Mit dem Fachjournalisten im Phänomenbereich Rechtsextremismus Maximilian Kraft haben wir über blühenden Antisemitismus, Streit bei der AfD und Angriffe auf queeres Leben gesprochen.
Belltower.News: Was war im vergangenen Jahr in Bremen besonders präsent? Was hat Sie am meisten beschäftigt?
Kraft: Am meisten beschäftigte uns natürlich ein Thema, das auch bundesweit seit dem 7. Oktober sehr präsent war. Wir haben eine enorme Zunahme von öffentlichen antisemitischen Aussagen, Aufklebern, Sprühereien bemerkt. Es finden sich außerdem Gruppierungen aus allen Gesellschaftsbereichen, von den extremen Rechten bis hin zur autoritären Linken, aber auch vermeintlich bürgerliche Initiativen sind dabei.
Welche Gruppen sind dabei besonders auffällig und eher neu?
Wir kennen ja den rechten Antisemitismus, der auch durch die deutsche Geschichte eine schreckliche Tradition hat. Neu dazugekommen ist vor allem, dass sich auch im studentischen und im links-autoritären Milieu neue Szenen gegründet haben, die vor allem hochproblematisch sind, wenn es um die Frage geht: Sind sie antisemitisch und stellen sie eine Bedrohung für jüdisches Leben dar?
Wie ist der aktuelle Zustand der AfD in Bremen?
Hier im Bundesland gibt es den besonderen Zustand, dass die AfD seit 2015, aber besonders seit 2018 extrem zerstritten ist. Sie ist sogar in bis zu drei Blöcken untergliedert, die sich mit verschiedenen, auch juristischen, Mitteln versuchen, das Leben schwer zu machen. Bei der letzten Bürgerschaftswahl 2023 waren sich die Lager so uneinig, dass sie keine Zulassung vom Landeswahlbüro bekommen haben und bei der Europawahl in diesem Jahr haben sie gar keinen Wahlkampf geführt. Trotzdem sind sie mit überraschend hohen Zahlen an der Wahlurne erfolgreich. Das hat nichts mit einer eigenen Positionierung oder sichtbaren Initiativen auf der Straße zu tun. Die Partei konnte von der Themensetzung der Bundes-AfD und deren Auftritt in den sozialen Netzwerken profitieren.
Bremen ist das einzige Bundesland, das kein*e Vertreter*in der AfD im Bundestag sitzen hat. Die AfD in Bremen wirkt nach Außen nicht mehr organisationsfähig, trotzdem profitieren sie an der Wahlurne. Das zeigt, man braucht keine funktionierende regionale Partei, um die Wähler*innen im rechten und extrem rechten Spektrum abzuholen.
Es gibt allerdings eine Konkurrenzpartei, das „Bündnis Deutschland“, früher „Bürger in Wut“, das sich bei der Bürgerschaftswahl 2023 formierte und enorm von den Streitigkeiten der AfD profitiert hat. Damit sitzt jetzt eine AfD-nahe, quasi rechtsradikale Partei durch die Wähler*innenschaft der AfD in der Bürgerschaft
Und die rechtsextreme Szene abseits der Parteipolitik? Welche Entwicklungen gibt es dort?
Zwischen 2023 und 2024 konnte man in Bremen den Niedergang dieser verschwörungsideologischen rechten Szene feststellen, die sich während der COVID-19 Pandemie gegründet hatte. Gegen Ende waren nur noch Reichsbürger*innen und rechtsextreme Akteur*innen auf der Straße, aber deutlich weniger als während der Pandemie. Man suchte also nach einer neuen thematischen Ausrichtung und hat alles mitgenommen, was irgendwie auffindbar ist. Dazu gehörten die im Januar und Frühjahr aufkommenden Bauernproteste. Da hat diese Szene einfach gewechselt und versucht diese zu kapern. Ähnliche Versuche unternahm die Szene auch mit dem Aufkommen der pro-palästinensischen Demonstrationen.
Also fand wie an vielen Orten eine Unterwanderung statt?
Ja genau, Bremen war bei dieser Entwicklung keine Besonderheit. Die rechte verschwörungsideologische Szene tauchte dann auf den Straßen und bei den Protesten auf. Mal mit mehr, mal mit weniger gleichgültigen oder sogar still zustimmender Beteiligung der jeweiligen Landwirt*innen. .
Gibt es auch Angriffe und Formierungen der Rechtsextremen?
In Bremen gab es Anschläge auf queere Einrichtungen wie „Rat und Tat“. Die Angriffe schaffen Bedrohungsszenarien und Angsträume für trans* und queere Personen, ebenso wie die Normalisierung dieser rechten Ideologie im öffentlichen Raum durch Aufkleber oder Schmierereien.
Andernorts waren Gegendemos zum „Christopher Street Day“ (CSD) sehr zentral für Queerfeindlichkeit. Wie war das in Bremen?
Wir haben in Bremen einen sehr großen und vielfältigen CSD. Im Gegensatz dazu haben wir aber keine gut organisierte Neonazi-Szene, die vor dieser Veranstaltung aufmarschieren könnte. Die Einschüchterung als geschlossene Gruppe funktioniert nicht.
Wir haben aber eine starke Zunahme evangelikaler Jugendgruppierungen oder Unterstützung von evangelikalen Kirchen. Zentral ist die Kirche rund um den Pastor Olaf Latzel, der sich wegen seiner queerfeindlichen Aussagen auch strafrechtlich verantworten musste. Diese evangelikalen rechtsoffenen Gruppierungen in Bremen sind tatsächlich neu im Diskurs rund um Queerfeindlichkeit unter dem Vorwand religiöser Gefühle.
In anderen Bundesländern fanden zu Jahresbeginn große Demonstrationen statt, als Reaktion auf die CORRECTIV-Recherche zu einem Geheimtreffen der Rechten in Potsdam. Gab es diese Proteste auch in Bremen?
Das von der AfD gesetzte Thema der „Remigration“ als verstecktes rechtes Narrativ hat bei vielen einen Schock ausgelöst. Die bürgerlich-demokratischen Parteien waren entsetzt von der AfD und der von ihr ausgehenden Gefahr. Es hat sich nun auch eine größere Zustimmung für die Idee eines AfD-Verbotsverfahrens entwickelt, vor allem bei der Linken, den Grünen und Teilen der SPD.
Welche Stimmungsveränderungen gab es im letzten Jahr in der Gesellschaft?
Wir sehen auf der Straße unterschiedlichste, teilweise widersprüchliche Gruppierungen, die von Thema zu Thema wechseln. Ob das die Querdenker*innen- oder die Bauernproteste sind, ob es um den russischen Krieg in der Ukraine geht, aus dem pro-Putin Narrative um die militaristische westliche Gesellschaft entstanden, uns zeigt sich eine riesige gesamtgesellschaftliche Ohnmacht kapitalistischer Krisen und Kriege gegenüber. Und diese Krisenhaftigkeit ist natürlich immer die Sternstunde für extremistische Gruppierungen. Davon profitieren vor allem Gruppen, die schon Erfahrung auf der Straße haben, wie eben die verschwörungsideologische rechtsextreme Szene, die immer noch nach einem großen Thema suchen.
Jetzt haben wir die besondere Situation von vorgezogenen Neuwahlen im Februar. Gibt es dort schon Trends, die sich bei Parteien, aber auch außerparteilich abzeichnen?
Bremen ist als kleinstes Bundesland oft ein bisschen träger. Zwar haben sich die Parteien formiert, vom Wahlkampf ist aber noch gar nichts zu spüren. Hier dominiert aktuell vor allem die Vorweihnachtszeit. Trotzdem ist klar, dass viele Menschen mehr Angst haben als je zuvor, besonders vor einer starken AfD.
Haben sich aus dieser Angst neue zivilgesellschaftliche Organisationen gegen Rechts gegründet?
Mit „Laut gegen Rechts Bremen“ vor dem Bremer Dom mit über 50.000 Teilnehmenden gab es ein starkes Zeichen. Daraus haben sich viele Bündnisse und Teilbündnisse gebildet, die unterschiedlich groß sind. Dazu gehören auch neue Gruppen wie „Studierende gegen Rechts“. Die Omas gegen Rechts sind weiterhin dabei und haben großen Zuspruch in der Zivilbevölkerung. Das ist alles aktuell noch in der Entwicklungsphase und muss sich erst zeigen. Es ist aber spürbar, die Leute wollen was machen. Und gerade da, wo sich Jugendliche dem Hype von Rechts ausgesetzt sehen, versuchen sie eine neue Sprache zu finden und etwas dagegen zu tun.