Friedemann Bringt, Grit Hanneforth und Danilo Starosta, Kulturbüro Sachsen
Damals, in der DDR, blühten wenige Dinge so sehr wie der politische Witz. Es ging um Mangelwirtschaft (?Wie funktioniert man eine Banane zum Kompass um? Man lege sich auf die Mauer ? wo abgebissen wird, ist Osten.?) wie um Systemkritik (?Wird einer von der Volkspolizei angehalten: ?Können Sie sich ausweisen?? Er staunt: ?Kann man das jetzt selbst???). Ehrlich diskutierte man nur im Privaten. Politische Beteiligung war nur möglich bei Anerkennung der SED-Ideologie, öffentliche Abweichung und Kritik wurden bestraft. Witze waren ein Versuch, der Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität zu entkommen.
Dieselbe Funktion erfüllte das Übertragen von Verantwortung auf den Staat. Er war zuständig für die Lebensgestaltung von der Wiege bis zur Bahre ? dazwischen versuchte man, die Schwierigkeiten des DDR-Alltags durch einen übersteigerten Gemeinschaftssinn zu meistern. Dieser gilt vielen bis heute als positive Hinterlassenschaft, war aber eigentlich nur Ausdruck einer Notgemeinschaft, die den Mangel an öffentlicher Teilhabe und die Schwierigkeiten der Lebensorganisation privat auszugleichen suchte.
Das ging einher mit einer Ausgrenzung von Fremden. Laut Staatsdoktrin waren die sogenannten ?Vertragsarbeiter? aus den sozialistischen ?Bruderstaaten? willkommen, im Alltag aber gab es kaum Kontakte. Die Kubaner, Vietnamesen oder Mosambikaner mussten ? den westdeutschen ?Gastarbeitern? der frühen 1970er Jahre ähnlich ? teilweise Hilfsdienste erledigen, bekamen weniger Lohn, wurden in Wohnheimen isoliert. Auch gegenüber Nachbarn, den Polen etwa, wurden völkische Stereotype gepflegt, beruhend auf einem rassistisch konstruierten deutschen Arbeitsethos.
Zum Ideologiebestand gehörte weiterhin die Doktrin vom ?Antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaat?, nach der es im sozialistischen Teil Deutschlands keine ?Faschisten? gab ? denn die waren nach 1949 alle in die kapitalistische BRD gegangen. Eine tiefere Auseinandersetzung mit den Ursachen des Nationalsozialismus oder auch aktuellem Antisemitismus und Rassismus wurde vermieden.
Während der friedlichen Revolution 1989 bestand kurz die Chance für einen demokratischen Wertediskurs. Doch statt die Möglichkeit einer breiten Verfassungdebatte nach Artikeln 146 des Grundgesetzes zu nutzen, entschied die bundesdeutschen Eliten (unter schweigender Zustimmung einer Mehrheit der Noch-DDR-Bürger), alle administrativen und politischen Institutionen der BRD im Rahmen eines ?Beitritts? zu übernehmen.
Was das alles mit dem heutigen Rechtsextremismus in Ostdeutschland zu tun hat? Eine ganze Menge! Denn den fruchtbaren Boden der Ex-DDR haben seit 1989 Rechtsextreme mit Geld und Personal beackert. Die Situation heute kann man nur verstehen, wenn man die Vergangenheit im Blick hat. Die Mentalitäten der DDR-Notgemeinschaft und ihre kollektiven Entlastungsmomente (Abschieben von Verantwortung, Ressentiments, Alltagsrassismus) weisen Schnittmengen zu rechtsextremer Ideologie auf: In dumpfen rassistischen Pogromen, wie in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, setzten sich Anfang der 1990er Jahre Übergriffe fort, die es schon in der DDR auf ?Vertragsarbeiter? und linke Punks gegeben hatte. Als sich die neue Gesellschaftsordnung als unübersichtlich erwies, war es sehr naheliegend, Verantwortung fürs eigene Leben wieder an den Staat zu delegieren. Klare Führung und einfache Antworten, wie aus der DDR gewohnt, boten nun die Rechtsextremen von NPD & Co.
Schon kurz nach dem Mauerfall trafen sich Führungsfiguren des westdeutsche Neonazismus, angeführt von Michael Kühnen, mit Vertretern informeller rechtsextremer Gruppen, die dort schon in den Achtzigerjahren entwanden waren. Ab Mitte der Neunzigerjahre arbeitete auch die NPD zielstrebig am ?Aufbau Ost?. Der Parteiverlag ?Deutsche Stimme? wurde ins sächsische Riesa verlegt, die Bundesgeschäftsstelle der Jugendorganisation ?JN? nach Dresden. Damit hatte man Logistikpunkte, von denen aus organisiert und publiziert werden konnte. Rechtsextreme Kader aus dem Westen zogen nach Sachsen, aber auch nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Schnell fanden sie ideologischen Anschluss bei vor Ort angesehenen Bürgern wie dem Fahrschullehrer Uwe Leichsenring aus Königsstein in der Sächsischen Schweiz. Rechtsextreme Gesinnung störte dort lange Zeit kaum jemanden. In einer verqueren Harmoniesucht, die ost-typisch ist, galten in den Dörfern und Kleinstädten nicht die NPD-Kader als Nestbeschmutzer, sondern Leute, die deren Aktivitäten skandalisierten.
Die aus der DDR überkommenen mentalen Einstellungen und politischen Haltungen waren passfähig für das völkisch-kollektivistische NPD-Programm oder wurden passfähig gemacht. Schon 1998 ermahnte Parteichef Udo Voigt seine Kader, ?positive Aspekte der DDR ? gerade n der Sozialpolitik ? aufzugreifen und positiv zu besetzen, für das Volk nachvollziehbare Bezugspunkte herzustellen?. Man müsse ?klarmachen, dass wir Nationalisten die faktische Nachfolge der Kommunisten in der Vertretung sozialer Lebensinteressen des deutschen Volkes angetreten haben.?
Die NPD setzte auf rassistische Ressentiments und Ängste, die aus dem Kontrollverlust von privatem und öffentlichem Leben resultierten. Gezielt baute sie Verbindungen zur rechtsextremen Jugendkultur auf, die sich in Jugendclubs und ?Kameradschaften? in den frühen Neunzigerjahren weitgehend ungestört von den Behörden entwickeln konnten. Jugendspezifische Angebote, wie Rechtsrockkonzerte und Musikvertriebe, entstanden. Die NPD griff Themen auf, die den Alltag in Ostdeutschland prägen: Arbeitslosigkeit, Unübersichtlichkeit, ein Gefühl sozialer Ausgegrenztheit, mangelnde Lebensperspektiven, verbunden mit der Abwertung von DDR-Erfahrungen. An Arbeitslosigkeit sind Ausländer schuld, bei Unübersichtlichkeit im eigenen Leben die Demokratie ? und die Lösung für alles ist eine kuschelige deutsche Volksgemeinschaft.
Die Beteiligung der NPD an den Hartz-IV-Protesten und ?Montagsdemonstrationen? des Sommers 2005 brachte ihr vielerorts Anerkennung ein. Nach dem Einzug in den sächsischen Landtag war sie die einzige Partei, die sich zum Beispiel gegen die drohende Schließung der Lausitzer Textilfirma Erba-Lautex starkmachte. IN Plenardebatten präsentierte sich die NPD ? während eine Delegation der Firma auf der Zuschauertribüne saß ? als Hüterin der Interessen der Arbeiterschaft und einzige ?volksnahe? Fraktion im Landtag. Im März 2007 vermauerten die Rechtsextremen den Eingang der Arbeitsagentur im ostsächsischen Zittau und hinterließen auf dem Mauerwerk die Parole ?Ein neues System bietet neue Alternativen?, dazu die Unterschrift ?Nationale Sozialisten?. Kein Wunder eigentlich, dass die NPD in solchen Regionen mittlerweile fest verwurzelt ist.
Die Saat ist aufgegangen, in Ostdeutschland ist Rechtsextremismus heute erheblich stabiler und breiter als im Westen. Rassistische Stereotype und Konformitätsdruck prägen die einstige DDR-Gesellschaft noch immer. Die Verflechtung mit ihrem jugendkulturellen Umfeld ermöglicht der NPD aktivere Wahlkämpfe als den demokratischen Parteien. Zugute kommt den Rechtsextreme auch die besondere Schwäche der demokratischen Zivilgesellschaft im Osten, eine Verständigung über demokratische Grundwerte und deren Grenzen fand und findet kaum statt. Durch Ignoranz und Verschweigen ließen die politischen, kulturellen und auch wirtschaftlichen Eliten jahrelang Raum, den die NPD zu nutzen wusste. Unvergessen die Aussage des damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, seine Sachsen seien ?völlig immun [?] gegenüber rechtsradikalen Versuchungen.?
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Ein Aufsatz von Walter Süß, einem Forschungsmitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde
| Zeit Online
Dieser Text erschien im „Buch gegen Nazis“ – mehr Informationen hier.
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