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Interview Grevesmühlen „Immer weniger Menschen haben Probleme, ihre Gewaltfantasien auszuleben.“

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Am Ploggenseering in Grevesmühlen wurden zwei Mädchen aus einer 20-köpfigen Gruppe Jugendlicher angegriffen. (Quelle: picture alliance/dpa | Bernd Wüstneck)

Am 14. Juni 2024 wurden zwei ghanaische Mädchen im mecklenburgischen Grevesmühlen rassistisch angegriffen. Die beiden Acht- und Zehnjährigen waren auf dem Heimweg vom Sport, als sie aus einer Gruppe von bis zu 20 Jugendlichen attackiert wurden.

Die Täter, mindestens acht aus Gruppe, beschimpften und bedrohten die Mädchen, bevor sie sie körperlich angriffen. Auch der Vater der beiden Kinder wurde angegriffen und verletzt, als er die Jugendlichen zur Rede stellen wollte. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung und Beleidigung und sucht Zeugen.

Lars Prahler, der parteilose Bürgermeister von Grevesmühlen nennt den Angriff „unfassbar und unentschuldbar“, die Angreifer seien „unmenschlich“ und hätten „den Boden der Demokratie verlassen“. Auch Christian Pegel (SPD), Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern, äußert sich: „Man greift keine Menschen an, erst recht keine Kinder und schon gar nicht aus rassistischen Motiven.“ Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) schreibt auf X: „Diese abscheuliche Tat muss rasch Konsequenzen haben. Rassismus und Gewalt sind widerlich. Das gilt erst recht, wenn Kinder angegriffen werden.“

Während des Stadtfestes in Grevesmühlen, das ebenfalls am vergangenen Wochenende stattfand, knapp zehn Minuten vom Tatort entfernt, sollen Gäste zu Gigi D’Agostinos „L’Amour toujours“ „Ausländer raus“ gegrölt haben. Anzeigen dazu gibt es jedenfalls bei der Polizei. Auch die Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern und Grevesmühlen sprechen für sich. Bei den Europawahlen am 9. Juni wurde die AfD mit Abstand stärkste Kraft im Bundesland, auch im Landkreis Nordwestmecklenburg, wählen 26,6 Prozent die rechtsextreme Partei. Bei der Stadtvertretungswahl schafft es die Partei mit 22,6 Prozent der Stimmen auf Platz zwei hinter die CDU.

Seit 2022 ist Jana Michael Integrationsbeauftragte im Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist Gründungsmitglied des Stralsunder Vereins Tutmonde und des Netzwerks der Migrantenorganisationen Migranet MV. 2021 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen. Wir haben mit ihr über enthemmten Rassismus in Mecklenburg-Vorpommern gesprochen, über gefühlte Mehrheiten und das Treten nach unten.

Belltower.News: Wie nehmen Sie die Situation in Grevesmühlen aktuell wahr?
Jana Michael: In Grevesmühlen, aber auch im Rest des Bundeslandes, gibt es immer mehr Rassismus. Immer mehr Menschen sind enthemmt und haben keine Probleme mehr damit, ihre Gewaltfantasien auszuleben.

Wie ist die Stimmung in der Stadt nach den Wahlen?
Rechtsextreme fühlen sich gestärkt und sie glauben, dass sie in der Mehrheit sind. Und die guten Wahlergebnisse der AfD geben ihnen ja auch recht. Es wird „Ausländer raus“ gegrölt, nicht nur auf Sylt, sondern genauso hier.

Die beiden acht und zehnjährigen Mädchen sagen, dass es nicht das erste Mal war, dass sie Rassismus erlebt haben. Wie normalisiert ist das alles in Mecklenburg-Vorpommern?
In Mecklenburg-Vorpommern, aber auch im ganzen Rest von Ostdeutschland fühlen sich viele Menschen abgehängt, sie haben das Gefühl, dass sie weder vor noch nach der Wende die Möglichkeit hatten, selbst Entscheidungen zu treffen. Sie denken, sie befänden sich ganz am Ende der Gesellschaft. Und leider sind Menschen offenbar so, dass sie sich freuen, wenn es jemanden gibt, auf den sie herabschauen können. Und das tun die vermeintlich Abgehängten bei Geflüchteten, bei LGBTQ*-Menschen, bei allen, die angeblich anders sind. Und jetzt sehen wir: sogar bei kleinen Kindern.

Was ist die Rolle der AfD?
Es hat schon immer Probleme in Mecklenburg-Vorpommern mit extrem rechten Parteien gegeben. Die waren politisch aber nicht so erfolgreich wie die AfD. Die AfD kanalisiert Ressentiments und macht Rassismus und Menschenfeindlichkeit wählbar. Aber wir müssen auch über andere rechte Parteien reden, die versuchen, Stimmung mit Flüchtlingsfeindlichkeit zu machen. Rassismus darf von keiner Partei instrumentalisiert und benutzt werden.

Was muss jetzt passieren?
Es braucht unbedingt mehr Bildung, in den Schulen, aber auch schon im Kindergarten, um den Menschen klar zu machen, dass Diversität Teil des Lebens ist, dass andere Religionen, andere Hautfarben oder auch LGBTQ*-Menschen selbstverständlich dazu gehören.

Es hat Statements aus der Politik gegeben, das ist gut, aber wir brauchen mehr davon. Jetzt ist die Zeit für klare Haltung. Rassismus darf nicht toleriert werden. Die Wirtschaft muss klar fordern, dass Fachkräfte, die nicht aus Deutschland kommen – wir haben in Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel viele in der Medizin – sicher sind.

Es braucht auch Bildung für Erwachsene, auch für Geflüchtete und Menschen aus anderen Ländern, damit sie wissen, was zu tun ist, wenn sie Opfer von solchen Gewalttaten werden.

 

 

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