuschließen, um an die Macht zu kommen. Es gibt Schnittmengen in der Migrationspolitik, in der Russland-Nähe und auch in einem autoritären Staatsverhältnis. Das heißt: die AfD steht tatsächlich vor den Toren der Macht und gleichzeitig wird der Druck auf die demokratischen Parteien – vor allen Dingen auf die CDU — massiv zunehmen. Weil im öffentlichen Diskurs die Stimmen lauter und vernehmlicher werden, die sagen: Ihr könnt doch ein Drittel der Wählerschaft nicht ausgrenzen. Das sei doch undemokratisch. Wagenknecht hat ja schon angedeutet, man werde sich AfD-Anträgen, wenn sie vernünftig sind, nicht verschließen. Der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, Mario Voigt, hat angekündigt, dass die CDU bei eigenen Anträgen keine Rücksicht mehr darauf nehmen wird, wer zustimmt. Die klare Kante der Demokratinnen und Demokraten bröckelt schon jetzt und ich erwarte durch die anstehenden Wahlen im Osten ein politisches Beben, das ganz Deutschland schwer erschüttern wird.

Haben die Demos Anfang des Jahres der AfD geschadet?
Leider sind die Demos und das Entsetzen nach der Correctiv-Enthüllung erwartbar wieder abgeebbt. Es war klar, dass es schwierig wird, dieses demokratische Engagement kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Im Osten hat es die große Kernwählerschaft der AfD nicht erschüttert, dass rassistisch motivierte Vertreibungspläne publik geworden sind, sondern man muss klar feststellen, dass es in den ostdeutschen Bundesländern eine große Bereitschaft gibt, völkische und autoritäre Politik zu unterstützen. Die Uni Leipzig hat vor einiger Zeit erschreckende Zahlen vorgelegt, wonach sich etwa ein Drittel der Befragten im deutschen Osten einen Führer wünscht und ungefähr die Hälfte eine einzige starke Volkspartei zum Wohle einer „Volksgemeinschaft“, also das brutal ausgrenzende Gesellschaftsmodell der Nationalsozialisten. Die AfD hat es geschafft, dass rechtsextreme Kernbotschaften vielen mittlerweile als normal gelten.

Was müsste jetzt passieren, um diesem „Angriff auf Deutschland“ Einhalt zu gebieten?
Wir müssen uns darauf einrichten, dass ungefähr ein Drittel der Menschen in einzelnen Bundesländern die im Kern rechtsextreme AfD wählt. Und daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Erstens: Die Demokratinnen und Demokraten müssen stabil bleiben. Also kein Bündnis, keine Zusammenarbeit, nirgends. Zweitens müssen die demokratischen Akteurinnen und Akteure geschützt und gestärkt werden. Demokratiearbeit muss auf lange Zeit finanziell abgesichert werden. In den Schulen muss die politische Bildung intensiviert werden. Wir müssen die Institutionen sicher machen. Das heißt nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch Polizei und Justiz vor rechtsextremen Akteuren schützen. Es braucht zunächst mal die klare Haltung und den klaren Willen diese notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Es wird einen langen Atem brauchen. Es gibt kein Kaninchen, das wir gegen die AfD aus dem Hut zaubern können. Und nicht zuletzt: Dirk Laabs und ich haben nach langer Recherche unsere Einstellung zum Verbotsverfahren geändert. Wir sind nunmehr fest davon überzeugt: Das Verbotsverfahren muss kommen und die AfD kann und muss verboten werden.

Warum?
Es geht nicht um ein Bauchgefühl oder eine politische Meinung, sondern um nachprüfbare Fakten. Die AfD greift die Menschenwürde von Minderheiten wie Muslimen oder Geflüchteten fundamental an. Das Bundesverfassungsgericht hat herausgestellt, dass die Menschenwürde und die Rechtsgleichheit, die darauf beruht, fundamentale Bestandteile des Grundgesetzes sind. Die Partei ist also verfassungsfeindlich, weil sie gegen den Kern der Verfassung verstößt. Das allein begründet schon ein Verbotsverfahren. Bei einem Verbot geht es übrigens nicht nur darum, die demokratischen Institutionen zu schützen, sondern zuallererst die vielen Millionen Menschen, die von völkischer Politik betroffen wären. Es gibt jetzt schon Urteile, wie das vom Oberverwaltungsgericht Münster das entschieden hat, dass die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet werden kann. Es ist damit rechtsstaatlich festgestellt, dass es konkrete Anhaltspunkte dafür gib, dass die AfD nicht nur einen völkisch-ethnischen Volksbegriff propagiert, also auf eine ethnisch-homogene Gesellschaft abzielt – was mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Sondern es besteht darüber hinaus der begründete Verdacht, dass ein maßgeblicher Teil der AfD deutschen Staatsbürger*innen mit Migrationsgeschichte nur einen rechtlich abgewerteten Status zuerkennen will. Für diese Angriffe auf die Menschenwürde und für die demokratiefeindlichen Ziele der Partei gibt es eine Vielzahl harter und starker Belege und die liefern wir in unserem Buch.


Michael Kraske und Dirk Laabs, Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD. C.H. Beck, 350 Seiten. ISBN: 978-3-406-82311-4. Hier bestellen.

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