Von: LOBBI e.V.
Die Unterbringung von Geflüchteten in Mecklenburg-Vorpommern
Mehrere Landkreise haben es in den letzten Jahren versäumt, ausreichende Unterbringungsmöglichkeiten für ihnen zugewiesene Asylsuchende zu schaffen. Aufgrund der seit Längerem prognostizierten, steigenden Anzahl von Asylanträgen zeigten sich die Kreise und Kommunen in diesem Jahr zunehmend überfordert mit der Aufnahme von Geflüchteten. Eine vermeintliche Lösung schien es demnach, Geflüchtete in entlegenen Orten unterzubringen. Dezentral – wie es seit langem von antirassistischen Initiativen gefordert wurde – allerdings entgegen dieser Forderung und entgegen des sogenannten „Dschungelheimerlasses“ von 2001, ohne ausreichende Infrastruktur. Woran es hier fehlt sind ÄrztInnen, geschulte SozialarbeiterInnen, Einkaufsmöglichkeiten und eine engagierte Zivilgesellschaft.
Doch nicht diese Umstände sind es, die zumeist aus der Bevölkerung kritisiert werden. Vielmehr zeigen sich rassistische Ressentiments unter dem Deckmantel von Ängsten und Sorgen. Für die rechte Szene war es somit ein Leichtes, mit ihren Forderungen daran anzuknüpfen. Nicht nur landes- sondern bundesweit bediente vor allem die NPD die haltlosen Befürchtungen der Bevölkerung. In Mecklenburg-Vorpommern allein führte die NPD mehr als 20 Infostände und zwei Demonstrationen unter den Motto „Asylmissbrauch stoppen“ durch. Im Stile harmloser Bürgerinitiativen sammelten Neonazis, unterlegt mit rassistischer Propaganda Unterschriften gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Außerdem stellte die Partei auf kommunaler und auch auf Landesebene eine Vielzahl von parlamentarischen Anträgen. Besonders perfide jedoch war ein „Leitfaden“ des NPD-Landtagsabgeordneten Andrejewski, in dem BürgerInnen hetzerisch zum „richtigen Umgang“ mit Geflüchteten aufgefordert werden. Andrejewski profitiert hier von seiner Erfahrung während des Pogroms 1992 in Rostock-Lichtenhagen, wo er ebenfalls als geistiger Brandstifter gegen Geflüchtete und Verfolgte in Erscheinung trat.
Auch körperliche Übergriffe und zielgerichtete Sachbeschädigungen gegen Asylsuchende blieben vor diesem Hintergrund nicht aus. In Bergen auf Rügen beispielsweise wurde ein Geflüchteter aus Ghana ins Gesicht geschlagen, zwei weitere wurden mit einem Auto bedrängt, so dass sie sich nur über ein Feld in die Dunkelheit retten konnten. In Güstrow verursachte ein Böller im Keller der Gemeinschaftsunterkunft ein Feuer, welches zum Glück rechtzeitig von einem Wachschutzmitarbeiter bemerkt wurde.
Naziszene in Mecklenburg-Vorpommern
Nach wie vor ist die NPD als Landtagsfraktion im Schweriner Schloss vertreten. Ihre Landespolitik zeichnete sich 2013 vor allem durch kleine Anfragen und Anträge zu den altbekannten Themen „Grenzkriminalität„, „EU-Freizügigkeit“ und „Asylmissbrauch“ aus. Neben zahlreichen Infoständen und Kundgebungen wurden in diesem Jahr nur drei Aufmärsche mit jeweils etwa 250 Teilnehmenden organisiert. Der jährliche sogenannte „Trauermarsch„ in Demmin am 8. Mai, sowie gegen „Asylmissbrauch„ in Güstrow am 23. März und am Jahrestag der Novemberpogrome in Friedland.
Auf die Bundestagswahl bereitete sich die NPD in Mecklenburg-Vorpommern einerseits mit den erwähnten Infoständen vor, andererseits wurden wie gewohnt in fast allen Orten Wahlplakate montiert. Zu Angriffen auf Büros demokratischer Parteien kam es deutlich seltener als in den letzten Wahljahren. Wahrnehmbarer als in den Jahren zuvor war dafür die Zerstörung oder Beschädigung der Wahlplakate demokratischer Parteien. In Greifswald kam es im Zusammenhang mit dem Aufhängen von Wahlplakaten zu einem Übergriff auf ein Wohnprojekt. Ermittelt wurde unter anderem gegen wichtige Kader der NPD. Ein Prozess steht noch aus.
Das Ergebnis der Bundestagswahl lag mit 2,7 Prozent erwartungsgemäß deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 1,5 Prozent, allerdings verlor die NPD-Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem Ergebnis von 2009 0,7 Prozentpunkte.
Bemerkenswert, vor dem Hintergrund der 2014 anstehenden Kommunalwahlen, ist das unterschiedliche parteipolitische Engagement in den verschiedenen Landkreisen. Neben den Schwerpunktregionen Vorpommern-Greifswald und Ludwigslust-Parchim, ist zu beobachten, dass auch der Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte zunehmend aktiver wird. Mehr als 20 Veranstaltungen wurden hier allein in der ersten Jahreshälfte von der NPD organisiert. Nach dem Verbot des Kameradschaftsnetzwerkes „Mecklenburgische Aktionsfront“ stellt nun die NPD die wichtigste Struktur in der Region. Landesweit ist jedoch neben der NPD seit einiger Zeit auch wieder ein verstärktes Auftreten sogenannter freier Kameradschaften zu beobachten, nachdem diese als eigenständige, NPD-unabhängige Akteure jahrelang kaum eine Rolle spielten.
Bemerkenswert scheint auch eine Verschiebung bei im Bundesland stattfindenden Rechtsrockkonzerten. Seit der Eröffnung im Jahr 2010 galt das im nordwestmecklenburgischen Grevesmühlen gelegene „Thinghaus“ als einer der wichtigsten Konzertorte. Im ersten Halbjahr 2013 fand dort nach Behördenangaben dagegen nicht eine einzige Musikveranstaltung statt. Dies ist offensichtlich dem erhöhten polizeilichen Druck geschuldet. So standen Konzerte immer häufiger unter massiver Beobachtung, die mit Vorkontrollen anreisender BesucherInnen verbunden waren oder wurden gleich ganz verboten. Daher ist die rechte Szene gezwungen, auf andere Objekte auszuweichen, wie das „nationale Wohnprojekt“ im vorpommerschen Salchow oder den „Schweinestall“ im ebenfalls in Vorpommern liegenden Viereck, wo im Sommer 2012 auch schon das Pressefest der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ stattfand.
Auswirkungen eines möglichen NPD-Verbots
Auch wenn bisher noch nicht abschließend geklärt ist, ob das erneute Verbotsverfahren gegen die NPD erfolgreich sein wird, lässt sich feststellen, dass die NPD in Mecklenburg-Vorpommern auf einen solchen Fall bereits vorbereitet ist. Alle Immobilien, die den Nazis als Treffpunkt, Schulungs- oder Veranstaltungsort dienen, befinden sich in Privatbesitz. Dies gilt auch für weitere Infrastruktur wie Fahrzeuge und Equipment, wenngleich zahlreiche BeobachterInnen der rechten Szene davon ausgehen, dass Gelder von NPD-Landtagsabgeordneten beim Kauf eine wichtige Rolle spielten.
Gerade zivilgesellschaftliche AkteurInnen stehen dem nun eingeleiteten Verbotsverfahren durchaus kritisch gegenüber. Sie fürchten nicht nur ein mögliches Scheitern, das der Partei neuen Aufschwung bescheren dürfte, auch im Falle eines tatsächlichen Verbots betrachten sie die weiteren Entwicklungen im Land mit Sorge und warnen einerseits vor einer weiteren Radikalisierung und zunehmender Militanz. Außerdem mahnen sie zu Recht an, dass das Problem breit verankerter, rechter Einstellungen in der Mitte der Bevölkerung nicht mit der NPD verschwinden wird.
Zivilgesellschaft
Das 2012 im Zuge des NPD-Pressefestes der „Deutschen Stimme“ im Landkreis Vorpommern-Greifswald gegründete Bündnis „Vorpommern – weltoffen demokratisch bunt“ leistete auch 2013 einen großen zivilgesellschaftlichen Beitrag in der Schwerpunktregion der Neonaziszene in MV. Neben Mobilisierungsarbeit, Organisation demokratischer Feste und Informationsveranstaltungen wird eine weitere Vernetzung voran getrieben und sich verstärkt für eine Willkommenskultur für Geflüchtete eingesetzt.
Auch in Demmin, Güstrow und Friedland organisierten lokale und regionale Bündnisse Gegenveranstaltungen zu den Aufmärschen der NPD und arbeiteten dabei verstärkt mit antifaschistischen und antirassistischen Gruppen zusammen. Gemeinsam gelangen erfolgreiche Mobilisierungen, die Sitzblockaden oder unmittelbaren Protest ermöglichten. Dabei überstieg die Zahl der Gegendemonstrierenden regelmäßig die Anzahl der rechten Aufmarschteilnehmenden. Dies war in der Vergangenheit in Mecklenburg-Vorpommern keineswegs selbstverständlich.
Ausblick 2014
Einen Schwerpunkt in der ersten Jahreshälfte 2014 werden die Kommunal- und Europawahlen darstellen. Es ist mit einem massiven Wahlkampf der NPD zu rechnen, die weiterhin versuchen wird, mit dem Thema Asyl in der Bevölkerung zu punkten und sich weiter in den Kreistagen und Gemeindevertretungen zu etablieren. Ihre Chancen dafür stehen leider gut. Abzuwarten bleibt dagegen, ob die Dreiprozenthürde für die Wahlen zum Europaparlament bestehen bleibt oder die vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Klagen gegen diese erfolgreich sein werden. Sollte dies der Fall sein, ist ein Einzug der NPD in das europäische Parlament nicht unwahrscheinlich. Als deren Spitzenkandidat steht der Fraktionsvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende Udo Pastörs zur Debatte, obwohl er bereits in mehreren Prozessen wegen Beleidigung, Volksverhetzung und Leugnung des Holocaust verurteilt wurde und weitere Verfahren gegen ihn anstehen. Seine mögliche Kandidatur würde einmal mehr die bundesweite Bedeutung der hiesigen Neonaziszene unterstreichen, wird jedoch auch als Verlust für die NPD im Land gewertet.
Mehr auf netz-gegen-nazis.de:| Alle Bundesländer im Jahresrückblick 2013