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Jahresrückblick 2024 Saarland – Mehr Menschenfeindlichkeit und viele Akteur*innen

Naziaufmarsch in Bingen am Rhein im Juli 2024. (Quelle: Flickr/ Kai Schwerdt)

Im Saarland war das Jahr 2024 geprägt von den Europa- und Kommunalwahlen und dem in diesem Kontext besonders sichtbar gewordenen Anstieg von menschen- und demokratiefeindlichen Haltungen. Auch hier erzielte die AfD Wahlerfolge und wurde im saarländischen Verfassungsschutzbericht für 2023 erstmals als Beobachtungsfall benannt.

Die Querdenker*innen- und Reichsbürger*innen-Milieus sind weiterhin aktiv und teils untereinander vernetzt. Querdenker*innen machen insbesondere durch die Instrumentalisierung verschiedenster politischer Themen in Verbindung mit demokratie- und menschenfeindlichen Inhalten auf sich aufmerksam. Weitere aktive Akteur*innen waren – trotz des bundesweiten Verbots 2023 – die Hammerskins, sowie die Priesterbruderschaft St. Pius X., die für den jährlichen „Marsch für das Leben“ mitverantwortlich ist und immer wieder durch Verbindungen zu rechtsextremen, verschwörungsoffenen und identitären Szenen auffallen.

Entwicklungen rund um den Mord an Samuel Kofi Yeboah

Während der erste Gerichtsprozess um den über 30 Jahre zurückliegenden rassistischen Mordfall an Samuel Kofi Yeboah im vergangenen Jahr mit einer Jugendstrafe von sechs Jahren und 10 Monaten für den Angeklagten ausging, brachte der zweite Mordprozess kein Strafmaß für den Angeklagten. Peter S., ehemaliger Neonazi, hatte 1991 einen rassistischen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis verübt, bei dem der ghanaische Geflüchtete Samuel Kofi Yeboah qualvoll starb und mehrere andere Bewohner*innen verletzt wurden.

Seinem Freund Peter St., ehemaliger Anführer der Saarlouiser Neonazi-Szene, wurde Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Er wurde beschuldigt, Peter S. zur Brandstiftung an der Asylbewerberunterkunft ermutigt zu haben. Da sich dieser Verdacht jedoch nicht bestätigen ließ, erfolgte ein Freispruch für Peter St.

Gegen Peter S., der 2023 wegen des Mordes verurteilt worden war, wurde ein zweites Verfahren eingestellt. Er sollte 1996 einen Szeneaussteiger brutal angegriffen haben. Da es sich nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Saarbrücken dabei um versuchten Totschlag handelte, der aufgrund der lange zurückliegenden Tatzeit verjährt ist, wird im Fall nicht weiter ermittelt.

Ein Untersuchungsausschuss des Landtags, der 2024 eingesetzt wurde, soll ergänzend zu den Mordprozessen die „Fehler im Handeln und mögliches Unterlassen der saarländischen Landesregierungen und ihrer nachgeordneten Behörden“ im Umgang mit dem Brandanschlag aufklären. Verschiedene Akteur*innen im Saarland, wie die Aktion 3. Welt Saar, Antifa Saar – „Projekt AK“ oder die Heinrich-Böll-Stiftung setzen sich bereits seit Jahren für eine Aufarbeitung der gesellschaftlichen Hintergründe und ein würdevolles Gedenken an Yeboah ein.

Die AfD und die Europa- und Kommunalwahlen

Unter dem Stichwort Rechtsextremismus beschäftigte sicherlich die meisten Saarländer*innen 2024 das Thema Europa- und Kommunalwahlen am stärksten. Hier zeigte sich die Andockfähigkeit rechtsextremer Inhalte an gesellschaftliche Trends. Bereits im Wahlkampf fiel die AfD beispielsweise durch die Verharmlosung der rassistischen Version des Partyhits „L’amour toujours“ auf; sowohl beim Landesvorsitzenden als auch dem Vorsitzenden der AfD-Jugendorganisation Jungen Alternative zeigte sich deren Nähe zur Identitären Bewegung.

Wie auch in anderen Bundesländern ergaben die Wahlergebnisse eine deutliche Zunahme der Zustimmung zur AfD, die ihren Stimmenanteil im Vergleich zu früheren Europa-, und Kommunalwahlen  ausbauen konnte. Diese Verschiebung hin zu rechten Kräften, insbesondere in strukturschwachen und von sozialer Unsicherheit geprägten Regionen, ist Ausdruck einer verbreiteten Skepsis gegenüber der Europäischen Union und bundespolitischen Diskursen. Diese Entwicklung spiegelt den europaweiten Trend wider, in dem nationale und populistische Parteien mehr Zulauf erfahren und das Misstrauen in die Europäische Union wächst.

Zu einem strittigen Fall kam es in Saarbrücken, wo die AfD von einem Streit zwischen CDU und SPD profitierte: Hier wurde ein CDU-Bezirksbürgermeister mutmaßlich mit Stimmen der AfD-Fraktion und ein AfD-Mann mit Stimmen von CDU oder SPD zum Ersten Beigeordneten gewählt. Welche Stimmen das waren, konnte im Nachgang nicht mehr geklärt werden.

Im Nachgang sorgte auch das Lagebild des saarländischen Verfassungsschutzes für das Jahr 2023 für Aufsehen: Rechtsextremismus wird für das Saarland weiterhin als die größte Bedrohung benannt. Für 2023 gibt der Verfassungsschutz 230 erkannte und vermutete rechtsextreme Personen an. Erstmalig wurde auch die AfD beobachtet, die nun auch im Saarland unter anderem durch ihr „ethnisch-biologistisches Volksverständnis“, die „ausländer- und muslimfeindliche[n] Positionen“ sowie durch „rechtsextremistische und verschwörungsmythische Narrative“ auffällt.

Im Frühjahr wurden zudem Aktivitäten der Partei Der III. Weg bekannt, die durch verschiedene Aktionen in saarländischen Städten über das Thema Tierschutz auf sich aufmerksam zu machen versuchte.

Bedenkliche Zunahme von Menschen- und Demokratiefeindlichkeit in der Gesellschaft

Als besorgniserregend bewertet die Fachstelle gegen Rechtsextremismus insbesondere die gesellschaftlichen Entwicklungen im Kontext der Wahlen, aber auch unabhängig davon. Auffällig waren das regelmäßige Vorkommen von rechtsextremen und antisemitischen Schmierereien, beispielsweise auf Wahlplakaten und an öffentlichen Plätzen sowie eine Zunahme rassistischer Parolen, insbesondere rund um die Europameisterschaft und die Ereignisse rund um die rassistische Version von „L´amour toujours“. Bei diesen kleineren Vorfällen blieb es jedoch nicht. Mehrfach fanden auch direkte Beleidigungen und Bedrohungen von Einzelpersonen statt, in manchen Fällen auch tätliche Gewalt aus menschenfeindlichen Motiven.

Wie gesellschaftsfähig rassistische Haltungen derzeit sind, zeigt auch eine laufende Petition gegen die Umfunktionierung eines Gebäudes zu einem Wohnheim für geflüchtete Menschen in Saarbrücken. Die politische Entscheidung ist bereits gefallen, doch die Debatte um die Rechtmäßigkeit der Unterbringung der Menschen erzeugt weiterhin Aufsehen. Auch die Beratungspraxis der Fachstelle gegen Rechtsextremismus deutet auf einen Anstieg von menschenfeindlichen Haltungen und Bedrohungen im letzten Jahr hin, insbesondere auch schon bei jungen Menschen und Kindern.

Querdenker*innen und Reichsbürger*innen

Wie bereits in den vergangenen Jahren nutzte die heterogene Szene der Querdenker*innen und ehemaligen Corona-Protestler*innen diverse politische Themen als Aufhänger, um ihre teils demokratiefeindlichen und verschwörungserzählerischen Haltungen zu verbreiten. Am prägnantesten war hier sicherlich, dass diese Akteur*innen die sogenannten Bauernproteste zu Beginn des Jahres unterstützten. Gerne inszeniert sich das Milieu als demokratischer Mittelstand, während in entsprechenden Kanälen regelmäßig unwidersprochen antisemitische und rassistische Narrative sowie Gewaltfantasien gegen Politiker*innen geteilt werden. Das Milieu ist auch andockfähig für esoterische Inhalte. So läuft seit 2024 ein Verfahren gegen einen im Saarland lebenden bekannten mutmaßlichen Reichsbürger und Verschwörungsideologen.

Auffällig ist, dass im weiteren Jahresverlauf zunehmend eine Zersplitterung der Szene in kleinere Gruppen stattfand, die an verschiedenen Orten eigene Demonstrationen organisierten. Erklärtes Ärgernis war hier die Bundesregierung, die für eine Bandbreite (vermeintlicher) Herausforderungen von der Unterstützung der Ukraine, Altersarmut, Zuwanderung bis hin zur „Zerstörung des Mittelstandes“ verantwortlich gemacht wurde.

Die saarländischen Reichsbürger*innen machten 2024 insbesondere mit der erneuten Verhaftung eines prominenten Mitglieds auf sich aufmerksam. Dieser war durch Drohungen aufgefallen. Die saarländischen Reichsbürger*innen halten das Referendum von 1955 über den Status des Saarlands, in dessen Folge sich das Saarland an die Bundesrepublik Deutschland anschloss, für nichtig. Dementsprechend bestehe das Saarland in ihren Augen juristisch gesehen bis heute als eigenständiger Staat fort.

Hammerskins und Piusbruderschaft

Trotz des bundesweiten Verbots der Neonazi-Gruppe Hammerskins 2023 und damit zusammenhängender Hausdurchsuchungen auch im Saarland waren diese wenig überraschend auch 2024 aktiv. Zu mindestens zwei Treffen, einem in Frankreich sowie einem in Schweden, stießen auch saarländische Hammerskins hinzu. Dies zeigt, dass die Aktivitäten einer international vernetzten rechtsextremen Organisation nur durch ein international ausgerichtetes Vorgehen verhindert werden können.

Auch die Aktivitäten der Priesterbruderschaft St. Pius X fanden ähnlich wie erwartet statt: Die fundamentalistische katholische Gemeinschaft ist seit 1990 maßgeblich an der Durchführung des „Marsch für das Leben“ in Saarbrücken beteiligt, bei dem gegen Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung, gegen die Beratungsstelle Pro Familia und für christlich-fundamentalistische Wertvorstellungen demonstriert wird. Immer wieder fällt hier die aktive Mitwirkung von Personen aus rechtsextremen, verschwörungsoffenen und identitären Kreisen auf. Zum „Marsch des Lebens“ 2022 laufen des Weiteren immer noch Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen einen ehemaligen Lehrer der Priesterbruderschaft nahestehenden Schulträgers. Zu Jahresbeginn ermittelte der Staatsschutz zudem gegen einen leitenden Mitarbeiter des Schulträgers wegen unerlaubten Besitzes von Schusswaffen.

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