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Jahresrückblick 2024 Baden-Württemberg – Südwest-AfD mit kommunalen Wahlerfolgen, Neonazi-Nachwuchs und ein möglicher rechter Mord

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Die Bauernproteste zu Beginn des Jahres wurden auch in Stuttgart von der AfD und der Jungen Alternative begleitet. (Quelle: Lucius Teidelbaum)

Ein Gastbeitrag von Lucius Teidelbaum.

Bauernproteste mit rechter Beteiligung am Jahresbeginn

Gleich zu Jahresbeginn versuchten die Alternative für Deutschland (AfD) und andere extreme Rechte an die Bauernproteste im Südwesten Anschluss zu finden, beispielsweise am 8. Januar 2024 in Stuttgart auf einer Kundgebung. Zwar stellten sie nur eine Minderheit der 700 Beteiligten, aber mehrere AfD-Mitglieder, inklusive des Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel, sowie andere rechte Aktivist*innen machten Gebrauch vom offenen Mikrofon. Der Moderator meinte auf Nachfrage der Presse: „Wir wussten, wer Herr Spaniel ist“.

Auch Teile der nach rechts radikalisierten Post-Corona-Proteste machten sich die Bauerndemos zu eigen. Als etwa 400 Personen am 14. Februar 2024 in Biberach gegen eine Aschermittwoch-Veranstaltung der Grünen mit Jürgen Trittin, Ricarda Lang und Cem Özdemir protestierten, waren sowohl Pandemie-Leugner*innen als auch Reichsbürger*innen und sonstige Rechte vertreten.

Es wurden zehn Brände gelegt, die Scheibe eines ministeriellen Begleitfahrzeugs eingeschlagen und mehrere Polizeibeamte verletzt. In der Folge musste die Veranstaltung abgebrochen werden.

Südwest-AfD auf Erfolgskurs

Als die „Besten im Westen“ bezeichnen Mitglieder der AfD ihre Partei in Baden-Württemberg gerne. Nicht ganz zu Unrecht, da die Partei im Bundesland Baden-Württemberg ihre westdeutsche Umfrage-Hochburg hat. Dass diese Umfragen auch in reale Wahlergebnisse münden können, stellte die Partei bei den am 9. Juni 2024 stattfindenden Kommunalwahlen in Baden-Württemberg und den Europaparlamentswahlen teilweise unter Beweis. Trotz der starken Proteste gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie im Frühjahr nach Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche auch in Baden-Württemberg.

Die Wahlkampferöffnung der AfD fand am 27. April 2024 in Donaueschingen mit den Partei-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla statt. Auch vom FPÖ-Europaabgeordneten (Freiheitliche Partei Österreichs) Harald Vilimsky kam ein Grußwort. Allerdings trat der ursprünglich ebenfalls angekündigte AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah nicht auf – offenbar eine Folge seiner diversen Skandale .

Wahlkampfunterstützung liefert das extrem rechte COMPACT-Magazin, welches am 18. Mai 2024 in Wertheim (Main-Tauber-Kreis) ein „Volksfest“ durchführte, u.a. mit der AfD-Bundestagsabgeordneten Christina Baum. Der Zuspruch blieb aber mit 150 Besucher*innen laut Polizei eher überschaubar.

Bei den Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 kandidierte die AfD dann in den 1.101 baden-württembergischen Kommunen mit 137 eigenen Listen, also in 12,4 Prozent der Gemeinden.
Für die AfD kandidierten in Baden-Württemberg dabei 2.054 Personen für 2.799 Mandate. Die AfD hat nach den Kommunalwahlen im Südwesten nun insgesamt 869 Mandate inne, auf die 665 unterschiedliche Personen gewählt wurden.
Wo sie antrat, legte sie in der Regel zu. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie in der Stadt Pforzheim, wo sie mit 22 Prozent der Stimmen die stärkste Partei bei den Gemeinderatswahlen wurde.

Der Messer-Angriff eines gewalttätigen Islamisten auf eine Kundgebung von antimuslimischen Rassist*innen am 31. Mai 2024 in Mannheim, in deren Folge ein Polizist verstarb, führte auch zur erwartbaren Mobilisierung der AfD.

Die AfD und ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) führten bereits am 2. Juni 2024 in Mannheim eine Kundgebung unter dem Motto „Remigration hätte diese Tat verhindert!“ mit 150 Personen durch.

Größer mobilisiert wurde auf den 7. Juni 2024 nach Mannheim zu der AfD-Kundgebung zum Thema „Islamismus stoppen!“, an der dann etwa 700 Personen teilnahmen.
Obwohl die Beteiligung unterhalb des Erwarteten lag, konnten AfD und Co. Einfluss auf den Diskurs gewinnen: Statt über die Gefahren von Islamismus wurde über Migration und „den Islam“ diskutiert.

Die baden-württembergische AfD absolvierte 2024 drei Landesparteitage: am 24. und 25. Februar in Rottweil, am 5. und 6. Oktober in Ulm und am 16. und 17. November in Ketsch.

In der Südwest-AfD hatte im Jahr 2024 der seit mindestens 2020 offen ausgetragenen Machtkampf zwischen dem Lager um den AfD-Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel und die Bundesvorsitzende Alice Weidel im Oktober auf einem Landesparteitag in Ulm mit dem Sieg des Weidel-Lagers ein Ende. In Ulm wurde die Landesliste für die Bundestagswahl 2025 aufgestellt. Spaniel und seine Verbündeten wie Christina Baum scheiterten bei Versuchen sich auf die Liste wählen zu lassen.

Auch infolge der parteiinternen Streitereien haben die beiden baden-württembergischen AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz und Dirk Spaniel die AfD verlassen. Dabei ging es weniger um inhaltliche Differenzen, sondern mehr um einen Machtkonflikt.

Trotz des Streitigkeiten in der Partei steigen die Mitgliederzahlen auch in Baden-Württemberg. Im August 2024 berichtete man von 6.000 Mitgliedern im Landesverband.

In Westdeutschland, auch in Baden-Württemberg, ist die Partei zurückhaltender mit Selbstpositionierungen als extrem rechte Partei. Stattdessen labelt man sich lieber als „Die konservative Kraft im Südwesten“.

Das hielt die Südwest-AfD aber nicht vom Lob für die rassistische PEGIDA-Bewegung aus Dresden ab: „Im Oktober 2014 startete PEGIDA in Dresden den Protest gegen Islamisierung und für mehr Patriotismus. […] Mit der letzten Veranstaltung am Sonntag ging eine Ära zu Ende, aber das Vermächtnis bleibt. Danke, PEGIDA, für 10 Jahre Einsatz für unser Land!“

Die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum reiste sogar zur 250. und letzten PEGIDA-Demonstration am 20. Oktober 2024 nach Dresden und trat dort als Rednerin auf. Hier verkündete sie ihre Vorstellung einer besseren Politik: „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die PEGIDA-Bewegung in den neuen Geschichtsbüchern stehen wird, und zwar in den Geschichtsbüchern, die vom deutschen Volk geschrieben werden und nicht von den Siegermächten. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir als Deutsche, als Deutschland die vollständige Souveränität erlangen. Denn nur durch Souveränität bekommen wir Freiheit. Und dazu müssen wir die deutschlandfeindlichen Politiker in Berlin auf den Mond schicken.“

Die Jugendorganisation der AfD, die „Junge Alternative“ (JA) wandelt derweil auf neurechts-neofaschistischen Pfaden. JA-Mitglied Jannis George war sowohl bei „Reconquista21“ aktiv als auch in der JA, wo er seit Oktober 2024 als Beisitzer fungiert.

Mit zwei anderen Männern wurde George am 19. September 2024 vom Amtsgericht Bad Cannstatt vorläufig u.a. wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Die drei hatten zu einer Gruppe gehört, die auf dem Dach des Eingangs zu einem Freibad ein Banner mit der Aufschrift „Remigration für sichere Freibäder!“ gezeigt, Flyer verteilt und Parolen skandiert hatten. Inzwischen haben die Verurteilten Berufung eingelegt.

George besuchte mehrfach Tagungen des ehemaligen neurechten Thinktanks „Institut für Staatspolitik“ und brachte die Inhalte von dort mit nach Baden-Württemberg, wo er mehrere Vorträge für die JA hielt, zum Beispiel am 6. April 2024 in Stuttgart zum Thema „Schnellroda & Parlamentspatriotismus“.

Neues Label, alter Inhalt: „Reconquista21“

Der baden-württembergische Ableger der extrem rechten „Identitären Bewegung“ (IB) tritt seit Ende 2023 unter dem Label „Reconquista21“ auf und bedient sich damit – ganz undeutsch – einer spanischen Vokabel. Als „Reconquista“ („Rückeroberung“) wird die gewaltsame christliche Eroberung der spanischen Halbinsel bezeichnet, in deren Folge hunderttausende Muslim*innen und alle Jüdinnen*Juden vertrieben wurden.
Als inhaltliche Begleitung von „Reconquista“ existiert in Stuttgart ein Lesezirkel, der IB-nahen-Lektüregruppe „Fahrenheit451“.

Jungnazi-Nachwuchs

Jahrelang waren nach dem Verbot der „Autonomen Nationalisten Göppingen“ 2014 klassische parteifreie Neonazis in Baden-Württemberg kaum öffentlich wahrnehmbar, auch wenn es weiterhin eine entsprechende Subkultur gab.

Das scheint sich seit 2024 zu ändern. Eine neue Generation von jungen Neonazis tritt offen auf.
Neue Ziele für neonazistische Gegenmobilisierungen waren auch in Baden-Württemberg Paraden zum „Christopher Street Day“ (CSD). Als am 6. September 2024 in Albstadt-Ebingen (Zollernalbkreis) ein CSD stattfand, wurde von der extrem rechten Gruppe „Zollern-Jugend Aktiv“, die sich im Umfeld von „die Heimat“ (früher NPD)  verorten lässt, eine Gegenkundgebung unter dem Motto „Nein zum Genderwahnsinn! – Kinder & Zukunft schützen“ angemeldet. Über 100 Personen nahmen an dem queerfeindlichen Gegenprotest teil, vor allem junge und bisher wenig öffentlich in Erscheinung getretene Neonazis.

Reichsbürger-Träume in Baden-Württemberg

Der Südwesten gilt auch als Hochburg der sogenannten Reichsbürger, wo mehrere tausend von ihnen aktiv sind. Im Laufe des Jahres gab es zahlreiche Ankündigungen für Veranstaltungen von Reichsbürger-Gruppen wie dem „Königreich Deutschland“ oder der  „Wahlkommission Königreich Württemberg“.

Im Jahr 2024 kam es immer wieder zu Hausdurchsuchungen und Waffenfunden bei Reichsbürgern.

So wurde beispielsweise am 14. März 2024 in Aldingen (Kreis Tuttlingen) das Haus eines 56-jährigen Reichsbürgers von der Polizei durchsucht. Es wurden mehrere hundert Schusswaffen, Waffenteile und Munition sichergestellt.

Schon weiter ist man bei der Reichsbürger-Gruppe um den Prinzen von Reuß. Am 29. April 2024 begann am Oberlandesgericht Stuttgart in Stammheim der Prozess gegen zehn Angeklagte, von denen neun aus dem Ländle stammen. Parallel finden derzeit in Frankfurt/Main und München weitere Prozesse gegen die Reuß-Gruppe statt.

Rechte Parteien-Resterampe

Mit wenig Erfolg versuchen auch extrem rechte Parteien jenseits der AfD aktiv zu werden. Da ist zum einen die in „die Heimat“ umbenannte ehemalige NPD, die es vereinzelt noch schafft, Veranstaltungen wie Liederabende in Baden-Württemberg zu veranstalten. Unter dem Label NPD tritt weiterhin eine Gruppe von Traditionalist*innen auch in Baden-Württemberg auf, die die Umbenennung in „die Heimat“ nicht mittragen wollte.

Auch die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ ist in einzelnen Orten und Regionen von Baden-Württemberg aktiv.

Am 6. Juli 2024 wurde in Fellbach der Landesverband Baden-Württemberg der Partei „WerteUnion“ gegründet. Die Partei versucht bundesweit und bisher erfolglos der AfD Konkurrenz zu machen.

Die WerteUnion war auch beteiligt am rechtskonservativen und rechtslibertären „Bürgergipfel“ am 7. September 2024 in der Liederhalle in Stuttgart, an dem 700 Personen teilnahmen. Veranstalter waren das rechtslibertäre Online-Portal „Der Sandwirt“ um den Unternehmer Oliver Gorus aus Konstanz und die „Atlas Initiative“ um den Antidemokraten Markus Krall. Partner war u.a. auch der „WerteUnion Förderverein“.

Anstieg von Antisemitismus

Nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 und der Eskalation des Israel-Palästina-Konflikts kam es auch in Baden-Württemberg zu einem starken Anstieg antisemitischer Vorfälle. Einige Straftaten konnten bereits präventiv verhindert werden.

So wurde Ende April 2024 ein 24-jähriger Mann in Bad Friedrichshall (Kreis Heilbronn) verhaftet, der sich im April via Chat überAngriffe auf jüdische Einrichtungen ausgetauscht hatte. Am 18. Mai 2024 wurde dann in Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis) sein Chat-Partner, ein 18-jähriger Mann, verhaftet und seine Wohnung durchsucht. Ihm wurde vorgeworfen, geplant zu haben, Menschen in einer Synagoge in Heidelberg zu töten und sich dann von der Polizei erschießen zu lassen.

Am 15. November 2024 begann deswegen in Heidelberg der Prozess gegen insgesamt drei Angeklagte, denen die Planung von Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Heidelberg und Frankfurt am Main vorgeworfen wird.

Mutmaßlicher Haupttäter ist ein 25 Jahre alter Deutscher, der nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft versucht hatte, nach Syrien zu reisen, um sich dort Islamisten anzuschließen. Nachdem das misslang, soll er mit einem 18-jährigen Deutsch-Türken in einem Chat einen Terroranschlag auf die Synagoge in Heidelberg oder eine jüdische Einrichtung in Frankfurt/Main geplant haben. Einem weiteren 25 Jahre alten Deutschen werfen die Ermittler*innen Beihilfe vor.

Laut der Statistik der Beratungsorganisation für Betroffene von Antisemitismus Ofek gab es vom Oktober 2023 bis September 2024 173 Beratungsfälle in Baden-Württemberg.

Verdacht auf einen rechts motivierten Mord

Am 14. Oktober 2024 begann am Landgericht Waldshut-Tiengen ein Gerichtsprozess, in dem es um die Tötung des Tunesiers Mahdi ben Nacer aus Rickenbach geht. Der 38-jährige Mann wurde am 23. Dezember 2023  in Rickenbach im Hotzenwald (Kreis Waldshut) wenige Meter hinter seinem Geflüchteten-Heim von einem 58-jährigen Mann aus Maulburg (Landkreis Lörrach) erschossen. Der Täter versteckte die Leiche zuerst, zerstückelte sie später und warf sie in den Rhein, wo sie im April 2024 von Tauchern gefunden wurde. Später gestand er die Tat und behauptete in Notwehr gehandelt zu haben.

Der Angeklagte fiel laut Medien-Berichterstattung zuvor mit antisemitischen und rassistischen Aussagen auf. Außerdem wurde bei einer Hausdurchsuchung neben illegalen Waffen und Schwarzpulver auch einschlägig rechte Literatur gefunden. Zudem hatte er seine Hundehütte mit einem Schild mit der Aufschrift „Wolfsschanze“ versehen. Für das antisemitische Statement „Ein richtiger Deutscher kauft nicht bei Juden“ bei einer internen Schulung sei er von seinem Arbeitgeber abgemahnt worden.
Somit ist eine rechts motivierte Tat sehr nahe liegend.
Vor Gericht wird allerdings von Totschlag und dem möglichen Mordmerkmal „niedriger Beweggrund“ ausgegangen.

Der Angeklagte wurde am 18. November 2024 wegen Totschlags zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, eine Strafe, die unterhalb des Strafmaß lag, welches  die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Ein rechtes Motiv wurde nicht festgestellt.

Die Schwester des Opfers, Zouleikha ben Nacer, fragte zu Recht: „Wäre mein Bruder noch am Leben, wenn er ein Deutscher wäre?“

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