2019 wurde in Brandenburg gewählt: Kommunale Parlamente, Bürgermeister*innen und – wie auch in Sachsen und Thüringen – ein neuer Landtag. Die extrem rechte AfD erlangte bei der Landtagswahl 23,5 % der Zweitstimmen und stellt nun die zweitstärkste Fraktion. Gegenüber der rot-schwarz-grünen Landesregierung bildet sie die größte Oppositionspartei. So weit, so bekannt. Dieser Text soll keine Wahlanalyse darstellen, sondern ein paar Schlaglichter auf die extrem rechten Aktivitäten und Netzwerke im zurückliegenden Jahr werfen.
Keine andere extrem rechte Partei hat es seit 1990 in Brandenburg geschafft, das Wählerpotenzial für rassistische, nationalistische und antisemitische Positionen so für sich zu nutzen, wie die AfD in 2019: Im Mai ist sie flächendeckend in die Gemeinden, Städte und Kreistage eingezogen; in Cottbus, Spree-Neiße und Märkisch-Oderland wurde sie sogar stärkste Partei. Im September entschieden sich dann fast ein Viertel der Wählenden für die rechtsaußen Partei. An der fehlenden Aufklärung über die AfD können diese hohen Wahlergebnisse nicht gelegen haben. Gewählt wurde die AfD trotz und wegen ihrer extrem rechten Verbindungen. So wurde etwa über Cottbus als Sammelpunkt für neonazistische Musiker, rechte Fußballhooligans, Kampfsportler und andere rechte Organisationen umfänglich berichtet. Cottbus und die Lausitz sind inzwischen zum Inbegriff rassistischer Mobilisierung in Brandenburg geworden[1]. Mit der Nominierung von Christoph Berndt, einer der Hauptinitiatoren der Cottbuser Proteste, auf Platz 2 der Landesliste für die Landtagswahl würdigte die AfD die außerparlamentarische Rechte. Die Liste der Kandidat*innen und gewählten Abgeordneten zeigt: In der AfD versammelt sich ein breites extrem rechtes Netzwerk. Es reicht von den rassistischen Protesten des Vereins Zukunft Heimat in Cottbus von Südbrandenburg bis zur Beteiligung von AfD-Politiker*innen an Naziaufmärschen in der Uckermark im Norden Brandenburgs.
Verschiebung von Süden …
Die Opferperspektive listet seit knapp 20 Jahren systematisch die rechten Gewalttaten im Land auf. 2019 ist erstmals seit vier Jahren ein deutlicher Rückgang der Angriffszahlen zu verzeichnen. In den vergangenen Jahren gehörte besonders die Stadt Cottbus zu den Schwerpunkten rechter Gewalt. In diesem Jahr nahmen im Süden Brandenburgs die Angriffe ab. Eine Verlagerung in die parlamentarische Arbeit spielt dabei sicher eine Rolle. Einen wesentlicheren Einfluss wird dabei die Repression gegen Teile der extrem rechte Szene haben, die sich insbesondere in einer Großrazzia gegen lokale Hooligan-Kreise der Kampfgemeinschaft Cottbus niederschlug. Dabei sorgte vor allem journalistische, zivilgesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit auf die extrem rechten Entwicklungen im Süden des Landes für Handlungsdruck bei den Strafverfolgungsbehörden. Wir gehen leider davon aus, dass dieser Rückgang nur temporär ist, zumal die Justiz in Cottbus seit langem nicht mit den Gerichtsverfahren hinterherkommt und damit ein Gefühl der Straffreiheit an die Täter*innen vermittelt. Immer wieder mahnt die Opferperspektive eine konsequente juristische Verfolgung an.
In Cottbus erlangte die AfD überdurchschnittliche Wahlergebnisse und stellt in der Stadtverordnetenversammlung die stärkste Fraktion. Die Androhungen der extrem Rechten gegen die Klimaproteste von Ende Gelände am letzten Novemberwochenende zeigen, wie selbstbewusst die extreme Rechte auch weiterhin in der Lausitz ist. Neben Gewalt- und Mordaufrufen in sozialen Medien gehörte auch ein Transparent dazu. Es war von Teilen der Fanszene des FC Energie Cottbus eine Woche zuvor mit dem Spruch „Wann Ende im Gelände ist, bestimmt nicht ihr! Unsere Heimat – unsere Zukunft! Ende Gelände zerschlagen“ bei einem Fußballspiel in Cottbus gezeigt. Für Aufsehen sorgte zudem ein Graffiti, gemalt von offenbar rechten Polizisten, das zuerst „Stoppt Ende Gelände“ titelte und anschließend – nachdem die Beteiligten zum Überstreichen der Wand verdonnert wurden – das extrem rechte Kürzel „DC!“, welches für „Defend Cottbus“ steht, hinterließen. Dass sich die Anfeindungen gegen die Klimabewegung und ihre Aktivitäten in der Lausitz richten, ist insofern nicht verwunderlich, ist doch der Braunkohleabbau ein bestimmender Faktor für die regionale Wirtschaft. Auch im Wahlkampf nutzte die AfD das Thema und setze sich deutlich für den Erhalt der Braunkohle ein. In einem von der Opferperspektive begleiteten Fall, ging die Feindschaft gegenüber Klimaaktivist*innen von Bedrohung in körperliche Gewalt über: Bei einer Live-Aufzeichnung des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) auf dem Cottbuser Altmarkt zum Thema Kohleausstieg schlug eine Kohle-Befürworterin einer jungen Frau, die sie als Klimaaktivistin ausmachte, zweimal ins Gesicht.
…in den Norden
Während in den Vorjahren Südbrandenburg die Statistik rechter Gewalt anführte, übernimmt in 2019 zunehmend der Norden des Landes diese Rolle. Schon 2018 war die Uckermark einer der Schwerpunkte, insbesondere bei rassistischen Angriffen. Auch in diesem Jahr sind die Städte Angermünde, Prenzlau, Schwedt und Templin immer wieder Schauplatz von rechten Angriffen. Anfang des Jahres hatte der polizeiliche Staatsschutz deswegen das Personal aufgestockt. Häufig sind die Gewalttaten im Norden Brandenburgs rassistische Gelegenheitstaten von unorganisierten Gruppen oder Einzeltäter*innen.
Unter den mutmaßlichen Täter*innen finden sich aber auch ehemals organisierte Neonazis und bekannte rechte Mörder. Einer ist Marco S., der zusammen mit zwei weiteren Tätern den damals 16-jährigen Marinus Schöberl aus Potzlow tötete. Er soll im Juni diesen Jahres mit einem weiteren Täter einen 24-jährigen Syrer in Prenzlau angegriffen und rassistisch beschimpft haben. Der andere Angreifer soll dabei ein Jagdmesser aus seinem Rucksack gezogen haben. Im April wurde Marco S. für das Zeigen seiner Hakenkreuz-Tätowierung am Unteruckersee zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Auch andere bekannte Neonazis finden sich bei rechten Gewalttaten wieder: In Bad Freienwalde (Märkisch-Oderland) wurden ehemalige Aktive der Kameradschaft Märkisch Oder Barnim wegen eines rassistischen Angriffs verurteilt. In Neuruppin beginnt derzeit ein Prozess gegen eine Gruppe von Neonazis, die den Freien Kräften Prignitz nahestehen, wegen eines rassistischen Angriffs in Wittstock (Ostprignitz-Ruppin).
Anders als im Süden finden sich im Norden eher lose miteinander verbundene Strukturen, auch öffentliche Versammlungen sind seltener. Bei den wenigen Events finden die verschiedenen Spektren der extrem Rechten zusammen: An einer neonazistischen Demonstration in Templin im Februar beteiligten sich auch AfD-Aktivist*innen. Kreisvorstandsmitglied Aribert Christ mobilisierte zuvor auf einer Kundgebung des AfD-Politikers Lars Günther in Eberswalde für den Naziaufmarsch. Die neonazistische Kleinstpartei Der Dritte Weg, die in der Uckermark ihren Aktionsschwerpunkt hat, war auch in diesem Jahr auf „nationalrevolutionärer Streife“. Auch die NPD bewirbt unter „Schutzzone“ ihr Konzept einer rechten Bürgerwehr. Zwar sind diese Aktionen häufig vor allem eine mediale Inszenierung, doch wirkt diese als Botschaft an andere extreme Rechte und sollte aufgrund ihres rechtsterroristischen Potenzials, wie es das Bundesinnenministerium in einer parlamentarischen Anfrage nennt[2], nicht unterschätzt werden.
Ein Beispiel rechten Terrors beschäftigte uns im Frühsommer erneut. Die Gruppierung Nordkreuz, die schon zwei Jahre zuvor bekannt wurde, legte Listen an, auf denen sich Engagierte, die sich gegen Rechts und für Geflüchtete einsetzen, wiederfanden. Dabei handelte es sich sowohl um Politiker*innen als auch um Privatpersonen. Verbindungen soll die Gruppe, die maßgeblich in Mecklenburg-Vorpommern aktiv war, auch im Nordwesten Brandenburgs gehabt haben. Als Mitte Juni neue, erschreckende Details zu den Aktivitäten veröffentlicht wurden, waren erst einige Tage seit dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke vergangen. Obwohl rechter Terror aus diesem traurigen Anlass erneut ins öffentliche Bewusstsein rückte, wurden Betroffene der „Feindeslisten“ erst auf zivilgesellschaftlichen Druck hin informiert.
Baseballschläger-Jahre
Besonders relevant für den Landtagswahlkampf der AfD war der Vergleich der heutigen politischen Situation mit der der DDR zur ihrem Ende. „Der Osten“ solle, so der Wunsch der AfD, an die Proteste aus dem Herbst 1989 anschließen und gegen die „Merkel-Diktatur“ aufbegehren. Dass sich die AfD-Wähler*innen nicht an der Instrumentalisierung der Wendenarrative durch die Parteifunktionäre aus Westdeutschland störten, lässt sich angesichts der Wahlergebnisse bilanzieren. Was die Beschäftigung mit diesen Narrativen und der Umbruchszeit zu Beginn der 1990er Jahre in Erinnerung brachte: Die hochpolitischen Zeiten, in denen rassistische Angriffe und Anschläge alltäglich waren, neonazistische Strukturen wachsen konnten und ihnen politisch und sozialarbeiterisch der Kopf gehätschelt wurde, prägten eine ganze Generation von Rechten. Diese Baseballschläger-Jahre, benannt nach dem Hashtag #baseballschlaegerjahre, den der Journalist Christian Bangel auf Twitter einführte, wurden durch Erfahrungsberichte von Betroffenen aus verschiedenen Orten Brandenburgs in den letzten Monaten wieder in Erinnerung gerufen. Es sind die ersten Jahre der 1990er, in denen besonders viele Menschen aus rassistischen, antisemitischen, homosexuellen- und transfeindlichen sowie sozialdarwinistischen Motiven getötet werden. Die Opferperspektive erinnert mit einer Wanderausstellung an die Opfer rechter Gewalt in der gesamten Bundesrepublik[4]. In diesem Jahr kommen der Mord an Walter Lübcke in Kassel und die Morde an Jana Lange und Kevin S. in Halle hinzu (alle Informationen zur Ausstellung und zur Ausleihe: www.opfer-rechter-gewalt.de)
[1] Ausführlich ist dies in der Broschüre „Was interessiert mich denn Cottbus?“ Dynamiken rechter Formierung in Südbrandenburg: der Verein Zukunft Heimat, an der unsere Mitarbeiter Joschka Fröschner mitwirkte, nachzulesen.
[2] Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u. a. und der Fraktion DIE LINKE. Rechtsextrem beeinflusste Bürgerwehren ST-Drucksache 19/13969
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