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Jahresrückblick Das war 2011

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Januar


Foto: Screenshot der Webseite kurtlarvadisi.com

Ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag sollte der als antisemitisch kritisierte türkische Actionfilm Tal der Wölfe – Palästina“ in deutschen Kinos starten. Zivilgesellschaftliche Organisationen warnen vor antisemitischer Hetze in deutschen Städten nach dem Besuch des Kinofilms. Diese ereigneten sich bereits nach der Veröffentlichung des Vorgängerfilms „Tal der Wölfe – Irak“. Der Film wurde erst in zweiter Instanz von der FSK nicht für Jugendliche unter 18 Jahren freigegeben. In Kassel und Konstanz wurde der Film nach Protesten vorzeitig abgesezt.

Februar


Foto: Petra Pau, Katrin Göring-Eckardt, Wolfgang Thierse, Hölger Hövelmann, Heike Taubert, Redaktion, c

Nachdem Neonazis 2010 in Dresden keinen Fuß in die Tür bekamen, versuchten sie es 2011 erneut und dies gleich zwei Mal. Am 13. Februar protestierten mehr als 3.000 Demonstrierende gegen etwa 1.500 Neonazis, eine Woche drauf verhinderten etwa 20.000 Blockierende den Aufmarsch von Nazis, die in wesentlich kleinerer Anzahl als erwartet anreisten. Die Polizei geht teilweise rabiat gegen Gegendemonstrantrierende vor. Unterdessen greifen Neonazis ein alternatives Wohnprojekt in Dresden-Löbtau an. Die Polizei hingegen konzentriert sich auf die Gegenprotetse: Noch am Abend drangen knapp zwei Dutzend Spezialkräfte der Polizei in das Haus der Begegnung“ im Stadtteil Pieschen ein, beschädigten die Einrichtung und nahmen 16 Personen vorläufig fest. Erst später im Jahr kommt heraus, dass während der Demonstration eine Funkzellenauswertung gemacht wurde, die alle Telefondaten während des Demonstrationszeitraumes gespeichert hat. Bis nach Thüringen reist die sächsische Polizei, um Gegendemonstrierende zu kontrollieren: So gibt es beim Stadtjugendpfarrer Lothar König im September eine Razzia. Viele schütteln den Kopf über sächsische Absurditäten.

März


Foto: Aufkleber der NPD in Laucha, die sich hinter ihren Kader Battke stellt, Redaktion, c

Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt erreicht die NPD 4,6 Prozent und verpasst damit nur knapp den Einzug in den Landtag. Um zu verhindern, dass die NPD in den Landtag einzieht, organisiert der Verein Miteinander e.V. zusammen mit der Amadeu Antonio Stiftung die Kampagne „Kein Ort für Neonazis in Sachsen-Anhalt“. Ziel ist es, der sich bürgernah und seriös gerierenden NPD ein klares Zeichen entgegenzusetzen und argumentativ klarzustellen, dass die NPD keine „normale“, Partei ist, sondern dass sich hinter dem gemäßigten Auftreten eine menschenverachtende Ideologie verbirgt. Lokale Initiativen können überall im Land deutlich machen, dass hier kein Platz für Neonazis ist – weder im Landtag noch sonst wo. Die NPD verpasst den Einzug in den Landtag.

April


Foto: Winterbach im Remstal, via wikipedia, cc. „Brauner Spuk zerstört die Idylle“

Im baden-württembergischen Remstal macht ein Anschlag Rechtsextremer auf eine Gruppe junger Männer mit italienischen und türkischen Wurzeln fassungslos. Die Brutalität des Übergriffs schockiert: Die Angreifer gehen mit Äxten auf ihre Opfer los und als diese sich in eine Gartenlaube flüchten, wird diese von den Rechtsextremen in Flammen gesetzt. Gerade noch so können sich die angegriffenen Männer retten. Bereits vor zehn Jahren war der Rems-Murr-Kreis, in dem Winterbach liegt, wegen rechtsextremer Übergriffe in die Schlagzeilen geraten: Ein Asylbewerberheim wurde angezündet, kurz darauf schlugen Neonazis einen Griechen brutal zusammen.

Mai


Foto: Grenze Deutschland-Polen von ChrOl via flickr, cc

Am 27. Mai wird der Obdachlose André K. in Oschatz (Sachsen) von drei Männern im Alter von 25 bis 36 mit Schlägen und Tritten schwer misshandelt. Der 50-jährige starb sechs Tage später in einem Krankenhaus in Leipzig. Nach Recherchen der Mut-Redaktion und des Opferfonds CURA ist André K. damit bereits das 182. Todesopfer rechter Gewalt seit 1990.

Zum 1. Mai wird der deutsche Arbeitsmarkt für die Bürgerinnen und Bürger der östlichen Mitgliedsländer der Europäischen Union geöffnet. Bei der NPD ist dies ein beliebtes Thema, um polenfeindliche Ressentiments in Mecklenburg-Vorpommern zu schüren. Das Projekt „perspektywa“ der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern e. V. in Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung setzt sich mit diesen Ressentiments auseinander.

Am 14. Mai versuchten etwa 100 Neonazis in Berlin-Kreuzberg unter dem Motto Wahrheit macht frei“ zu demonstrieren. Um nicht blockiert zu werden, halten sie den Aufmarsch geheim. Doch etwa 500 kurz entschlossene Gegendemonstrierende machen ihnen einen Strich durch die Rechnung. Der Polizeieinsatz gerät in die Kritik, da bis zum eigentlichen Tag, die Demonstration der Neonazis geheimgehalten wurde. Während des Geschehens konnten Neonazis außerdem Angriffe verüben.

Juni


Foto: 10-Jahres-Feier der MBR, von MBR Berlin, c

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) feiert am 8. Juni ihren 10-jährigen Geburtstag. Seit Juni 2001 berät und informiert die MBR Berliner*innen, die in ihrem Alltag mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus konfrontiert sind. Die „Koordinierungsstelle für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit“ in Eberswalde feiert ebenso ihr zehnjähriges Bestehen. Sie setzt sich seit nunmehr einer Dekade aktiv für mehr Demokratie und den Abbau von Vorurteilen ein. Die Amadeu Antonio Stiftung gratuliert ihrem Partner herzlich zum 10. Geburtstag!

In der Nacht zum 27. Juni stecken Neonazis das Anton-Schmaus-Haus der Neuköllner Falken in Brand. Tags zuvor hatte dort eine Kindergruppe übernachtet, es entsteht erheblicher Sachschaden.

Am 30. Juni eröffnet die Amadeu Antonio Stiftung die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus. Sie will die Arbeit gegen Rechtsextremismus aus geschlechterreflektierender Perspektive denken. Ziel ist es, einen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis voranzubringen, Projektarbeit zu initiieren und zu unterstützen sowie das Thema auf politischer Ebene deutlicher in die Diskussion zu bringen. Angesichts der Rechtsterroristin Beate Z., Mitglied der NSU, nötiger denn je.

Juli


Foto: Blumen in Oslo nach den Attentaten, von Jakob Hürner via flickr, cc

Die Attentate von Norwegen erschüttern die Menschen. Anders Behring Breivik zündete eine Autobombe im Osloer Regierungsviertel und fuhr dann auf die Insel Utoya, auf der ein sozialdemokratisches Jugend-Ferienlager stattfand. Dort schoß er in die Menge der Jugendlichen. 77 Menschen kamen ums Leben. Die rechtspopulistischen Parteien Europas distanzieren sich zwar von den Attentaten. In Internetforen lässt sich aber Verständnis für die schrecklichen Taten erkennen. Im November bescheinigt ein Gutachten Breivik Wahnvorstellung. Ob und wie er für seine Taten strafrechtlich belangt wird, ist noch unklar.

Damit Opfer rechter Gewalt und ihre Angehörige nach Angriffen Unterstützung erfahren, gibt es in Deutschland Beratungsstellen. So auch in Sachsen. Dort hilft die RAA Sachsen seit zehn Jahren Opfern rechter Gewalt – und feiert ihr Jubiläum. Herzlichen Glückwunsch!

August


Foto: T-Shirt nach dem waschen, EXIT, c

Thüringen ist das Festivalland der Neonazis. Im August findet das NPD-Fest „Rock für Deutschland“ in Gera statt. Was die Neonazis nicht wissen: Die Aussteigerorganisation EXIT-Deutschland hat ein ihnen eine Lieferung Trojaner-Shirts untergejubelt. Kostenlos sendete sie 250 T-Shirts an die Veranstalter. Auf ihnen war der Schriftzug „Hardcore Rebellen“ in szenetypischem Design zu sehen. Nach dem NPD-Fest war die Überraschung groß. Einmal gewaschen löste sich der Aufdruck und darunter kam ein zweiter zum Vorschein: „Was dein T-Shirt kann, kannst Du auch – Wir helfen Dir, Dich vom Rechtsextremismus zu lösen“ und den EXIT Kontaktdaten. Die Neonazis ärgern sich – aber selbst einige unter ihnen finden die Aktion gelungen. Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere heute daran und kontaktiert EXIT.

September


Foto: Logo „Laut gegen Rechts – Nazis aus dem Takt bringen“

Erneut schafft es die NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einzuziehen. Am Abend vor der Wahl sprachen sich Künstler*innen wie Polarkreis 18 und Tim Bendzko beim Konzert auf der Schweriner Marstallinsel „Laut gegen Rechts – Nazis aus dem Takt bringen“ gegen die NPD ausgesprochen. Dennoch erreicht die NPD gerade in den Grenzregionen zu Polen zweistellige Werte. Zivilgesellschaftliche Initiativen müssen weiter unterstützt werden. Die anderen Parteien dürfen im ländlichen Raum der NPD das Feld nicht überlassen.

In Berlin versuchen rechtspopulistische Parteien wie „Pro Deutschland“ und „Die Freiheit“ Stimmen bei den Wahlen zu ergattern. Doch sie scheitern und erzielen unterirdische Ergebnisse. Die NPD versucht durch Radikalität überzeugen, muss aber auch Verluste einstecken.

Das Kulturbüro Sachsen und die Opferberatung „Opferperspektive Brandenburg“ feieren zehn Jahre erfolgreiches Engagement.

Oktober


Foto: „Extremis Mus“, Redaktion, c

Mittlerweile zweifelt auch der juristische Dienst des Sächsischen Landtags an der „Demokratieerklärung“, auch bekannt als „Extremismusklausel“. Die sächsischen Besonderheiten in Sachen „Extremismusbekämpfung“ offenbaren sich oberndrein bei „Schwimmern für Demokratie und Toleranz“ in Zwickau: Auch der NPD-Kader Jens Gattner ist am Start und es posieren Pia Findeiß, Zwickaus Oberbürgermeisterin, und Michael Wilhelm, Staatssekretär im sächsischen Staatsministerium des Innern, mit ihm und seiner Urkunde. Davon angetan, produziert die Firma Klausel ihr unglaublich schmackhaftes „Extremis Mus“, was keinesfalls mit herkömmlichen Pflaumenmus verwechselt werden sollte.

November


Foto: von ngn, c

Über zehn Jahre tappten Polizei und Verfassungsschutz im Dunkeln. Eine rassistische Mordserie verübt von der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ kommt ans Licht. Bisher war ein rassistisches Motiv aus dem Fokus der Behörden geraten. Die jahrelange Verharmlosung rechter Gewalt zeigt exemplarisch ihre Konsequenzen: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter wurden zwischen 2001 und 2007 ermordet. Die stern-Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“ und der Opferfonds CURA veröffentlichen außerdem eine Liste von Todesopfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt seit 1990. Mindestens 182 Menschenleben sind zu beklagen.

Am 9. November wird der Sächsische Förderpreis für Demokratie verliehen. Gewinner sind der Augen auf e. V. und das Bürgerforum Limbach-Oberfrohna.

Dezember


Foto: Udo Lindenberg, von Sven Sindt, c

Noch immer geschockt von der tödlichen Dimension rechter Gewalt sucht die Politik nach Lösungen. Doch im Bundestag findet die Erhöhung der Mittel für das Engagement gegen Rechtsextremismus keine Mehrheit. Unterdessen rocken Udo Lindenberg und Freunde in Jena gegen rechte Gewalt. „Ich will vor allem auch die vielen jungen Leute ermutigen, die sich in Dörfern und Städten für unsere Demokratie einsetzen“, sagt der Altrocker. „Vor ihnen ziehe ich meinen Hut.“

Von Nora Winter und Felix Fischaleck

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

 

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Zwei rechte Angriffe pro Tag

Im vergangenen Jahr ist die Zahl rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Straftaten in Berlin und den neuen Bundesländern wieder deutlich angestiegen. So wurden für 2013 insgesamt 737 politisch rechts motivierte Angriffe mit mindestens 1.086 direkt Betroffenen dokumentiert. Statisch gesehen passieren somit in Ostdeutschland etwa zwei rechte Angriffe pro Tag.

Von Alice Lanzke

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