Israelbezogener Antisemitismus hat in Deutschland schon immer Hochkonjunktur. Die Linguistin Monika Schwarz-Friesel hat bereits 2014 Berichte in deutschen Medien in Sachen „Israelkritik“ untersucht und kam zu einem wenig überraschenden Ergebnis. Im Interview mit „Zeit Online“ fasst sie zusammen: „Die deutschen Medien kritisieren kaum ein Land so oft wie Israel. Wir haben die Berichterstattung über den Nahen Osten mit Artikeln über die Lage der Menschenrechte und Konflikte in anderen Ländern verglichen, wie Russland, China, Saudi-Arabien und Nordkorea. Kaum eines der Länder schnitt so schlecht ab.“ Das ist bemerkenswert, ist doch Israel weiterhin das einzige Land im Nahen Osten, das eine funktionierende Demokratie hat, in dem Homosexuelle und Transmenschen selbstbestimmt und ohne Angst vor Strafen leben können und in dem Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben.
Einseitige Berichterstattung, die eben nicht das ganze Bild eines komplizierten und vielschichtigen Konflikts zeigen will, ist auch momentan wieder aktuell. Anlässlich der von der Terrororganisation Hamas initiierten Proteste gegen die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem wird in vielen Medien das Narrativ der kriegstreibenden und aggressiven Israelis gegenüber den unterdrückten und hilflosen Palästinensern bedient. Zu den Protesten am israelischen Grenzzaun zu Gaza twittert beispielsweise Susanne Glass, immerhin die Chefin des ARD-Studios in Tel Aviv, folgendes:
Dabei erwähnt sie nicht, dass an diesen Drachen oft Brandbomben hängen, mit denen Felder und Häuser in Israel angezündet werden sollen.
Israelbezogener Antisemitismus – Was ist das eigentlich?
Der israelische Autor und Politiker Natan Scharanski entwickelte den „3-D-Test für Antisemitismus“, um legitime Kritik am Staat Israel von Antisemitismus zu unterscheiden. Die drei Ds stehen dabei für Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung.
Ein Beispiel für Dämonisierung ist die Bezeichnung Israels als „Apartheidsstaat“ – unter anderem hatte Ex-Außenminister Sigmar Gabriel das Land so genannt. Schwarze Südafrikaner, die unter der echten Apartheid gelitten haben, verwehren sich immer wieder gegen diese Relativierung des rassistischen alten Südafrikas. Ähnlich verhält es sich mit NS-Vergleichen. Um Israel zu beschreiben, müssen offenbar Superlative herangezogen werden. Das Land mit einem muslimischen Bevölkerungsanteil von 20 Prozent, in dem Arabisch in Schulen unterrichtet wird und die Mehrheit der arabisch-stämmigen Bevölkerung das Land sehr positiv betrachtet, ist für deutsche Kommentator_innen direkt mit dem rassistischen Unrechtsregime in Südafrika oder gar der menschenverachtenden NS-Diktatur vergleichbar. Israel wird so zum Inbegriff des Bösen.
Doppelstandards werden benutzt, wenn Israel für angebliche Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird, viel schlimmere Vergehen bei anderen Staaten aber schnell unter den Tisch fallen. Sicherlich würden sich Menschen in Tibet freuen, wenn der Auslöschung ihrer Kultur durch China genauso viel Aufmerksamkeit geschenkt würde wie israelischen Checkpoints an der Grenze zur West Bank. Auch schwule Männer in Gaza würden es wahrscheinlich begrüßen, wenn in westlichen Medien öfter darüber berichtet würden, dass männliche Homosexualität in Gaza oft tödlich endet und in der West Bank mit Peitschenhieben bestraft wird. Scharanksi erklärt das mit diesen Worten: „Es ist Antisemitismus, wenn Israel durch die Vereinten Nationen wegen Menschenrechtsverletzungen herausgepickt wird, während Länder wie China, Iran, Kuba und Syrien, die nachweislich wirklichen Missbrauch treiben, ignoriert werden.“
Bei der Delegitimierung geht es schließlich darum, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Angesichts der Geschichte Israels, das in seiner heutigen Form aus dem ehemaligen Mandatsgebiet der Briten hervorgegangen ist, wird behauptet, dass der Staat ein letztes Überbleibsel des Kolonialismus darstelle. Gerade aus der „antiimperialistischen“ Linken ist dieser Vorwurf immer wieder zu hören.
Musikalische „Israelkritik“
Israelbezogener Antisemitismus kann dabei in allen Bereichen vorkommen. Erst vor wenigen Tagen gewann die israelische Sängerin Netta mit ihrem Song „Toy“ den Eurovision Song Contest. Die selbsternannten Musikritiker_innen der Kommentarspalten beließen es dabei nicht bei der Musik, sondern bezogen wie selbstverständlich Israel und unter Umständen auch noch alle Juden und Jüdinnen mit ein.
Auf die Spitze trieb es schließlich die „Süddeutsche Zeitung“. Netta hatte sich über ihren Sieg mit den Worten „Next time in Jerusalem“ gefreut. Mit „Nächstes Jahr in Jerusalem“ schließen Menschen jüdischen Glaubens traditionell das Pessach-Fest ab. In einer Karikatur der SZ steckt dahinter Benjamin Netanjahu, der eine Rakete schwingend im Eurovision-Studio steht, das „V“ in „Eurovision“ wurde durch einen Davidstern ersetzt.
Mittlerweile hat sich die Zeitung entschuldigt. Man könne die Zeichnung „als antisemitisch auffassen“. Die Veröffentlichung sei ein Fehler gewesen, für den man sich entschuldige.
Israel als willkommener Sündenbock
Offener Antisemitismus ist in Deutschland seit der Shoah nicht mehr gerne gesehen. Wenn er von rechts außen von Neonazis und Rechtsextremisten kommt, ist der Aufschrei deswegen oft groß (aber nicht immer, vgl. BTN). Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, fasst das Ganze in einer Broschüre zu israelbezogenem Antisemitismus zusammen: „Es ist eine Mischung aus Neid und Verachtung, eine Furcht vor dem Kosmopolitischen, dem Abstrakten, dem Kapitalistischen, dem Revolutionären, dem Verschwörerischen und dem Intellektuellen. Das alles steckt in der antisemitischen Projektion, die freilich nichts mit dem realen Judentum zu tun hat. Es sind Urängste, tief sitzender Neid, bitterste Verachtung, niedrigste Bauchgefühle. Die Projektionen auf die Juden sind so komplex, dass sie eigentlich tun können, was sie wollen – es wird immer irgendein Ressentiment bestätigt. Nach dem Holocaust lässt sich das aber nur schwer zugeben, doch Gott sei Dank gibt es ja jetzt Israel. Das lässt sich gut mit als Kritik verkleidetem Ressentiment überschütten. Und in der täglichen Politik gibt es dafür auch immer wieder Anlass genug.“