Diskriminierung und Rassismus sind heute prägende Erfahrungen im Alltag von Muslimen in Deutschland. Man muss nicht lange googeln, um aktuelle Beispiele zu finden ? meist reicht ein Blick in die Tagespresse. Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass neue Begrifflichkeiten zur Beschreibung dieses Phänomens Eingang in den Sprachgebrauch finden: war früher noch vom anti-islamischen Rassismus oder vom »Feindbild Islam« die Rede, so ist mittlerweile die Bezeichnung »Islamophobie« an ihre Stelle getreten. Keine Konferenz zum Thema Integration, kein offizieller Bericht und kaum eine Rede von Vertretern muslimischer Verbände, die ohne einen Verweis auf die grassierende Islamophobie auskommt. Nun mag dieser neue Sprachgebrauch auf tatsächlichen Gegebenheiten beruhen, trotzdem wären zu Geschichte, Bedeutung und Verwendung des Begriffs Islamophobie ein paar Fragezeichen angebracht ? ohne dass dies die zunehmenden Ressentiments, sowie Rassismus, Diskriminierung und Intoleranz gegenüber Muslimen in unserer Gesellschaft infrage stellen oder relativieren soll.
„Islamophobie“ – ein noch recht neuer Begriff
Der Begriff der Islamophobie hat erst seit ein paar Jahren Konjunktur. Das hat seine Ursachen unter anderem sicherlich in der insbesondere nach dem 11. September 2001 wachsenden Ablehnung von und einem zunehmenden Generalverdacht gegenüber Islam und Muslimen in den »westlichen Gesellschaften«. Diese Entwicklung schlägt sich in den öffentlichen Diskursen nieder und wird bestätigt durch Analysen der Medienberichterstattung sowie durch Erhebungen wie der des EUMC (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia)oder der Forschungsgruppe um Wilhelm Heitmeyer.
Auch eine inhaltliche Verschiebung
Neben dieser eher als »quantitativ« zu bezeichnenden Entwicklung trägt der neue Begriff auch einer inhaltlichen Verschiebung Rechnung: Islamophobie beschreibt weniger die Verletzung individueller Menschenrechte von Muslimen aufgrund typischer rassistischer Zuschreibungen, sondern bezeichnet Feindschaft und Angst (Phobie) gegenüber dem Islam als Religion und den Muslimen als deren Repräsentanten. Vor diesem Hintergrund kann Islamophobie als eine Spielart von insgesamt neuartigen, weil kulturalistisch begründeten Rassismen gelten, die in den 1980er und 1990er Jahren den biologistischen Rassismus abgelöst haben.
Antisemitismus und Islamphobie – zwei Seiten einer Medaille?
Und es geschah auch in diesem Kontext der zunehmenden Diskriminierung von Gruppen von Menschen aufgrund ihrer religiös- und/oder ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit, dass der französische Soziologe Ètienne Balibar 1998 einen Vergleich mit der Judenfeindschaft anstellte und die neuen Formen des Rassismus als »verallgemeinerten Antisemitismus« bezeichnete. Seither werden Antisemitismus und Islamophobie häufig als zwei Formen von Rassismus in einem Atemzug genannt. Damit wird suggeriert, dass beide Formen von »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« (Wilhelm Heitmeyer) sich inhaltlich lediglich durch die Gruppe der Opfer ? hier Juden, dort Muslime ? unterscheiden würden. Dass aber eine solche Gleichstellung zum einen analytisch nicht haltbar ist, möchte ich im Folgenden an einigen Punkten aufzeigen. Zum anderen soll angedeutet werden, dass meines Erachtens die gemeinsame Thematisierung von Antisemitismus und Islamophobie auch auf politischer Ebene, d.h. nicht zuletzt bei der notwendigen Bekämpfung beider Phänomene, nur wenig weiterhilft. Deutlich wird dies insbesondere, wenn die Islamophobie, also Angst und Feindschaft gegenüber dem Islam, von muslimischen Kommentatoren mitunter ins Feld geführt wird, um Kritik am Islam oder an Muslimen abzuwehren.
Was und warum gleichgesetzt?
Vor dem Hintergrund der hier schon angedeuteten Vielschichtigkeit des Diskurses soll sich ein kurzer kritischer Blick zur Gleichstellung von Antisemitismus und Islamophobie auf zwei Punkte konzentrieren: Das ist zum einen die Frage: Lässt sich der Antisemitismus als eine Form von Rassismus subsumieren und vor diesem Hintergrund mit der Islamophobie sinnvoll vergleichen? Der andere Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die politische Funktion dieses Vergleichs.
Unterschiede zwischen Antisemitismus und Islamophobie
Grundsätzlich ist ein wissenschaftlicher Vergleich verschiedener Formen von Diskriminierungen sinnvoll. Er fördert die Erkenntnis darüber, wie Gruppen von »Anderen« konstruiert werden und wie sich darin eigene kollektive Identität erst konstituiert. Das Wissen um die Prozesse, mit denen Gruppen systematisch diskriminiert, stigmatisiert, ausgegrenzt und ihrer Rechte beraubt werden
können, hilft dabei, solche Entwicklungen frühzeitig erkennen und ihnen entgegen zu wirken. So hat der spanische, in den USA lehrende Soziologe José Casanova die aktuelle Islamophobie mit spezifischen Diskriminierungen und Zuschreibungsformen verglichen, denen sich katholische Einwanderer ausgesetzt sahen, die aus verschiedenen europäischen Ländern im 19. Jahrhundert in die USA einwanderten. Die Parallelen sind beeindruckend.
Nun lassen sich solche Parallelen aber zwischen den verschiedensten Formen von Vorurteilstrukturen, pauschalisierenden Diskriminierungsprozessen und Rassismen ziehen. Und die Gefahr ist groß, dass die Besonderheiten der einzelnen historischen wie aktuellen Konstellationen und Ideologien nivelliert werden und zu einer großen Geschichte von Verfolgung und Diskriminierung verschwimmen. Ich möchte daher auf zumindest vier Besonderheiten hinweisen, die den Antisemitismus ? in seinen historischen wie aktuellen Erscheinungsformen ? deutlich von der Islamophobie unterscheiden.
1. Die Vernichtungsdrohung
Dem modernen Antisemitismus, über dessen Entstehung im 19. Jahrhundert wir sprechen, geht es nicht um die Diskriminierung einer Religion bzw. ihrer Angehörigen. Vielmehr erfindet er in Form biologistischer und/oder nationalistischer Zuschreibung eine Rasse bzw. eine Nation.
Diese ist aber keine herkömmliche »Rasse« oder Nation ? so wie etwa Islam und Judentum Religionen unter anderen, Deutsche und Franzosen Nationen unter anderen wären. In rassistischen oder nationalistischen Konzepten können diese sich feindlich gegenüberstehen, bleiben aber dennoch Bestandteile des Ganzen. Die Juden jedoch sind gegenüber solchen antagonistischen Kräften das »ganz andere«, sie stellen als Gruppe die Ordnung der Welt insgesamt in Frage und sind daher umso gefährlicher. Sie sind das »Antivolk«, die »Figur des Dritten« (Klaus Holz), die allen anderen Kollektiven feindlich gesonnen sind. Damit werden die Juden mitsamt der ihnen vorgeworfenen Verschwörungen zum teuflischen Feind der Menschheit insgesamt.
Vor diesem Hintergrund wohnt die Idee der Vernichtung, also die Auslöschung der Gruppe der Juden als Feinde der Menschheit, dem modernen Antisemitismus seit seiner Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts inne. Eine solche Antifigur stellen die Muslime im Kontext der Islamophobie sicher nicht dar. Der moderne Antisemitismus beruht auf Fantasien einer jüdischen Weltverschwörung. Dagegen tauchen in der Islamophobie verschwörungstheoretische Ideologeme nur in Einzelfällen auf. Vielmehr beruht die Islamophobie auf solchen kulturalistischen Zuschreibungen, die für die »neuen« Formen des Rassismus typisch sind: Auf der Grundlage einer christlich-europäisch, sich aufgeklärt wähnenden »Leitkultur« werden Muslime und ihre Religion immer wieder pauschal und in kolonialistischer und rassistischer Manier als zurückgeblieben, unaufgeklärt und mitunter als terroristisch diskriminiert. Hier dominiert ein kulturalistisch-rassistisches Bild der Anderen. Diese »sollen bleiben, wo sie hingehören« oder sich anpassen und angleichen. Eine auf Verschwörungsfantasien beruhende »eliminatorische Islamophobie« existiert aber nicht. Die Islamophobie sollte daher auch nicht mit dem modernen Antisemitismus gleichgestellt werden.
2. Unbehagen in der Moderne
Der moderne Antisemitismus ist vor allem ein Ausdruck von Krisenerscheinungen im Kontext gesellschaftlicher Modernisierungen. Es handelt sich um einen Ausdruck des Unbehagens und Aufbegehrens von Menschen, die sich im Zuge
der Modernisierung diskriminiert oder zu kurz gekommen wähnen und Verantwortliche für Entwicklungen suchen, welche sie irritieren und verunsichern. Zu nennen wären da unter anderen die Individualisierung, Materialismus, Liberalismus, Aufhebung der Geschlechtertrennung und freiere Sexualität, neue Ausdrucksformen in Kultur und Medien. Im antisemitischen Weltbild sind es die Juden, die hinter den Kulissen anonymer gesellschaftlicher Entwicklungen die Fäden ziehen. Sie werden für als krisenhaft erfahrene Modernisierungsprozesse verantwortlich gemacht, ihnen wird vorgeworfen, die gewohnte Ordnung der Gemeinschaft zersetzen und zerstören zu wollen. Der moderne Antisemitismus ist antimodern. Die Islamophobie hingegen beruft
sich in der Regel explizit auf die Tradition der Moderne und gibt sich als anti-traditionalistisch ? es ist ja der Islam, dem vorgeworfen wird, eine vormoderne Religion zu sein und der notwendigen Aufklärung und Säkularisierung im Wege zu stehen. Damit bringt die Islamophobie eine ganz andere Art von Krisenempfinden innerhalb der »Mehrheitsgesellschaft« zum Ausdruck als der Antisemitismus.
3. Antisemitismus als Fiktion
Der moderne Antisemitismus ist eine Weltanschauung, die auch ohne Juden »funktioniert«: Unabhängig vom realem Verhalten von Juden beruht der Antisemitismus gänzlich auf der Fiktion von den Juden als Verschwörer. Dass Menschen der Vorstellung anheim fallen, dass Juden die Welt beherrschen und sich dazu aller nur erdenklichen Methoden bedienen, sagt viel über das Denken dieser Menschen und die Verhältnisse, in denen sie leben; es sagt aber nichts über die Juden und ihr konkretes Verhalten. Das Denken über »den Juden« ist reine Projektion, es ist gewissermaßen schon vorher da ? und findet sich im zufälligen Einzelfall, etwa dem reichen Juden, lediglich bestätigt.
Anders im Fall der Islamophobie: Wie in allen Vorurteilsstrukturen wird zwar auch hier vom Einzelfall ? etwa terroristischer Islamisten ? pauschal auf die Militanz des Islam und der Gesamtheit der Muslime geschlossen. Und auch hier sagen Ängste, Verdächtigungen und Rassismus nichts über das tatsächliche Verhalten von Muslimen aus. Diese sind also ebenso wenig »schuld« am Rassismus wie Juden »schuld« am Antisemitismus sind. Dennoch liegen der Islamophobie konkrete gesellschaftliche Probleme der Integration, des Terrorismus und andere Phänomene und Fragen zugrunde, die ? anders als im Fall der gesellschaftlichen Ursachen des Antisemitismus ? durchaus mit dem Islam und der Existenz von muslimischen Minderheiten zu tun haben. Die Islamophobie ist keine reine Projektion eines allgemeinen Krisenempfindens auf eine beliebige Gruppe, daher muss über die real existierenden Probleme, welche die Islamophobie anfeuern und über Optionen zur Begegnung dieser Probleme anders gesprochen werden als über den Antisemitismus.
4. Antisemitismus von unten
Der moderne Antisemitismus ist eine Ideologie, die sich ? abgesehen von ihrer rassistischen Variante, wie sie etwa im Bild der Ostjuden als Untermenschen zum Ausdruck kommt ? meist »von unten nach oben« artikuliert. Das heißt, dass sich Vertreter antisemitischer Anschauungen meist als ohnmächtige Opfer von übermächtigen Kräften inszenieren, wobei diese Kräfte in den Juden personifiziert werden. Diese besitzen demnach die Macht über das Kapital, die Medien, über Politik und Kultur. Vor diesem Hintergrund wollen Antisemiten sich und ihr Kollektiv aus den Fesseln der jüdischen Vormacht und ihrer Verschwörungen befreien. Antisemitismus schöpft seine Legitimation aus dieser Ideologie der Befreiung und Rettung der eigenen Gemeinschaft und der ganzen Welt.
Rassismus und Islamophobie hingegen argumentieren »von oben nach unten« ? hier geht es vor allem darum, den eigenen ideellen und materiellen Besitzstand und die eigene Überlegenheit gegen eine vermeintliche Bedrohung von außen zu wahren und zu verteidigen.
Noch einmal zusammengefasst: Die Juden sind ? anders als die Muslime ? im Antisemitismus die »ganz anderen«, das Antivolk, woraus auch der Wunsch nach ihrer Vernichtung abgeleitet wird, ein Wunsch, den es gegenüber Muslimen nicht gibt. Als Antwort auf gesellschaftliche Krisen ist der Antisemitismus antimodern, die Islamophobie hingegen gibt sich explizit anti-traditionalistisch. Dabei stellt die antisemitische Ideologie eine rein fiktive Übertragung allgemeiner gesellschaftlicher Krisenerscheinungen auf die Gruppe der Juden dar, während die Islamophobie Muslime im Kontext gesellschaftlicher Probleme diskriminiert, die tatsächlich mit Muslimen zu tun haben. Islamophobie und Rassismus richten sich »von oben nach unten« ? gehen also von Menschen aus,
die sich selbst überlegen fühlen, während der Antisemitismus eine »Opferideologie« darstellt, die von Menschen ausgeht, die sich befreien wollen.
Dieser Text erscheint in der Broschüre
„‚Die Juden sind schuld‘ – Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus. Beispiele, Erfahrungen und Handlungsoptionen aus der pädagogischen und kommunalen Arbeit“
der Amadeu Antonio Stiftung.
Die Broschüre wird heute abend in Berlin mit einer Podiumsdiskussion im Festsaal Kreuzberg vorgestellt. Mehr dazu unter
www.amadeu-antonio-stiftung.de
Ab Dienstag gibt es die Broschüre hier zum Download.