1. Mobilisierungsfähigkeit der rechten Sphäre: Chemnitz, die Folgen und die „Causa Maaßen“
Die Ereignisse aus dem August 2018 in Chemnitz werden uns als das Großereignis der rechten Sphäre im Gedächtnis bleiben, weil hier so viele Entwicklungen des Jahres 2018 zusammenkommen
- Sie beginnen mit Desinformation: Die rechte Sphäre entwickelt zu einer bis heute nicht aufgeklärten Tat, bei der ein 35-Jähriger Chemnitzer nach einem Streit erstochen wird, ein rassistisches Täterbild, das mit Absolutheitsanspruch verkündet wird und auf fruchtbaren Boden fällt. Es enthält: Flüchtlingsfeindlichkeit, Hass auf Demokratie und Politik, Selbstjustiz- bis Bürgerkriegsfantasien, Wir-gegen-die.
- Es folgt eine massive Mobilisierungskampagne über Internet, Soziale Netzwerke, Messenger-Dienste quer durch die gesamte rechte Sphäre – also von „bürgerlichen“ rassistischen Wutbürger*innen über Rechtspopulist*innen aus dem AfD-Umfeld bis zu rechten Hooligan- und Kampfsportgruppen, parteinahen und freien Neonazis und Rechtsextremen, Neurechten wie der „Identitären Bewegung“.
- Die Mobilisierungsfähigkeit auf die Straße war trotzdem nicht vorherzusehen: Bei den größten Demonstrationen standen in kürzester Zeit 6.500 Rechte in Chemnitz auf der Straße: Von alkohol- oder erfolgstrunkenen Pöbel-Nazis, die Hitlergrüße und nackte Hintern zeigten, über rassistische Omas, PEGIDA-Chef Lutz Bachmann bis zu AfD-Funktionären wie Björn Höcke, Andreas Kalbitz, Uwe Junge oder Josef Dörr: Ein Schulterschluss auf der Straße des gesamten rechten Spektrums für Rassismus und gegen Demokratie.
- Die Polizei war leider weniger mobilisierungsfähig, handelte zunächst wenig, weil in Unterzahl – trotz vorheriger Warnung durch den Verfassungssschutz.
- Aus den Demonstrationen kam es zu Angriffen auf Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen.
- Im Anschluss zeigte sich eine Zögerlichkeit im Umgang bei der lokalen Politik – und eine irritierende Nähe beim Verfassungsschutz in der Person von Hans-Georg Maaßen, der dokumentierte Übergriffe verneinte, als mögliche Desinformation der „linken“ Szene beschrieb und die Demonstrationen herunterspielte. Die rechte Sphäre applaudierte seiner Deutung als Beleg für die von ihr stets vermutete „Lügenpresse“, bis die Echtheit des Videos unumstößlich belegt war.
- Der Umgang mit der „Causa Maaßen“ gab leider jeglicher Politikverdrossenheit Zucker: Statt im Anschluss klar zu agieren, stellte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer vor den Verfassungsschutzchef, bis er wirklich nicht mehr tragbar war, und vereinbarte dann mit Zustimmung der SPD, dass Maaßen seine Posten aufgebe, dafür aber als Staatssekretär mit höheren Gehalt ins Bundesinnenministerium hochgelobt werde. Erst nach massiver Kritik durch Oppositionsparteien und Teile der SPD verhinderte dies und führte zur Versetzung Maaßens in den einstweiligen Ruhestand im November 2018. Doch das Vertrauen in eine demokratische Politik, die das Grundgesetz und Menschenrechte aktiv verteidigt, war da schon erschüttert.
2. Rechtsextreme mit Informationen und Waffen: Polizei und Bundeswehr
Dass autoritär organisierte Strukturen wie Polizei und Bundeswehr autoritär orientierte Menschen anziehen, liegt in der Natur der Sache. Allerdings sollten Staatsdiener das Bekenntnis zu Grundgesetz, Menschenrechten und Demokratie nicht nur bezeugen, sondern auch ernst meinen. 2018 gab es leider eine ganze Reihe von Fällen, die das Vertrauen demokratischer Menschen auf die Selbstregulierungskräfte von Polizei und Bundeswehr zu erschüttern vermochte.
- Der Fall Franco A. – ein rechtsextremer Bundeswehrleutnant, der sich Waffen besorgt und als Flüchtling registriert hatte, um mutmaßlich einen Terroranschlag zu verüben und ihn Geflüchteten zuzuschreiben, kam 2017 ans Licht. Das Ausmaß seines Netzwerkes stellt sich 2018 allerdings anders da. Nachdem zunächst fünf Kameraden als Zeugen vernommen wurden und Matthias F. als mutmaßlicher Mittäter, zumindest aber rechtsextreme Mithetzer (36.000 Whatsapp-Nachrichten, teilweise deutlichsten Inhalts) identifiziert wurde, fand der Bundesgerichtshof die Beweise nicht überzeugend und hob den Haftbefehl gegen Maximilian T. auf, der AfD-Mitglied wurde und seit April 2018 Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte ist. Im Oktober 2018 wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Der Haftbefehl gegen Franco A. wurde im November 2017 aufgehoben. 2018 wurde eine „Feindesliste“ von Franco A. bekannt; er hatte Politiker*innen und Aktivist*innen verzeichnet, die er für feindlich hielt – darunter auch die Amadeu Antonio Stiftung, zu der Belltower.News gehört (vgl. taz). Im November 2018 zeigen allerdings Recherchen der „taz“ auf, dass es weiterhin ein über Chats organisiertes Untergrundnetzwerk ehemaliger und aktiver Soldaten, Polizisten, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und anderer Beamter sensibler Behörden gibt, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiten, an dem sie vermute, dass es eine staatsgefährdende Krise geben könnte – es sind rechte „Prepper„. Sie wollen die Krise nutzen, um mit Gewalt die Macht im Staat zu übernehmen und sich politischer Gegner, Politiker*innen und Aktivist*innen des demokratischen – ihrer Sichtweise nach des “linken” – Spektrums zu entledigen. Zentrale Figur dieses rechten Prepper-Netzwerkes ist ein weiterer Soldat der KSK, André S. alias „Hannibal“. Franco A. war im Netzwerk auch aktiv. Der Chef des Militärischen Abschirmdienstes, Christof Gramm, sagt bei einer Befragung im Bundestag zu den Recherchen: „Wir haben keine gewaltbereiten Rechtsextremisten festgestellt.“ Und: „Eine Vernetzung von gewaltbereiten Extremisten innerhalb der Bundeswehr findet daher auch nach unserer Wahrnehmung nicht statt.“ (vgl. BTN)
- Weitere Fälle werden 2018 aus Polizeikreisen in Sachsen bekannt: Da ist der Haftbefehl gegen einen Tatverdächtigen im Tötungsdelikt von Chemnitz (siehe 1.), den ein JVA-Mitarbeiter fotografierte und veröffentlichte, woraufhin er auf verschiedenen „rechts-alternativen“ Web-Medien veröffentlicht und zu rassistischer Mobilisierung genutzt wird (vgl. ZEIT). Der „Hutbürger“ erheitert uns im August, als er auf dem Weg zu einer „PEGIDA“-Demonstration in Dresden einen Journalisten hindern will, ihn zu filmen – aber auch er arbeitet(e) bei der Polizei, ist Mitarbeiter des LKA Sachsen (vgl. Tagesspiegel; er bleibt im Staatsdienst, aber nicht bei der Polizei, vgl. Welt). Ein Polizeischüler bricht seine Ausbildung bei der Polizei Sachsen ab und spricht über die Gründe: Er kann den Rassismus, der an der Polizeischule als „normal“ gilt, und zwar bei Azubis wie bei Ausbildern, nicht mehr ertragen (vgl. WDR, Neon)
- Im Dezember 2018 fliegt eine rechtsextreme Gruppierung in der Polizei Hessen auf: Die Chatverläufe von 6 Beamten lassen keinen Zweifel an ihrer rassistischen und rechtsextremen Gesinnung. Über einen Polizei-Computer in Frankfurt wurden Daten abgerufen, die später für ein Bedrohungsschreiben an die Rechtsanwältin Seda Baday-Yildiz genutzt werden, dass ihr aus dem Darknet zugeht: In der mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Nachricht steht u.a., dass ihre zweijährige Tochter „geschlachtet“ werden soll, nebst ihrer nicht-öffentlichen Adresse und dem Namen ihrer Tochter. Der Innenminister von Hessen möchte hier auch nicht von einem Netzwerk sprechen, und auch nicht darüber, dass es interne Ermittlungen offenbar seit einem halben Jahr gibt, Konsequenzen aber erst jetzt (vgl. NTV).
- In Berlin wird Ende des Jahres ein Verdacht zur Gewissheit: Der Absender von Drohbriefen an vermeintliche Hausbesetzer*innen in der Rigaer Straße war ebenfalls ein Polizist (vgl. tagesschau).
3. Die AfD verändert die politische Debattenkultur in Deutschland
Die AfD versuchte 2018 im Bundestag und in allen Landtagen demokratische Grundregeln des Umgangs und der Debatte zu unterminieren. Sie hat Beschimpfungen, Desinformation, Respektlosigkeit, Unsachlichkeit in die parlamentarische Debatte gebracht. AfD-Funktionär*innen provozieren, um ihr Klientel zu erfreuen, aber vor allem, um demokratische Institutionen und Parteien vorzuführen und zu reizen, damit sie sich bestenfalls selbst undemokratisch verhalten, was der AfD die geliebte Opferrolle ermöglicht. Ein Professionalisierung der Provokationen ist dabei ebenfalls zu erkennen: Nachdem AfD-Funktionär*innen verstanden haben, was die Wahlerfolge ihnen ermöglichen, nutzen sie jeden Kanal, den sie nun haben: Sie lähmen etwa die Parlamente und Verwaltungen durch unzählige kleine und große Anfragen (vgl. BTN, Spiegel online) und nutzen die ihnen nun zugänglichen Informationen, um demokratische Initiativen, Institutionen und Akteur*innen anzugreifen und einzuschüchtern, mit dem Ziel, ihnen schlussendlich die Arbeit unmöglich zu machen, sei es durch den Psychoterror oder die Beendigung der Finanzierung. Natürlich dienen auch die Anfragen als Provokation und Ausdruck politischer Gesinnung – wenn die AfD etwa wissen will, ob es mehr Behinderungen durch Inzucht in Familien mit Migrationshintergrund gäbe (vgl. BTN), wie viele Sinti und Roma in Sachsen wohnen (vgl. BTN, II), oder ob „deutsche Frauen“ jetzt keinen Platz mehr in Frauenhäusern bekämen, weil die jetzt voll seien mit geflüchteten Frauen, weil deren Männer ja alle gewalttätig seien (Spiegel online).
Sie schickt möglichst provokante Vertreter*innen in Gremien von Gedenkstätten und Stiftungen, also Rassist*innen in antirasstische Institutionen (z.B. AfD-Richter Jens Maier im „Bündnis für Demokratie und Toleranz“) oder erklärte Homofeinde in Stiftungen, die sich gegen die Diskriminierung von LGBTIQ* einsetzen (z.B. Nicole Höchst in die Magnus-Hirschfeld-Stiftung) (vgl. BTN). Um ihre „alternative“ Weltsicht ungefiltert verbreiten zu können, besitzt die Bundes-AfD seit 2018 einen eigenen „Newsroom„, der Social Media via Sharepics und Videos mit der AfD-Weltsicht beschallt.
Dagegen gehört reale politische Arbeit in der Parlamenten nicht zu dem, was die AfD tut.
Bedrohungsszenarien auch gegen andere Parlamentarier*innen und ihre Mitarbeiter*innen sind auch dadurch gegeben, das die AfD-Fraktionen zahlreiche Rechtsextreme beschäftigen – als dem Umfeld der „Neuen Rechten“ und der „Identitären“, aber eben auch Rechtsextreme aus dem ehemaligen „HDJ“-Umfeld oder den unter Rechtsterrorismus-Verdacht stehenden ehemaligen Soldaten Maximilian T. (siehe Punkt 2) – vergleiche dazu die große Recherche von ZEIT online aus dem März 2018 oder der taz im November 2018.
Bisher war die AfD mit diesen Strategien nicht erfolgreich, weil die demokratischen Parteien größtenteils zusammenhalten, wenn es darum geht, ihre Falscherzählungen zu widerlegen und ihre Angriffe auf die Grundlagen der Demokratie zurückzuweisen. Aber es gibt auch Themengebieten und Regionen, wo Erosionen zu erkennen sind – etwa, wenn es um die Diskreditierung von Demokratie-Initiativen geht, die Teilen der CDU auch unbequem sind.
4. Neonazis: Parteien und geplante Demos sind out, Rechtsrock-Großevents sind in
Den „klassischen“ neonazistischen Rechtsextremismus gibt es in Deutschland weiterhin, doch er verändert sich von Partei-Bindungen und organisierten Gruppierungen weg und wieder zu einer subkulturell-aktionistischen Szene hin. Heißt: Rechtsextreme Parteien wie NPD, Die Rechte oder Der III. Weg gibt es, aber sie erzielen kaum mehr als regionale Wirkung, nicht einmal in der eigenen Szene. Vor allem die NPD verliert weiter an Bedeutung, da Wahlstimmen von allen Rechtsaußen-Kräften, die sich eine Veränderung des Systems über Parlamente vorstellen können, an die AfD gehen. So sehen nun auch NPD-Vertreter*innen eher in lokalen flüchtlingsfeindlichen und subkulturellen Szenen ihr Betätigungsfeld (Musik und Konzerte, flüchtlingsfeindliche Gruppen), als um Wähler*innen-Stimmen zu werben.
Waren jahrelang Demonstrationen ein Haupt-Betätigungsfeld für die Rechtsaußen-Szene („Kampf um die Straße“, verlieren sie langsam aber sicher die Lust daran. Wie schrieb Kay Hönicke von „Wir für Deutschland“ nach einer wenig beteiligungsstarken Demonstration in Berlin am 09. November 2018? „Der Widerstand ist sinnlos geworden in Deutschland. (…) Die Leute sind nicht mehr bereit auf die Straße zu gehen.“ Man wolle „nicht mehr von der Antifa angeschrien werden“ und auch nicht weiter „im Kreis laufen“ und „sinnlos rufen ‚Merkel muss weg‘“, sagte der Mitorganisator der gleichnamigen Berliner Aufmarschreihe (vgl. BNR). Also: Bei angekündigten Demonstrationen gibt es zu viel Gegenproteste, bisweilen komplette Blockaden, und zu wenig Beteiligung – sie sind deshalb nicht mehr attraktiv. Ausnahme sind Spontanmobilisierungen wie Chemnitz.
Die rechtsextreme Szene hat dennoch ihre Treffpunkte, um Nazi-Shirts aufzuführen und gemeinsam zu grölen – und das sind 2018 Rechtsrock-Großevents. Die lassen sich bestenfalls sogar als politische Versammlungen anmelden und sind dann via Demonstrationfreiheit geschützt. Die größten waren 2018
- Schild und Schwert-Festival (SS-Festival), 20. April, Veranstalter: NPD-Funktionär Thorsten Heise, Ort: Ostritz (Sachsen), Teilnehmer*innen: 1.100 Neonazis (vgl. BTN)
- Rock gegen Überfremdung III, 25. August, Veranstalter: der Saalfelder Neonazi Steffen Richter; Ort (geplant): Mattstedt (Thüringen), erwartete Teilnehmer*innen: 5.000, in letzter Minute untersagt (vgl. BTN).
- Rock gegen Überfremdung III, 08. Oktober, Veranstalter: NPD-Funktionär Sebastian Schmidtke und die „Turonen“, Ort (geplant): Magdala (Thüringen), erwartete Teilnehmer*innen: 4.000; nach Verbot ausweich nach Apolda (Thüringen), 1.000 Teilnehmer*innen (vgl. BTN):
- Schild und Schwert-Festival (SS-Festival), 2./3. November, Veranstalter: NPD-Funktionär Thorsten Heise, Ort: Ostritz (Sachsen), Teilnehmer*innen: 1.100 Neonazis (vgl. BTN)
5. Sport: Hooligans gehen weiter, aber Kampfsport kommt
Die rechtsextreme Hooligan-Szene ist seit PEGIDA- bzw. HoGeSa-Zeiten gut mit allen Teilen der rechtsaußen Szene vernetzt und so weiterhin ein wichtiger Player – so ging etwa die Mobilisierung in Chemnitz (siehe 1) von der Hooligan-Gruppe „Kaotic Chemnitz“ aus, zahlreiche andere rechte Hooligan-Gruppen haben die Erzählung des „von Flüchtlingen ermordeten Deutschen“ (bisher nicht ausermittelt) geteilt und sind angereist. Eine ähnliche Mobilisierung zum Tod von „Captain Flubber“ in Mönchengladbach floppte allerdings (vgl. BTN). Teile der sächsischen Hooligan-Szene sind 2018 mit den Prozessen wegen der Randale von 200 Neonazis am 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz beschäftigt. Die Prozesse versprechen allerdings nicht, eine abschreckende Wirkung zu entfalten, weil alle aussagen, nur mitgelaufen zu sein – und damit durchkommen, weil Beweise fehlen (vgl. BTN, Spiegel online). Nichtsdestotrotz waren auch bei der rechtsterroristischen Gruppe „Revolution Chemnitz“ Hooligans dabei (vgl. BTN).
Zu Brennpunkten der Vernetzung gewaltbereiter Szenen werden währenddessen Kampfsport-Events. Neben Events, die rechtsextreme – und ebenso islamistische – Kämpfer unkommentiert auftreten lassen, gibt es auch Events von rechtsextremen Veranstaltern für rechtsextreme Kämpfer. Außerdem werden Kampfsport-Auftritte Bestandteil von Neonazi-Musikevents. So gab es ein kleines Turnier etwa auch beim „Schild & Schwert-Festival“ am 20./21. April 2018 in Ostritz (vgl. BTN).
- „Kampf der Nibelungen“, 13.10.2018, „Hotel Neisseblick“ in Ostritz (Sachsen), 700 Teilnehmer, Kämpfe in den Bereichen MMA (Mixed Martial Arts), Boxen und K1 (Regelwerk für verschiedene Kampfsportarten), Organisator: Alexander Deptolla, ehem. „Nationaler Widerstand Dortmund“), Co-Organisator: die russische neonazistische Kampfsport-Marke „White Rex“ von Denis Nikitin (vgl. BTN). Parallel fanden zwei rechtsoffene Fightnights in Plauen statt (vgl. Runter von der Matte).
Unterstützt wurde der „Kampf der Nibelungen“ übrigens von der Hooligan-Infoplattform „GruppaOF“ – so kommen dann beide Szenen zusammen.
6. Internet: Whatsapp- und Telegram-Gruppen, IB als Soap-Opera, Hass als Game, Desinformation als Standard
Vernetzung findet in der Rechtsaußen-Sphäre 2018 online statt – und das nicht nur in Form von Demo-Aufrufen oder flüchtlingsfeindlichen Social Media-Seiten. Wenn rechtsextreme AfD-Aussagen auffliegen, Rechtsterrorist*innen sich zu Straftaten verabreden, Polizist*innen rechtsextremer Ideologie überführt werden (siehe 2), ist immer ein Whatsapp- oder Telegram-Chat im Spiel oder ein geschlossene Facebook-Gruppe, die als Tor in die rechtsextreme Gedankenhölle fungieren. Manche dieser Gruppen und Kanäle sind tatsächlich vor der Öffentlichkeit verschlossen, viele arbeiten aber mit einer Teilöffentlichkeit – sprich: Teilnehmer*innen müssen eingeladen werden. Die Einladungen lassen sich teilweise aber durch schlichtes Googeln finden. In den Chat-Gruppen geht es um Vernetzung, Mobilisierung, Desinformation und Propaganda, gegenseitige Weltbild-Bestätigung oder rassistisch-eliminatorische Träume davon, wie ein ideales Deutschland aussehen solle – Feindbild-Listen inklusive.
Andere Teile der rechten Sphäre suchen die Internet-Öffentlichkeit auch um den Preis der Privatsphäre: IB-Posterboy Martin Sellner filmt und fotografiert sich (und seine Freundin) in jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit – auf dem Flughafen auf dem Weg zu IB-Events, im heimischen Wohnzimmer und auch nach der Verhaftung (auf geliehenen Geräten) durch die österreichische Polizei im Frühjahr 2018, als der IB der Prozess als kriminelle Vereinigung gemacht wird (leider erfolglos). Damit inszeniert er rechtsextreme Ideologie eingebettet in die Banalität des Lebens wie eine Soap-Opera, deren Fans jede neue „Folge“ gespannt erwarten. So trifft es die „Identitären“ hart, als Facebook und Instagram im Sommer durchgreifen und ihre Profile sperren (als „Hasskriminalität“). Sellners Trost: YouTube, seine Hauptsendequelle, bleibt ihm (noch). Ein Umzug zum russischen VK-Netzwerk dagegen floppt: Sellner hatte auf Facebook 30.000 Fans – auf VK sind es noch 2.500 (vgl. BTN).
Anfang des Jahres 2018 rückte das Netzwerk „Discord“ in den Fokus: Auf der Gaming-Plattform organisierten Rechtsextreme Hass-Trolling als Spiel. Hier wurden die Formen des „Memetic Warfare“, die bereits 2017 in Handbüchern von D-Generation und der IB beschrieben worden waren (vgl. BTN), in „Tagesbefehle“ in einem Kriegs-Spiel verwandelt: Wer genug Menschen beleidigt, YouTube-Videos hoch- und heruntergewertet hat, Meinung durch „Sockenpuppen“ (Fake-Accounts) manipuliert hat, politische Gegner*innen durch Veröffentlichung persönlicher Daten „gedoxxt“ hat, konnte vom Fußsoldaten zur Generals-Ebene aufsteigen. Das gefiel Anhänger*innen von AfD, NPD, Neonazi-Aktivisten, IBler, Internettrollen, Reichsbürger*innen – aber nicht der Plattform Discord, die nach Bekanntwerden des Vorgangs viel Mühe dahinein legt, rechtsextreme Server zu schließen und von der Plattform zu verbannen, während die rechte Szene viel Mühe dahinein legt, neue zu eröffnen – Teilnehmende kostet es sie aber allemal.
Ein ungelöstes und zunehmendes Problem im Sozialen Netzwerken sind gezielte politische Desinformationen durch so genannte „alternative“ Medien und (hyper-)aktive Hass-Kanäle. Wer sich in das Netzwerk aus minütlichen Horrorerzählungen über gewalttätige Flüchtlinge und Migranten, untätige bis „volks“feindliche Politiker*innen und alle gesellschaftlichen und kulturellen Werte zerstörenden Demokrat*innen begibt, kommt schnell in einen Zustand, in dem ein baldiger Bürgerkrieg unausweichlich und nötig erscheint. Schnell ist dann ein verschwörungsideologisches Mind-Set erreicht, dass jede bestätigende Information kritiklos aufnimmt und weitergibt und allem misstraut, dass dem Weltbild entgegen spricht. Aufklärung über Fehlinformationen muss sachlich daherkommen und recherchiert werden, schafft es aber unmöglich, das Bedrohungsgefühl aufzuhalten. Versuche, hier regulierend einzugreifen (etwa durch bevorzugte Ausspielung journalistischen Standards entsprechender Beiträge), ist sinnvoll, wird aber von klagenden „Zensur“-Rufen begleitet.
7. Rechtsterrorismus vor Gericht
2018 haben einige wichtige Prozesse zu Rechtsterrorismus ihr Ende gefunden:
Der NSU-Prozess
- Vor Gericht: 1 Haupttäterin (2 weitere Haupttäter tot), 4 Helfer
- Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, 10 Morden, 2 Bombenanschlägen, 17 Raubüberfällen, ein Mordversuch auf zwei Polizeibeamte und eine Brandlegung
- Strafen von lebenslanger Haft (Zschäpe) bis 2 Jahre und sechs Monate (André Eminger).verurteilt worden.
- nach 5 Jahren Verhandlung, teilweise mit erschreckend niedrigen Strafen (vgl. BTN).
Gruppe Freital
- Vor Gericht: Sieben Männer, 1 Frau
- Fünf Anschläge in Freital und Dresden; Bildung einer terroristischen Vereinigung, des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen und versuchten Mordes beziehungsweise Beihilfe
- lange Haftstrafen (10 Jahre) für die beiden Haupttäter (vgl. BTN, mdr)
Wehrhahn-Prozess
- Vor Gericht: Neonazi Ralf S.
- Bombenanschlag am Düsseldorfer Bahnhof Wehrhahn im Jahr 2000
- Bitter: Täter konnte die Tat nicht nachgewiesen werden, Freispruch (vgl. BTN, ZEIT).
Prozess kommt, Verhaftung 2018: Revolution Chemnitz
- Neonazis planten rechtsextreme und rassistische Morde im Chat
- Sieben Männer festgenommen (vgl. ZEIT, Freie Presse,BTN)
Kurzum: Wir müssen 2019 auf unsere Demokratie aufpassen!
Anders als in vergangenen Jahren haben wir es aktuell mit einer selbstbewussten, aufgeputschten und gut vernetzten Rechtsaußen-Sphäre zu tun, die sich zusammenschließt und bewaffnet und selbst in Parlamenten durch die AfD ideologische Rückendeckung erhält, wenn es um Rassismus und Demokratiefeindlichkeit geht. Dennoch handelt es sich um eine Minderheitsmeinung in Deutschland, auch wenn sie derzeit laut und teilweise furchteinflößend ist. Dem müssen wir gesamtgesellschaftlich entschlossen, mit Haltung und Mut auch zu unbequemen Entscheidungen entgegen treten – damit der Einsatz für Demokratie, Grundgesetz und Menschenrechte eine Normalität bleiben kann.
Jahresrückblicke 2018 aus den einzelnen Bundesländern
- Baden-Württemberg
- Bayern
- Berlin
- Brandenburg
- Bremen
- Hamburg
- Hessen
- Mecklenburg-Vorpommern
- Niedersachsen
- Nordrhein-Westfalen
- Rheinland-Pfalz
- Saarland
- Sachsen
- Sachsen-Anhalt
- Schleswig-Holstein
- Thüringen
- Bundesweit
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