Timo Büchner recherchiert zu Neonazis und „Reichsbürgern”. Regelmäßig berichtet der Belltower.News-Autor über die extreme Rechte in Baden-Württemberg. Wie viele Journalist*innen hat Büchner eine Melderegistersperre. Das bedeutet, seine Wohnadresse ist in den Datenbanken der Behörden besonders geschützt. Menschen, denen aufgrund ihrer Tätigkeit eine „Gefahr für Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit“ droht, sobald die Adresse öffentlich wird, können eine Sperre erhalten.
Doch der Schutz, den die Melderegistersperre bieten soll, ist offenbar trügerisch. Denn nachdem der gewaltbereite und szenebekannte Neonazi Marc R. in einer internen Hooligan-Chatgruppe nach Büchners Wohnadresse fragt, bekommt er eine Antwort vom Zollbeamten Tobias W. – der die Daten abruft und dem Neonazi zur Verfügung stellt. W. wird vom Amtsgericht Kitzingen „wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses in zwei tatmehrheitlichen Fällen“ zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Man ist ab 91 Tagessätzen vorbestraft. Das Verfahren gegen den Neonazi, der zur Tat angestiftet hatte, wurde nach Paragraph 154 der Strafprozessordnung eingestellt. Das heißt: Es wurde eingestellt, weil er in einem anderen Verfahren eine so hohe Strafe zu erwarten hatte, dass die aktuelle Straferwartung bei der Gesamtstrafe nicht mehr ins Gewicht fällt.
Wir haben mit Timo Büchner über die Melderegistersperre und sein (Un-)Sicherheitsgefühl gesprochen. Und darüber, was all das für seine Recherchen bedeutet.
Belltower.News: Wie wurden Deine Daten geleakt?
Timo Büchner: Ich habe Anfang 2021 einen Artikel für den Störungsmelder über eine Aktion der Neonazigruppe Junge Revolution bzw. des Nord Württemberg Sturm aus Baden-Württemberg veröffentlicht. Die Gruppe hatte ein rassistisches Transparent gehisst und ein Video in den sozialen Netzwerken, darunter Telegram, verbreitet. Die Gruppe hatte ich bereits länger im Blick und wusste, wer die zentralen Akteure sind. Auffällig war, dass die Aktion in Osterburken im Neckar-Odenwald-Kreis stattgefunden hatte. Einer der Akteure, Marc R., wohnt in der Gemeinde. Das hatte ich im Artikel angemerkt.
Nach der Veröffentlichung des Artikels fanden mehrere Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung statt. Auch Marc R. war betroffen. Im Zuge der Durchsuchungen wurde Material, darunter Handys, beschlagnahmt. Zwar waren die Hausdurchsuchung, wie später bekannt wurde, rechtswidrig. Aber man konnte, abseits der Tat, strafrechtlich relevante Beweise feststellen. So wurde ein Chat ausgewertet. Man hatte sich im Chat über mich und meine Privatadresse ausgetauscht. R. hatte gefragt, ob jemand meine Wohnadresse besorgen könne. Der Zollbeamte hatte die Frage bejaht. Er hat die Adresse besorgt, dann stand meine Adresse in einem Chat der „Green Boyz Schweinfurt“, einer rechtsoffenen Hooligangruppe aus Bayern. In der Gruppe war R. aktiv.
Hat Dich die Polizei über die Vorgänge informiert?
Ja, die Polizei hat mich recht zügig kontaktiert und die Vorgänge im Rahmen einer Gefährdeten-Ansprache erklärt.
Wie ist das bei Dir angekommen?
Einerseits war ich geschockt, andererseits war ich kaum verwundert. Immer wieder sind Berichte über rechtsextreme Vorfälle in Sicherheitsbehörden zu lesen. Zudem beschäftige ich mich mit der extremen Rechten. Dass Neonazis im Stile einer Anti-Antifa-Tätigkeit versuchen, Daten kritischer Journalist*innen herauszubekommen, ist bekannt.
Wie steht es nach diesem ganzen Vorgang um Dein Vertrauen in den Staat und die Behörden?
Ich denke, es braucht eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber Sicherheitsbehörden, das ist klar. Nun wurde meine Haltung noch kritischer. Zwar habe ich ein gewisses Vertrauen. Aber dieses Vertrauen wurde erschüttert.
Wie viele Menschen, die kritisch über Neonazis berichten, hast Du eine Auskunftssperre beantragt und bekommen. Das heißt, eigentlich sind Deine Daten besonders geschützt. Warum konnte der Zollbeamte das umgehen?
Die Auskunftssperre hatte ich vor einigen Jahren aufgrund meiner Recherchen zur extremen Rechten beantragt. Der Zollbeamte hatte Zugriff auf Daten der Sozialversicherung. So konnte er, soweit ich weiß, meine Melderegistersperre umgehen. Das ist ein Leck, das in der Debatte um die Sperre noch nicht thematisiert wurde. Ein derartiger Fall, der öffentlich bekannt wurde, ist meines Wissens ein Novum. Der Zollbeamte soll inzwischen keinen Zugriff mehr auf die Daten haben. Dennoch bleibt die Frage: Welchen Nutzen hat die Melderegistersperre im Fall der Fälle? In meinem Fall hatte die Sperre keinen Nutzen. Die Sperre wiegt Journalist*innen in einer trügerischen Sicherheit.
Der Zollbeamte, der Deine Daten abgerufen hat, wurde zu 90 Tagessätzen verurteilt. Erst mit 91 Tagessätzen würde er vorbestraft sein. Seinen Job macht er ganz normal weiter. Was denkst Du darüber?
Das ist ein Skandal. All das hätte nicht passieren dürfen. Es macht das Problem in der Justiz deutlich, die offenbar die Tragweite eines derartigen Falles nicht erkennt. Dazu kommt, dass er Mehrfachtäter ist. Er hat nicht nur meine Adresse abgefragt, sondern offenbar auch die Adresse einer Person aus einer verfeindeten Hooligantruppe. Er hat kriminelle Energie und schreckt nicht davor zurück, Daten an gewaltbereite Neonazis zu geben.
Wie ging es im Verfahren gegen Marc R. weiter?
Das Verfahren wegen der Anstiftung wurde eingestellt. Die Begründung lautete: Es gab ein weiteres Verfahren wegen eines schwereren Delikts – dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Daher wurde die Anstiftung eingestellt.
Das ist wohl nicht das Ergebnis, das Du Dir erhofft hast?
Ich verstehe, dass das juristische Praxis ist. Aber ich finde es schwierig, dass diese Praxis einen derart üblen Vorgang, der langfristige Konsequenzen hat, ignoriert. Denn die Frage ist: Was passiert mit den Daten? Inwiefern werden die Daten in der Zukunft genutzt? All das wird ignoriert, wenn die Justiz sagt: Wir stellen das Strafverfahren ein. Es ist ein bitteres Signal an Journalist*innen und ein eklatantes Signal an die Neonazi-Szene. Daten können abgerufen werden. Ohne Konsequenzen.
Was bedeutet das für Dich?
Ich mache meine Arbeit weiter. Ich recherchiere und schreibe weiter. Vermutlich sogar mehr als vorher. Denn im Laufe der Ereignisse habe ich vieles über die extreme Rechte vor Ort gelernt. Insgesamt bin ich sensibilisierter und noch vorsichtiger, nachdem ich zur Zielscheibe der Szene wurde. Aber die Ereignisse haben nicht dazu geführt, dass ich aufhöre. Ganz im Gegenteil.