Heute antwortet David Begrich von Miteinander e.V.
Was waren die wichtigsten Ereignisse in Sachsen-Anhalt im Jahr 2010, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?
Bei der Vielzahl der Ereignisse im Bereich Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt ist es schwierig, sich auf drei oder vier Ereignisse zu beschränken. Doch vor allem der NPD-Bundesparteitag in Hohenmölsen im November war sicherlich ein herausragendes Ereignis, auch weil dabei der Zusammenschluss mit der DVU beschlossen wurde. Er schrieb sich ein in eine Reihe von Ereignissen im Burgenland, die die NPD gestärkt haben.
In direkter Folge des Parteitags gab es Diskussionen um den SPD-Bürgermeister Hans Püschel, der öffentlich den NPD-Argumenten zugestimmt hat. Das war vielleicht überregional nicht so hörbar, aber hier hat das eine große Debatte hervorgerufen. Natürlich kann man sagen, er artikuliert damit Unzufriedenheit, und das soll er ja dürfen, entscheidend ist aber, dass er Leistungskompetenz an die NPD adressiert. Da kommen wir dann zur Frage nach dem Zustand der demokratischen Kultur im ländlichen Raum, wo die Leute glauben, dass die Bearbeitung politischer Probleme bei der NPD gut aufgehoben sei. Für eine demokratische Partei muss es ein Alarmsignal sein, wenn ein langjähriges aktives Mitglied die Meinungen der NPD gutheißt. Im konkreten Fall des Bürgermeisters wurde versucht, das Gespräch zu suchen, aber die Verständigung ist schwierig.
Ein weiteres Ereignis in diesem Zusammenhang ist der Fall Battke, Lutz Battke, der bei der Bürgermeisterwahl in Laucha im November von der NPD unterstützt wurde und 24% der Stimmen erhielt. Im Frühjahr gab es außerdem einen antisemitischen Übergriff auf einen jüdischen Jungen in Laucha, bei dem die Kausalkette auf Battke zulief. In Laucha ist Battke eine Integrationsfigur als Bezirksschornsteinfeger und Jugendtrainer im Fußballverein und wird als Person gesehen, nicht als ein NPD-Anhänger. Inzwischen ist er zwar als Trainer abberufen worden, aber er hat weiterhin Zugang zum Verein.
Im Fall Battke sieht man auch gut die Ungleichzeitigkeit der Wahrnehmung rechtsextremer Ereignislagen. Überregional werden die Dinge anders wahrgenommen als regional und die überregionale Problemsicht kommt nur mit großer Verzögerung vor Ort an. Zum Beispiel hat die ZEIT über den Fall berichtet, aber das wurde von den Menschen vor Ort nicht so wahrgenommen. Dort hat man das Gefühl, dass Leute von außen kommen und ihnen Probleme einreden. Man kann das mit einem Metropole-Peripherie-Bild beschreiben: die Uhren der Wahrnehmung gehen in den Regionen einfach anders als in den Metropolen. Und das ist die große Stärke der NPD, dieser Faktor Zeit. Sie haben die Zeit sich zu entwickeln. Sie wissen, dass in den Metropolen keine verstetigte Diskussion über rechtsextreme Politik stattfindet sondern die Berichterstattung schlaglichtartig und skandalisiert ist und dann wieder verschwindet. Das Ergebnis einer Debatte ist bei der nächsten Debatte wieder vergessen, einfach weil es keine Akteure gibt, die Kontinuität gewährleisten. Auch in Laucha vor Ort gibt es nur wenige engagementbereite Multiplikatoren. So fehlt es an einer analysierenden Wahrnehmung rechtsextremer Ereignisse, die diese in ein zeitliches und örtliches Kontinuum einordnet. Der Rechtsextremismus in Laucha ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat eine Vorgeschichte (mehr auf netz-gegen-nazis.de hier).
Im Bezug auf antisemitistische Ereignisse gab es vor allem noch die Schändung des jüdischen Friedhofs in Staßfurt im Mai 2010 und die Schändung des Synagogen-Mahnmals in Magdeburg im November. Die Städte haben sich zum Glück gleich deutlich dagegen positioniert und die Nazi-Schmierereien beseitigt.
Was erwarten Sie 2011?
Da steht in erster Linie die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt an und man kann sich darauf einstellen, dass die NPD einen intensiven, unpolitischen und bürgerorientierten Wahlkampf führen wird. Wir müssen sehen, wie die anderen Parteien darauf reagieren werden. Es reicht nicht aus, dass sie gegen die NPD argumentieren, wenn sie keine alternativen Vorschläge haben und das Wählersegment vor Ort nicht erreichen. Sie müssten vor allem mit den Wählern vor Ort kommunizieren, aber sind dazu wegen mangelnder Ressourcen oft nicht in der Lage.
Die NPD wird dagegen in die Regionen gehen und intensiven face-to-face Wahlkampf führen. Und dann muss man befürchten, dass in Regionen, in denen andere Parteien nicht so präsent sind, die Leute denken nur die NPD kümmert sich um sie. Während die anderen Parteien eher öffentlichkeitsorientierten Wahlkampf machen und in den größeren Orten aktiv sind, setzt die NPD auf Basisorientierung. Man wird der Reichweite der rechtsextremen Aktivitäten nur gerecht, wenn man sie in einen größeren zeitlichen Rahmen einordnet. Es ist gerade die Abwesenheit demokratischer Kultur in bestimmten Regionen, also in gewisser Weise die ?leeren Räume?, in denen es keine demokratischen Akteure gibt, die von der NPD gefüllt werden. Insofern reicht es nicht, wenn man erst heute mit einer Wahlkampfkampagne gegen die NPD beginnt.
Die Fragen stellte Christine Lang.
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