Und wieder wird es unbequem für die Deutschen im Umgang mit Israel und den Jüdinnen*Juden. Warum fällt das Jubiläum der Staatsgründung auch gerade auf diesen ungeeigneten Zeitpunkt? Noch vor kurzem wären die wenigen, aber fest an seiner Seite stehenden Israelfreund*innen auf deutschen Straßen zusammengekommen, um den Geburtstag des einzigen jüdischen Staates zu feiern. Sie hätten seinen Anfängen gedacht und die tragende Rolle ihrer eigenen Familienbiografien hinterfragt, die eine sichere Heimat für Jüdinnen*Juden überhaupt erst notwendig gemacht hatte. Aber heute ist nun einmal nicht vor Kurzem und Israel ist gegenwärtig nicht das, was seine Freund*innen hierzulande von ihm erwarten.
Israel hat gewählt. Mehrmals hintereinander, ohne eindeutige Mehrheit. Die Wahlergebnisse wurden – mit Ausnahme der großen Koalition, die sich nicht auf einen Koalitionsvertrag einigen konnte – mit jedem Wahldurchgang prekärer. Mittlerweile regiert eine Koalition konservativer, rechter und teils rechtsextremer Parteien bzw. Parteimitglieder, die das streitlustige Volk an den Rand der Erschöpfung treibt. Aus einer lebhaften Streitkultur wurde in kürzester Zeit ein erbitterter Kampf um das Überleben einer Demokratie. Nach wie vor der einzigen im Nahen Osten.
Außenpolitisch kämpft Israel seit der Nacht vom 14. Mai 1948 um sein Überleben. Jedoch nicht nur mit seinen unmittelbaren Feinden in der Nachbarschaft. Das Land kämpft bis heute täglich für Akzeptanz und um die existenziell notwendige Freundschaft zu anderen Ländern. Ständig den Scheinwerfern der Weltöffentlichkeit ausgesetzt, wird jede politische Entscheidung doppelt und dreifach abgewogen, da sie doppelt und dreifach von außen beleuchtet wird. Wird Israel mit Raketen beschossen, tagt ein Beraterstab, der eine militärische Antwort plant. Und wie bei keinem anderen Land auf der Welt wird die Außenwirkung eines Militärschlags vermutlich mindestens genauso in die Strategie miteinbezogen, wie der Sicherheitsaspekt und mögliche innenpolitische Konsequenzen. Das Rampenlicht, dem Israel ausgesetzt ist, gehört zum nicht verschriftlichten Teil der Gründungsvereinbarung. Die Vereinten Nationen gaben Jüdinnen*Juden nach dem europäischen Massenmord an ihnen das lang ersehnte, eigene Land, dafür wird bis heute jedoch besonders genau hingeschaut. Ein Arrangement, mit dem Israel zu leben gelernt hat.
Für Israels Existenz spielt jedoch nicht nur außenpolitisches Wohlwollen eine tragende Rolle. Zivilgesellschaftliches Engagement für den jüdischen Staat im Ausland und gerade in Deutschland ist mindestens gleichermaßen von Bedeutung. Und auch hier wird die Luft immer dünner. Ob Akademie oder Orangenhandel. Boykotte israelischer Personen oder Waren sind längst in intellektuellen Lagern und denen der Supermärkte angekommen. Und auch, wenn die Normalisierung antisemitischer Boykott-Kampagnen bestürzend ist: Es gab immer eine stabile Gruppe von Menschen, die sich der Verantwortung Jüdinnen*Juden gegenüber nicht entzogen und fest an Israels Seite standen. Die wahre Tragik ist, wenn ebendiese loyalen Israelfreund*innen ihre Zuneigung entziehen, weil Israels Mehrheit nicht in ihrem Sinne gewählt hat. Wenn sie sich wegducken, um die Feierlichkeiten rund um das Jubiläum der Staatsgründung nicht kommentieren zu müssen. Wenn sie sich ihrer Haltung und Verbundenheit nicht mehr sicher sind.
Israel ist mehr als ein Wahlergebnis. Mehr als eine momentane Schieflage, die berechtigterweise tief besorgt. Israel ist bis heute der einzige Ort auf der Welt, an dem Jüdinnen*Juden keinem Antisemitismus ausgesetzt sind. Es ist ihr Schutzraum. Egal, wer die Wahl gewonnen hat oder wer, so darf gehofft werden, bald nicht mehr regiert.
Auch wenn die Loyalität gegenüber Israel auf einen harten Prüfstand gestellt wird, darf die Reaktion darauf nicht sein, dem Land den Rücken zu kehren. Wir feiern keine Regierung, wir feiern die Geburt des einzigen jüdischen Staates vor 75 Jahren. Und manchmal muss man Feste eben feiern, wie sie fallen.