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Interview „Mit dem Denkmal setzen ist es nicht getan“

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MUT: Herr Professor Benz, der 8. Mai ist vorüber und es fiel auf, dass in der öffentlichen Berichterstattung auch immer wieder vom Kriegsende gesprochen wurde, statt vom Tag der Befreiung. Warum fällt das so schwer?

Das sind eigentlich Kämpfe, die vor 20 Jahren ausgetragen worden sind. Aber sicherlich, es fällt vielen schwer, sich als Befreite zu fühlen, insbesondere von der Roten Armee befreit. Mir hat selbst jemand gesagt: „Wissen Sie, bei der Vorstellung, dass die Rote Armee uns befreit haben soll, dreht sich mir alles um.“ Von den Amerikanern wurde man lieber befreit. Aber ich glaube, das spielt in der Gedenkkultur keine zentrale Rolle mehr, solange man sich darüber einig ist, dass da nicht eine Katastrophe passiert ist, als Deutschland den Krieg verloren hat, sondern dass man erleichtert war, als der Krieg beendet wurde. Und da man sich dann in gemeinsamer Anstrengung zur Demokratiegründung begeben hat, sehe ich dieses Problem, wie man das nennt, nicht mehr als so gravierend an.

Der Bund hat erst in den neunziger Jahren ein Gedenkstättenkonzept erstellt. Warum so spät?

Ich denke, man sollte sich vor allem darüber freuen, dass diese stiefmütterlich behandelten Gedenkstätten jetzt in die Förderung des Bundes eingebettet sind und nicht darüber klagen, dass es solange gedauert hat. Außerdem brauchen die Gedenkstätten nicht nur staatliche Zuwendung, ob vom Land, oder vom Bund. Sie brauchen auch engagierte Bürger, das ist eigentlich das A und O der Gedenkkultur. Mit dem Restaurieren und Denkmal setzen ist es nicht getan. Und es darf nicht so sein, wie es an vielen Orten lange Zeit war, dass die Honoratioren am Ort nichts davon wissen wollten, oder dass der Bürgermeister das kleinredet und sagt: „Das war ja gar kein KZ bei uns, sondern nur ein Arbeitslager, oder so etwas.“

Wie fügt sich das zentrale Holocaust-Mahnmal in das Gedenkstättenkonzept ein?

Ich hatte zuerst die Sorge, dass die Errichtung dieses Denkmals das Ende für die Gedenkstätten draußen im Land sein könnte. Dass dann Flossenbürg endgültig zugescharrt wird und dass Dachau oder Neuengamme verfallen, wie das viele auch sehr gern wollen, und wie das auch bei Lokalpolitikern nach dem Motto „Schwamm drüber“, beliebt war. Aber es ist nicht so gekommen, im Gegenteil, das Denkmal wirkt als Portal und hat die Förderung für die Gedenkstätten draußen im Lande wesentlich mit angestoßen. Deswegen bin ich ganz zufrieden und denke, dass sich das Berliner Monument als abstraktes Erinnerungszeichen sehr gut mit den Gedenkstätten im Land ergänzt.

In Gedenkstätten, sollen vor allem Jugendliche für Demokratie sensibilisiert werden. Trotzdem sehen wir, dass gerade junge Leute dem Rechtsextremismus wieder nachlaufen.

Völlig falsches Konzept, völlig falsche Idee, jetzt Toleranz- und Demokratieerziehung über Gedenkstätten zu machen. Wenn ein Richter einen auffällig gewordenen rechtslastigen Knaben dazu verurteilt, Gedenkstätten zu besuchen, dann wird da hinterher nicht ein frommer Demokrat herauskommen. Schulklassen müssen in die Gedenkstätten, das ist klar, das ist notwendig. Aber wozu? Um ein Stück nationalsozialistischer Realität lernend zu erfahren – nicht um zu guten Menschen herangebildet zu werden, das kann die Gedenkstätte nicht leisten, und das ist der große, fundamentale Irrtum, von dem man jetzt wohl so langsam Abstand nimmt. Allenfalls kann durch einen Gedenkstättenbesuch der Grundstein gelegt werden, auf dem sich anderes Wissen aufbaut. Aber diese moralischen Komponente lehne ich ganz strikt ab. Ich halte es für ein großes Unrecht, 15- oder 17-Jährige in die Gedenkstätte zu schicken, damit sie ein schlechtes Gewissen und ungute Gefühle kriegen, oder am Ende noch eingeredet kriegen sollen, sie hätten irgendwie eine Mitschuld oder moralische Mitverantwortung.

Und innovative pädagogische Angebote, wie Erlebnispädagogik drei Tage vor Ort?

Um eine dreitägige Pädagogik in der Gedenkstätte zu machen, brauche ich schon besonders motivierte Menschen. Ich kann nicht mit Hauptschülern drei Tage nach Ravensbrück gehen. Auch ein Seminar, das ist immer eine ganz kleine Auswahl, das ist die erlesene Schar der besonders Motivierten, der besonders Intelligenten, der besonders Betroffenen. Das kann nicht das Vorbild sein, das ist dann immer das Zusatzangebot. Das Hauptproblem ist doch aber, wie der Realschullehrer mit dem Problem zurechtkommt, dass er 30 mäßig interessierten Schülern ein gewisses Grundwissen vermittelt.

Ist diesem Verdruss, den Jugendliche bei politischen Fragestellungen empfinden, überhaupt beizukommen?

Ich glaube, die Frage „Wie interessiere ich einen jungen Menschen?“, ist ein Grundproblem seit Jahren. Wenn der Lehrende, egal ob das ein Zeitzeuge oder ein Gedenkstättenmitarbeiter ist, am Anfang gleich rüberbringen kann, warum es wichtig ist, darüber Bescheid zu wissen, und wenn er jede unzulässige Attitüde von Moral und Betroffenheitszwang weglässt, dann hat er schon viel Terrain gewonnen. Ich habe in meiner Laufbahn viele ehemalige KZ-Häftlinge erlebt. Die Überzeugenden waren immer diejenigen, die auf die Leute zugingen, ihnen ins Auge geschaut haben, und gesagt haben: „Ich war hier und will euch das ohne weitere Umschweife erläutern.“ Sie müssen aber nicht die Welt erklären und wie der Nationalsozialismus über die Leute gekommen ist.

Bundeskanzler Schröder war das letzte Jahr das erste Mal zu den D-day Feierlichkeiten in die Normandie eingeladen, und prompt haben einige Veteranenverbände protestiert. Ähnliches wurde in diesem Jahr laut, als Schröder in Moskau bei den Feierlichkeiten am 8./9.Mai teilnahm.

Das sind wichtige staatliche Zeremonien, das hat mit alltäglicher Gedenkkultur nichts zu tun. Das ist auch der internationalen Courtoisie geschuldet, genauso wie man einen Kranz niederlegt. Aber ich halte es für ein Zeichen von Vernunft und Größe, dass man nicht sagt: „Das waren die ehemaligen Feinde, da gehen wir nicht hin.“ Dass der deutsche Kanzler dort erscheint, macht deutlich, dass wir ein Stück unserer Lektion gelernt haben. Wir ziehen uns nicht wieder in den nationalen Schmollwinkel à la „Wir die Besiegten, ihr die Sieger“, zurück, sondern erinnern uns gemeinsam. Deshalb ist auch das deutsch-russische Museum in Karlshorst eine gute Sache. Ich glaube nur, dass es von der Bevölkerung zu wenig angenommen wird.

Wenn Veteranenverbände, seien es französische, russische, deutsche, diese Leistung einfach nicht schaffen können…

Dann können sie es nicht schaffen, weil sie Veteranenverbände sind. Sie müssen die Schlachten noch mal schlagen und müssen davon sprechen, wie sie gelitten haben, aber sie sind nicht fähig, über die Gräben hinwegzuschreiten. Vielleicht kann man das von ihnen auch nicht mehr verlangen.

Das Gespräch führte Lisa Badun.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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