Wir sprachen mit dem Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg.
Belltower.News: Was hat euch in der RAA 2024 am meisten umgetrieben?
RAA: Besonders beschäftigt hat uns in diesem Jahr die Zunahme der Übergriffe und Propaganda von rechter Jugendkultur in Schulen. Wir haben als Beratung so viele Anfragen, auch von Grundschulen erhalten. Gegen Ende des Jahres werden es vermutlich über 200 Fällen in allen Schulämtern sein. Auch Vorfälle wie der rassistische Angriff auf zwei Mädchen in Grevesmühlen haben uns natürlich umgetrieben.
In der Beratung wird häufig deutlich, dass die Organisationen und Personen verunsichert sind und teilweise Angst haben, sich kritisch mit der AfD auseinanderzusetzen. Das bestätigen uns auch die anderen Regionalzentren in Mecklenburg-Vorpommern. Die ist mittlerweile aber in vielen Kommunalparlamenten vertreten und verändert dort die politische Kultur. Wenn die AfD eine starke oder sogar die stärkste Kraft ist, macht das was mit den demokratischen Parteien. Gleichzeitig zieht sie im Landtag immer wieder durch Kleine Anfragen die Aufmerksamkeit auf sich und verzerrt den Diskurs.
In welcher Form drückt sich die Stimmungsveränderung in der Schule aus? In den Schulen wird diese Veränderung besonders durch rechtsextreme Schmierereien und Symbole sichtbar. Auch der Umgang miteinander ist rauer geworden und es kommt häufig zu Einschüchterung und sogar teilweise zu rechter Gewalt. Je nach Alter und Einrichtung gibt es andere Auseinandersetzungen mit dem Thema. Wir stellen oft fest: Je älter die Schüler*innen, desto gefestigter sind die rechtsextremen und rassistischen Weltbilder.
Der Umgang mit solchen Entwicklungen ist schwierig. Man muss zunächst ein gemeinsames Problembewusstsein und eine gemeinsame Sprache entwickeln, um über das Thema sprechen zu können. Dann muss man die Zeichen der rechten Jugendkultur erkennen und als solche identifizieren. Besonders Beiträge in den sozialen Netzwerken, beispielsweise von der AfD auf TikTok, sind im Schulkontext präsent. Sie werden zwischen Schüler*innen verhandelt, finden aber selten eine Einbettung und kritische Besprechung im Unterricht. Außerdem nehmen Akteur*innen die Problemlage in den Schulen sehr unterschiedlich wahr
Was geht ihr in der Beratung damit um?
In der systemisch orientierten Mobilen Beratung betrachten wir zunächst das Akteurs- und Handlungsfeld. Was sind die Möglichkeiten? Wer sind die Akteur*innen? Sind Lehrkräfte oder Eltern involviert? Welche Personen haben eine enge Bindung und könnten Einfluss auf sich radikalisierende Personen ausüben?
Man muss aber festhalten, dass vor allem Schulen mit einer starken Beteiligungsorientierung und demokratiepädagogischen Maßnahmen wie Schüler*innenräten weniger Nährboden für Extremismus und Diskriminierung bieten. Trotzdem finden rechtsextreme Gesinnungen mittlerweile auch wieder verstärkt abseits der Schulen einen Platz. Rassismus und Diskriminierungen sind im Stadtbild präsenter geworden. Neue Jugendgruppen bilden sich über Schulen hinweg und erinnern beinahe schon an Kameradschaften, aus denen sich auch die „Jungen Nationalisten” (JN) – die Jugendorganisation von „Die Heimat” (früher NPD) – speisen. Dass die „Junge Alternative” (JA) von diesen Entwicklungen profitieren wird, ist nur eine Frage der Zeit.
Was zeichnet die AfD in Mecklenburg-Vorpommern aus?
Der Landesverband der AfD in MV gibt sich bürgerlicher und moderater als in anderen Bundesländern. Dennoch ist sie in der rechtsextremen Szene gut vernetzt und seit den Kommunalwahlen auch in den Kommunalparlamenten vielerorts vertreten.
Im Wahlkampf setzte die Partei dabei auf Bürgerstammtische und andere Formen der „Bürger*innennähe”. Teilweise verteilten Mitglieder Flyer auch in der Nähe von Schulen, vor allem aber waren sie überaus präsent in den sozialen Netzwerken.
Ein Fall in Ribnitz-Damgarten (Landkreis Vorpommern-Rügen) spielte der AfD dabei besonders in die Karten. Eine Schülerin soll auf TikTok Videos verbreitet haben, in denen sie ihre teilweise rechten und AfD-nahen Aussagen kundgetan hat. Als das dem Schulleiter ihrer Schule zugetragen wurde, verständigte er die Polizei. Diese ging dem Verdacht nach. Die Mutter der Schülerin war über dieses Vorgehen so empört, dass sie sich an die AfD wandte. Diese instrumentalisierte den Vorfall sowohl auf TikTok als auch mit einer Kleinen Anfrage im Landtag. In der Schule haben zudem vermummte Personen ein Banner mit der Aufschrift „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ vom Dach gelassen. Auch die Bundes-AfD wurde auf den Vorfall aufmerksam und sprach von „staatlicher Gängelung”.
Bei den Kommunalwahlen konnte die AfD dann starke Erfolge einfahren. In vielen Gemeinden sind sie die stärkste Kraft geworden, teilweise auch mit Akteuren aus der extremen Rechten als Kandidierende. Auch andere rechtsextreme Personen und Gruppen haben es in die Parlamente geschafft.
Wie ist Wirkungskreis der AfD abseits der Wahlen?
Der Fall von Ribnitz-Damgarten hat sehr gut gezeigt, wie die AfD in Mecklenburg-Vorpommern Aufmerksamkeit auf sich zieht. Auch das rechte Nachrichtenportal NIUS berichtete mehrfach über den Vorfall. Ebenso politisiert die AfD immer wieder mit verschiedenen Themen. Beispielsweise, wenn sie den CSD und die LGBTQI*-Community unter dem Vorwand der Pädophilie und einem Sicherheitsrisiko, das von diesen Personen ausgehe, durch Anfragen im Landtag kritisiert.
In Neubrandenburg wurde das Hissen der Regenbogenflagge untersagt. Für den Antrag in der Stadtversammlung war nicht die AfD allein zuständig, dennoch stimmte sie für den Antrag. Daraufhin kündigte der schwule Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) seinen Rücktritt an.
Vorfälle wie diese zeigen, dass die AfD teilweise nicht einmal selbst tätig werden muss. Ihr Gedankengut ist so weit verbreitet, dass demokratischen Parteien auf kommunaler Ebene Positionen übernehmen oder auch mit der Partei kooperieren. Dazu kommt, dass die AfD jegliche Projekte zur Demokratieförderung strikt ablehnt und sogar versucht, die Förderung von Schulsozialarbeiter*innenstellen zu streichen oder das Amt von kommunalen Gleichstellungsbeauftragten abzuschaffen.
Wie sieht denn die Vernetzung der AfD in die rechtsextreme Szene genauer aus?
Die Grenzen der AfD in die Rechtsextreme verschwimmen zunehmend. Nach außen gibt sich die Partei zwar gemäßigt, dennoch lädt sie immer wieder prominente Gäste aus der Szene ein. Im März beispielsweise war Götz Kubitschek auf Einladung der JA im Schweriner Rathaussaal zu Gast. Sein Vortrag wirkte zunächst moderat, dennoch weiß er genau, welche Dog Whistles er benutzen muss, um seine Punkte zu machen. Begleitet wurde er vom AfD-Fraktionssitzenden des Landtages, Nikolaus Kramer.
Dieser wiederum hat einen Podcast, zu dem immer wieder prominente Gäste aus der rechtsextremen Szene eingeladen sind. Er beschäftigt den ehemaligen Bundesvorsitzenden der rechtsextremen Identitären Bewegung, Daniel Fiß. Dazu kommt, dass sich die demokratischen Parteien nicht klar von der AfD und deren rechtsextremen Mitgliedern abgrenzen, da gibt es so eine Handshake-Mentalität.
Wenn wir gerade über die rechtsextreme Szene sprechen: Wie ist deren Zustand in Mecklenburg-Vorpommern? Welche Akteur*innen und Vereinigungen gibt es?
Einige völkische Akteure und Vereinigungen sind über Parteien oder Wählerbündnisse bei den Kommunalwahlen angetreten. Zwar hat die Rolle von „Die Heimat” und JN stark nachgelassen – sie hatten mal über siebzig Plätze in Gemeinde- und Kreisvertretungen, jetzt sind es nur noch elf. Im Vordergrund standen eher andere Gruppierungen.
Sebastian Richter beispielsweise trat für die „Wählergruppe Heimat und Identität” an. Zuvor war er bei der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)” aktiv. Er ist neben seinem politischen Aktivismus auch Unternehmer. Seit einiger Zeit stärkt er die rechtsextreme und völkische Dorfgemeinschaft in Groß Krams beispielsweise durch Kampfsport und provoziert damit die Abwanderung von Menschen, die nicht Teil der Szene sind. Diese Art der rechtsextremen Landnahme ist kein Einzelfall und dennoch exemplarisch für Teile des ländlichen Raums.
Kampfsport ist oft ein Weg, um Jugendliche für sich zu begeistern. „Der III. Weg” oder verbotene Kameradschaften nehmen teilweise als Kämpfer oder Gäste an einem jährlichen Kampfsportevent in Güstrow teil. Zudem sind rechtsextreme Akteure in dem Securityunternehmen beschäftigt.
Grundsätzlich lässt sich über die Rechtsextreme in Mecklenburg-Vorpommern sagen, dass die unterschiedlichen Gruppen selten gemeinsam auftreten. Eine der wenigen Veranstaltungen mit breitem Publikum ist aber der „Demminer Trauermarsch”, ein jährliches rechtsextremes Event, zum Gedenken an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai.
Dazu kommen Reichsbürger, von denen es bei uns über 700 gibt. Darunter auch viele Rechtsextreme, die einen Waffenschein besitzen – ein Thema, das in Mecklenburg-Vorpommern kaum im Bewusstsein der Behörden war, bis Vorfälle aus anderen Bundesländern bekannt wurden. 59 Rechtsextreme besitzen insgesamt 272 Schusswaffen. Das ist eine beängstigende Zahl.
Dazu kommen Vereinigungen wie „Nordkreuz”, rechtsextreme Akteure teilweise bis in Sicherheitsbehörden hinein, die Listen von Feinden angelegt haben. Darauf standen auch Personen, die in der Demokratiearbeit tätig waren, auch Kolleg*innen.
Zudem ist die Presselandschaft in Mecklenburg-Vorpommern sehr schlecht aufgestellt und nicht sehr hilfreich, im Kampf gegen Rechts. Teilweise übernehmen die großen Zeitungen sogar AfD-Positionen. Neben dem Nordkurier und der Ostsee Zeitung gibt es nicht mehr viel. Plattformen wie Endstation Rechts oder Katapult MV machen daher oft unentbehrliche Recherchearbeit.
In anderen Bundesländern waren die Bauernproteste zu Beginn des Jahres ein großes Thema und dienten auch zur Mobilisierung aus dem rechten Milieu. Wie war das in Mecklenburg-Vorpommern?
Bei uns gab es den sogenannten „Unternehmeraufstand” mit bis zu 600 Fahrzeugen vor den Europawahlen. Die Akteur*innen kamen aus der verschwörungsideologischen Ecke, waren aber offen nach rechts. Vom Duktus erinnerten sie an elitenfeindliche und antidemokratische Bewegungen wie PEGIDA. Sie boten ein Spielfeld, das von der bürgerlich-konservativen, über die ökologisch-völkische, bis in die rechte Ecke reichte. Diese Anti-Ampel Koalition hat dort gut funktioniert. Beispielsweise wurden Losungen der gewalttätigen Landvolk-Bewegung aufgegriffen wie: „Solange deutscher Pflug die deutsche Scholle bricht, solange bricht Deutschland nicht!”
Anfang 2024 haben die CORRECTIV-Recherchen zu Protesten in der Zivilgesellschaft geführt. Auch in Mecklenburg-Vorpommern?
Auch in MV gab es Reaktionen auf die Correctivrecherche, etwa Demonstrationen und Bündnisneugründungen. Die Zivilgesellschaft ist aber trotzdem zurückhaltend, was den breiten und lauten Protest angeht. Die starke Reaktion auf den Erfolg der AfD blieb häufig nämlich wegen zu großer Unsicherheit oder Bedrohungsgefühlen aus. Die Auseinandersetzung findet eher innerhalb von Institutionen wie Schulen oder Unternehmen statt.
Das Problembewusstsein ist zwar da, jetzt müssen die Bündnisse, die sich gegründet haben, nur weiterhin bestehen. An vielen Orten bilden sich diese über das breite demokratische Spektrum hinweg. Da sprechen engagierte Jugendliche mit CDU-Akteur*innen oder der Kirche. Auch die Geflüchtetenhilfe spielt eine Rolle im Protest. In den großen Städten wie Rostock ist man zivilgesellschaftlich sehr gut aufgestellt. Schwierig wird es eher im ländlichen Raum.
Man kann da vorsichtig optimistisch sein. Die Teilnehmerzahlen bei den Demos gegen Rechts waren gut. Auch beim queerfeindlichen Vorfall um die Regenbogenflagge in Neubrandenburg kamen spontan viele Demonstrierende auf der Straße zusammen. Nach dem rassistischen Übergriff auf die beiden ghanaischen Mädchen in Grevesmühlen bildete sich eine Menschenkette als Protest und zur Solidarisierung mit den Betroffenen.
Die zivilgesellschaftlichen Reaktionen zeigen zum einen deutlich, dass die Gefahr des Rechtsextremismus erkannt wird, und zum anderen Menschen empowern, Haltung zu zeigen.