Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Interview Schwarze Solidarität gegen Antisemitismus

Von|
2021 fanden auch in Berlin Black Lives Matter-Demos statt. Der Nahostkonflikt war damals kein Thema. (Quelle: picture alliance/dpa | Fabian Sommer)

Vor einem Jahr verübte die islamistische Terrorgruppe Hamas den blutigsten Massenmord an jüdischen Menschen seit der Shoah. Belltower.News-Kolumnistin Michaela Dudley thematisiert seitdem die fehlende Empathie seitens der afrodeutschen Community gegenüber Israel und dem Judentum überhaupt. Nun unterhält sie sich mit dem Co-Gründer einer Schwarzen Initiative gegen Antisemitismus, Patrice G. Poutrus, der auch Teil des Stiftungsrates der Amadeu Antonio Stiftung ist. Mit seiner Berliner Kollegin, der sudanesisch-stämmigen Buchautorin Elisa Aseva, gründete Poutus wenige Monate nach dem 7. Oktober 2023 den Schwarzen Tisch gegen Antisemitismus.

Michaela Dudley: Was genau ist Dein Bezug zum Judentum?
Patrice G. Poutrus: Ich hatte und habe jüdische Freund*innen, Kolleg*innen und Bekannte, die waren bzw. sind säkulare oder religiöse Jüdinnen*Juden. Deren Lebenswege waren höchst verschieden. Von manchen kamen die Eltern oder Großeltern nach 1945 aus dem Exil in die DDR, manche sind mit ihren Eltern nach 1990 aus der untergehenden Sowjetunion nach Deutschland gekommen, andere leben in Westeuropa oder den USA und wiederum andere leben heute in Israel. Viele von ihnen, nicht alle, sind scharfe Kritiker*innen der israelischen Besatzungspraxis und vor allem der Regierung Netanjahu. Ihnen allen fühlte und fühle ich mich persönlich verbunden und zuweilen teilen wir Freude und Trauer über das Leben in dieser bedrohlichen Gegenwart.

Warum habt Ihr den Schwarzen Tisch gegen Antisemitismus gegründet?
Genau deshalb und weil ich als Schwarzer, linker Akademiker aus Ostdeutschland nicht bereit bin, hinzunehmen, dass Fragen von Machtkritik und von humanitärer Solidarität an Herkunft, Glauben oder Staatsangehörigkeit von Menschen festgemacht werden sollten. Das ist übrigens auch meine Haltung in der sogenannten Migrationsdebatte. Insbesondere hierzulande finde ich es mehr als irritierend, wenn Holocaust-Überlebende, jüdische Künstler*innen oder israelische Akademiker*innen boykottiert werden sollen. Die bei solchen Aktionen durchscheinende Unbedingtheit finde ich ebenso bedrohlich, wie den virulenten Rassismus in Ostdeutschland. Ich kann Antisemitismus davon zwar analytisch und begrifflich unterscheiden, aber ich finde beides gleichermaßen bedrohlich.

Spürst Du seit dem 7. Oktober innerhalb der BIPoC-Community einen Erwartungsdruck, den jüdischen Staat als Feind zu betrachten? Überhaupt innerhalb der weißen, linken Community?
Ich bin ja in der DDR aufgewachsen und somit kenne ich die Vorstellung, dass der Staat Israel ein Vorposten des US-Imperialismus sei, schon sehr lange. Auch deshalb ist diese Erwartung meines Erachtens keine Überraschung bei Leuten, die sich weiterhin für Anti-Imperialist*innen halten. Umgekehrt finde ich den zumindest autoritären Begriff der Staatsräson im Umgang mit dem Staat Israel problematisch. Wie gesagt, ich teile die Kritik vieler und vor allem linker, israelischer Staatsbürger*innen an der Politik ihres Landes. Warum ich mich dann aber mit den erklärten Feinden des Staates Israel, Hamas, Hisbollah und dem Mullah-Regime im Iran gemeinmachen sollte, das kann ich aus genau der gleichen linken Kritik an Machtverhältnissen nicht nachvollziehen.

Was hältst Du davon, dass Black Lives Matter den Terroranschlag gegen Israel als Widerstand bezeichnet, auch wenn die Hamas erwiesenermaßen Massenmord an Zivilist*innen, Gruppenvergewaltigungen und Verschleppung beging?
Dass sich Vertreter*innen bzw. Sprecher*innen der sehr heterogenen und auch fluiden BLM-Bewegung so äußern, hat mich schockiert, auch wenn solche Bekenntnisse zum islamistischen Terror nicht zum ersten Mal aus dieser Richtung kommen. So oder so ist das für mich komplett inakzeptabel. Offenbar wird hier aus berechtigter Kritik an rassistischen Strukturen und Praktiken in den Gesellschaften des globalen Nordens – denn das war ja der Ausgangspunkt der BLM-Bewegung – die Befugnis zum brutalen und exzessiven Gewalteinsatz an anderer Stelle abgeleitet. Das ist aber nicht nur schockierend und lässt auf eine bemerkenswerte Geschichtslosigkeit schließen. Kurz gesagt, der Feind meines Feindes war, ist und kann auch in Zukunft kein Verbündeter im Kampf um Partizipation und Emanzipation sein.

Ist es problematisch, wenn die Free-Palestine-Bewegung und sogar weite Teile der Medien mit dem Begriff „Apartheid“ hantieren, wenn es darum geht, Israel zu dämonisieren? Wie sollten sich Schwarze Israelis bzw. Schwarze Jüdinnen und Juden fühlen?
In der Tat ist das hochproblematisch. Es gehört jedoch zu einem gesellschaftlichen Trend, historische Analogien, jenseits von Empirie und Kontext, zu bemühen, um die eigene Position gegen jegliche Kritik zu immunisieren und abweichende Positionen zu delegitimieren. Im konkreten Fall wird die meines Erachtens kritikwürdige Besatzungspolitik Israels im Westjordan-Gebiet dazu benutzt, das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 zu rechtfertigen. Das könnte auch als eine Form des Whataboutism bezeichnet werden. Allerdings gibt es das Argument innerhalb der sogenannten Israel-Kritik schon länger. Es zielt auf die Delegitimierung des Staates Israel und sieht bewusst von der Wirklichkeit in Israel ab und verleugnet de-facto die langjährige und brutale Alleinherrschaft der Hamas im Gaza-Streifen.

Welche Botschaft hast Du für jüdische Menschen, die heute in Deutschland unter dem rasch angestiegenen Antisemitismus leiden?
Für Angriffe auf Jüdinnen und Juden gibt es keine Rechtfertigung. Das ist Terror, der gehört bekämpft und den Opfern gilt meine Solidarität.

Weiterlesen

Eine Plattform der