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Sachsen 2016 Massive Gewalt führt zu Klimaverschiebung

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Demonstration von Pegida am 06.02.2016 in Dresden (Quelle: Kulturbüro Sachsen e.V.)

Interview von Simone Rafael mit Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen

Was war ein beispielhaftes wichtiges Ereignis im Bereich Rechtsextremismus in Sachsen?

Sachsen war schon immer eine Hochburg für rechtsextreme Gewalt. Doch von 2014 zu 2015 hatten wir einen Anstieg von 80 Prozent bei den rechtsextremen Gewalttaten – und auf diesem Niveau hat sich die rechtsextreme Gewalt in Sachsen eingependelt. Beispielhaft stehen dafür die Übergriffe auf dem Kornmarkt in Bautzen, bei denen Hunderte von Rassist_innen geflüchtete Jugendliche so lange provoziert haben – eine ganze Woche lang – bis diese sich wehrten, um sie dann durch die Stadt zu jagen. Das erinnert wirklich an Zustände in den 1990er Jahren. Zugleich wurden hier all die rassistischen Vorurteile und Zuschreibungen in der Bevölkerung sichtbar:  Die minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten seien geneigt, sexuell übergriffig zu sein, benähmen sich oft daneben, vertrügen keinen Alkohol, wären immer auf Streit aus. Dabei wurden die Jugendlichen in Bautzen von Rassist_innen eine Woche lang provoziert, jeden Abend waren es mehr, die die Geflüchteten bepöbelt haben. Bis die sich auch nicht mehr anders zu helfen wussten, als eine Flasche zurückzuwerfen. Und dann geriet alles außer Rand und Band. Wir können froh sein, dass niemand sein Leben verloren hat. Und dies war leider nicht der einzige schwerwiegende Angriff in 2016: Im Januar 2016 griffen Nazihools alternative Läden in Leipzig-Connewitz an und zerschlugen eine ganze Straße. Im Oktober 2016 gab es einen Sprengstoffanschlag auf eine Moschee in Dresden, der erst im Dezember 2016 aufgeklärt werden konnte. Der Täter kommt aus dem „Pegida“-Umfeld, hat unter anderem bei „Pegida“ als Redner auf der Bühne gestanden.  Auch nicht zu vergessen ist der Sprengstoff-Anschlag auf das Kulturzentrum Lokomov in Chemnitz, weil dort das Theaterprojekt „Unentdeckte Nachbarn“ sich mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“ befasste. Wir haben es in Sachsen inzwischen deutlich mit Rechtsterrorismus zu tun.

Was sind die Folgen?

Es gibt eine starke Einschüchterung unter engagierten Menschen. Viele trauen sich etwa nicht, in den kleinen Orten aktiv zu werden, in denen sie leben – die fahren lieber einmal die Woche nach Dresden, Leipzig oder Chemnitz, um sich etwa für Flüchtlinge einzusetzen. In Freital hat nach Verhaftung der „Terrorgruppe Freital“ tatsächlich die körperliche Gewalt abgenommen – doch die Bedrohung, Einschüchterung, Propaganda geht weiter. Laufend wird die Stadt mit rassistischen Sprüchen und Hakenkreuzen beschmiert – da fragt man sich schon: Wie ist es möglich, dass dabei nie jemand entdeckt wird? Wir sehen eine deutliche weitere Entmutigung der Zivilgesellschaft, wo Sicherheitsbehörden Nazis helfen, wie es offenbar in Freital der Fall war, oder Opfer nicht ernst nehmen oder gar als Schuldige benennen, wie in Bautzen. Wo dies geschieht, ziehen sich Menschen aus dem Engagement zurück. Zugleich beobachten wir aber auch, dass in Dresden, Leipzig und Chemnitz das Engagement gegen Rechtsextremismus zunimmt: Was der mit der Gesellschaft macht, ist in Sachsen nicht mehr zu übersehen. Jetzt engagieren sich auch Menschen, die zuvor nichts mit Politik am Hut hatten.

Was war in Sachsen die wichtigste Gruppierung im Bereich Rechtsextremismus?

Es gibt keine übergeordnete Struktur, die die rechtsextreme oder rechtspopulistische Szene insgesamt dirigiert. Vielmehr haben wir es aktuell mit Gruppen rechtsextremer Hooligans zu tun, die nicht parteigebunden sind, aber für viele Gewalttaten in Sachsen verantwortlich sind. Das sind Gruppen wie die „Freie Kameradschaft Dresden“, bei der es jetzt Ende November 2016 auch polizeiliche Hausdurchsuchungen gab. Das sind ein Dutzend Nazi-Hooligans, die sind bei jeder Gewalttat dabei, in Bautzen, in Heidenau, in Freital – wie gut, dass nun gegen sie ermittelt wird. Ähnlich funktioniert die Gruppe „Stream B.Z.“. Daneben hat die NPD etwa in der Sächsischen Schweiz und im Erzgebirge noch eine funktionierende Struktur – landesweit allerdings nicht mehr. Und dann haben wir in Dresden natürlich immer noch „Pegida“ – die bringen zwar nicht mehr 20.000 Menschen auf die Straße, aber doch jede Woche 2.000. Das wäre für jede andere politische Demonstration ein beachtenswerter einmaliger Erfolg, „Pegida“ schafft das immer noch jede Woche! Das ist inzwischen ein fester Treffpunkt, ein Happening für Rassist_innen mit festen Standorten, an denen man „seine“ Leute trifft – das nutzen auch die sächsischen Nazi-Strukturen gern zum Austausch.

 

Lesetipp: Kulturbüro Sachsen: „Sachsen rechts unten 2016“ (pdf zum Download).

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