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Jetzt kommen die guten Nazis

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Die Katastrophe, über die sich jetzt alle entsetzen, ist längst Normalität. Obwohl Politiker derzeit das Wort Halberstadt mit Schaudern aussprechen wie den Namen eines netten Onkels, der plötzlich als Perverser enttarnt wurde, obwohl Journalisten die Stadt zum Hort des Bösen stilisieren, weiß doch jeder, der es wissen will, dass rechtsextreme Attacken an der Tagesordnung sind ? nicht nur im Harz, nicht nur in Sachsen-Anhalt, nicht nur in Ostdeutschland. Deshalb kehrt man als Ortsfremder nicht in jede beliebige Kneipe ein. Deshalb meiden auch Einheimische gewisse Schützenfeste. Deshalb warnen Verfassungsschützer regelmäßig die Schulen vor Propagandaaktionen militanter Kameradschaften. Und deshalb verzichten viele linke Jugendliche in der Provinz auf eine schrille Frisur, die sie zum bevorzugten Opfer rechter Schläger machen würde.

Wer bunte Haare hat, bekommt nach einem Überfall schon mal gesagt, er sei an seinem gebrochenen Kiefer selber schuld. Statt öffentlicher Anteilnahme ernten Opfer rechter Gewalt oft noch Häme, und ihre Fürsprecher werden als Nestbeschmutzer beschimpft. So erging es dem Sozialarbeiter Tilo Giesbers, als er im Januar 2006 in Quedlinburg seinen Dienst als Netzwerkkoordinator der antifaschistischen Bundesinitiative Civitas antrat. Am Silvesterabend hatten Neonazis zwei Jugendliche krankenhausreif geprügelt, und die Polizei hatte mal wieder vergessen, die Personalien der Täter aufzunehmen. Das erzählte Giesbers einer überregionalen Zeitung, worauf ihn prompt Quedlinburgs Honoratioren anriefen, um die Verunglimpfung ihres sauberen Fachwerkstädtchens zu rügen. Ein Inhaber einer Pension drohte gar mit Schadensersatzforderungen, weil eine Berliner Schulklasse ihren Besuch abgesagt hatte. So etwas gefährde Arbeitsplätze! Doch nun dürfen die heimattreuen Bürger in Sachsen-Anhalts prügelfreudigstem Ort, wo vergangenes Jahr 23 rechte Gewalttaten von landesweit 178 registriert wurden (nicht gerechnet versuchte Brandanschläge), aufatmen: Zum 30. Juni endet die Förderung für Civitas. Dann verschwindet Giesbers und mit ihm die einzige unabhängige, stationäre Beratungsstelle für Opfer neonazistischer Gewalt im Harz.

So sieht die Situation aus, in der Rechtsextremismus alltäglich wird und eine neue Generation von Nazis sich durch ihre Doppelstrategie aus Einschüchterung und Anbiederung etabliert. Äußeres Zeichen ist ein immer selbstbewussteres Auftreten bei zunehmendem Verzicht auf martialische Signale wie Springerstiefel, Glatzen, Bomberjacken. Politische Ursache ist der Schulterschluss der NPD mit den freien Kameradschaften. Seit die Partei 2004 in den Sächsischen Landtag einzog, hofiert sie die gewaltbereite Neonaziszene in den neuen Bundesländern, verhilft der rechten Subkultur zu kultureller Akzeptanz und profitiert gleichzeitig von deren subversivem Potenzial. Bindeglied zwischen den einst verfeindeten Lagern sind die Jungen Nationaldemokraten (JN), die Mitte der Neunziger beschlossen, die NPD kulturell zu beleben: durch Einmischung in gesellschaftliche Debatten, ständige Präsenz in der Öffentlichkeit, Systemkritik statt Geschichtsrevisionismus, Betonung der sozialistischen Aspekte des Nationalsozialismus, vor allem aber Appelle an einen verlorenen Gemeinschaftssinn.

Mittlerweile besetzen regional verankerte JN-Kader aus dem Umfeld der gewaltbereiten freien Kräfte immer mehr politisch wichtige Positionen: So tauchte der Kreisvorsitzende der NPD im Landkreis Harz, Matthias Heyder, regelmäßig bei Demos auf, die der »Einheitsfrontpolitik« von Partei und Kameradschaften dienten. Der ehemalige Anführer der »Ostara-Skinheads«, Enrico Marx, ist als Konzertveranstalter, Rechtsrockvertreiber, Fanzineherausgeber nun auch Leiter des JNStützpunktes Sangerhausen. Der Politikstudent Michael Schäfer, stellvertretender JN-Landesvorsitzender und ab Juli Kreistagsabgeordneter im Harz, hatte beste Kontakte zu der berüchtigten Wernigeroder Aktionsfront (WAF), die sich Ende 2005 während massiver Strafermittlungen in die Wernigeroder JN verwandelte. Seither gründete die JN sieben weitere »Stützpunkte« in Sachsen-Anhalt, den jüngsten am vergangenen Wochenende in Blankenburg. Die NPD verdankt es vor allem ihrer Jugendorganisation, dass sie bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 13 Kreistagsmandate statt der bisherigen drei holte.

Konzerte und Demos, Fußball und Boxen als Integrationsangebote

Alarmierend ist aber nicht die Zahl der Mandate, sondern eine Dynamik, die der NPD in manchen Kameradschaftshochburgen im Südharz oder im Jerichower Land Wahlergebnisse bis zu 17,5 Prozent brachte. Sie entsprechen der Quote extremistischer Überzeugungen, denen die deutsche Gesamtbevölkerung laut einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zuneigt. Dieses Potenzial haben hauptsächlich Jungnationale mobilisiert: Sie beteiligen sich mit Pamphleten aus Jürgen Gansels »Dresdner Schule« am 68er-Bashing, heizen bei Volksfesten den wiedererwachten Nationalstolz an, betrauern regelmäßig deutsche Bombenkriegstote. Weil die Rechten sich dem Zeitgeist anpassen (und umgekehrt), dabei aber stets ein bisschen deutscher sind als alle anderen Deutschen, haben sie Erfolg.

Außerdem ernten sie jetzt die Früchte ihrer kontinuierlichen Jugendarbeit: all der Konzerte, Fußballturniere, Boxtrainings, Heimatabende, Politschulungen, Aufmärsche und sonstigen gruppendynamischen Selbstvergewisserungsangebote in strukturschwachen Regionen. Über 250 Konzerte fanden im Jahr 2005 statt, deutsche Neonazibands und Liedermacher veröffentlichten über hundert CDs. »Kulturkampf« nennt man das in der Szene mit Rekurs auf Bismarckzeit und Neue Rechte. Dass in Anlehnung an den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci auch von »kultureller Hegemonie« geredet wird, verweist auf den ideologischen Missbrauch linker Topoi. Rechtskonservatismus und Materialismus, Antisemitismus und Antikapitalismus werden in ein »inländerfreundliches«, globalisierungskritisches Weltbild integriert.

Beim Eintauchen in den gesellschaftlichen Mainstream wie beim Spiel mit politischen Identitäten nimmt die JN eine Vorreiterrolle ein. Sie nennt sich mit den Worten Lenins eine Jugendbewegung »neuen Typs«. Ihre Anhänger spazieren in Che-Guevara-T-Shirts mit Keltenkreuz herum. Und schon 1997 formulierte sie in einem Kampfknigge, was jeder einzelne Kamerad zum kulturellen Umsturz beitragen könne: Macht Euch selbständig! Tretet Schützenvereinen bei! Nutzt die Möglichkeit, die Euch die Bundeswehr bietet! Schult Eure jungen Kameraden! Hört nicht nur Skinhead-Musik! Legt den Uniformfetischismus ab! Sondert Euch vom Amüsierpöbel ab!

Solche Verbürgerlichungsparolen werden von den White-Noise-, Hatecore- und NS-Blackmetal-Fans, belächelt. Trotzdem setzt sich das neurechte Saubermannimage langsam durch. Gute Nazis sagen Weltnetz statt Internet. Sie präsentieren sich an Infoständen beim Sachsen-Anhalt-Tag. Sie spendieren dem Kinderfest Kuchen und dem Sportverein Bälle. Sie organisieren Hausaufgabenhilfe und Ferienbetreuung oder fahren an die mitteldeutsche »Hochwasserfront«, um Sandsäcke zu schleppen. Nur gelegentlich, der Verfassungsschutz schätzt ein paar Hundert Mal pro Jahr, schlagen sie über die Stränge. Dann misshandeln sie im Quedlinburger Bahnhof einen Obdachlosen, dass sein Blut zwei Meter weit spritzt. Oder sie zwingen in Pömmelte ein farbiges Heimkind, ihnen die Füße zu küssen, und versuchen es mit einer brennenden Zigarette zu foltern.

Doch von den meisten Entgleisungen bekommen potenzielle NPD-Wähler nichts mit. Stattdessen sieht man am 1. Mai den rechten Nachwuchs in gebügelten Hemden, geputzten Turnschuhen von New Balance und mit adretten Kurzhaarfrisuren aufmarschieren. Selbst gediegene rechte Marken wie Lonsdale, Consdaple, Fred Perry oder Thor Steinar sind manchen Konsensnazis mittlerweile zu explizit und werden ersetzt durch dezente Pins, Runenschmuck und Zahlencodes. Das ist keineswegs kapitulatorisch gemeint. Aber es trägt zur Beruhigung der Polizei bei, die lieber linksalternative Jugendliche beargwöhnt und sich nach dem jüngsten Überfall in Halberstadt weigerte, die unverletzt gebliebenen Schauspieler nach Hause zu begleiten. Die begegneten auf dem Heimweg durch die nächtliche Angstzone noch einigen der Täter.

Schulhof-CDs und rassistische Aufkleber als Propagandamaterial

Warum werden die Opfer allein gelassen? Warum legt die Polizei bei Notrufen der Antifa oft einfach auf? Warum stört sich kaum jemand daran, dass auf dem Privatgrundstück des Neonazis Enrico Marx in Sotterhausen jeden Freitag Rechtsextreme feiern? Es sind ja nur ganz wenige, sagen die Tourismusmanager. Die tun doch nichts, sagen die Busunternehmer. In der Tat, für deutsche Rentner auf Kaffeefahrt sind Rechte relativ ungefährlich. Sie marschieren bloß bei Hartz-IV-Demos mit. Verteilen als Nikoläuse verkleidet auf Weihnachtsmärkten NPD-Bonbons. Veranstalten »Highlandgames« mit Bierkastenstapeln und Baumstammweitwurf.

Das ist aber alles nicht so harmlos, wie es klingt, denn besonders die Jugendarbeit geht mit finsterster Indoktrination einher. Paradebeispiel sind die kostenlosen Schulhof-CDs, von denen sich mittlerweile fünf im Umlauf befinden. Auf der Scheibe mit dem Titel Sechzig Jahre Musik gegen sechzig Jahre Umerziehung, die soeben in Sachsen verteilt wurde, spielen einschlägige Bands wie Stahlgewitter, White Fist, Endlöser. Momentan kursieren immer mehr rassistische Aufkleber. An Schulen werden rechtsextreme Schülerzeitungen verteilt. Und als das Land Sachsen-Anhalt an Harzer Schulen eine Aufklärungskampagne machte, drohten rechte Schüler den nichtrechten, wenn sie hingingen, Prügel an.

Neben solchen Bedrohungsszenarien gehört zur neurechten Normalität auch die »Wortergreifungsstrategie«: Als vor der Oberbürgermeisterwahl in Halle eine Podiumsdiskussion stattfand und die Kandidaten gefragt wurden, was sie gegen Rechtsradikalismus tun wollten, meldete sich zuerst der NPD-Kandidat. Und auf dem Marktplatz von Wernigerode hielt während des Libanonkrieges im vergangenen Sommer die NPD jeden Montag eine antiisraelische Mahnwache ab. Wer aber gegen solche Auftritte protestiert, lebt gefährlich. Der Wernigeroder Pfarrer Peter Lehmann beispielsweise wurde von einer Gruppe unter Anführung des NPD-Kreisvorsitzenden Matthias Heyder »besucht«, die sich vor Lehmanns Wohnhaus zur Minidemo formierte. Vorige Woche verklagte die NPD den Pfarrer, weil er in seiner Funktion als Abgeordneter der Grünen eine Solidaritätsbekundung für die Opfer des Halberstädter Überfalls verfasst und eine Verbindung zwischen NPD, Kameradschaften und »handgreiflichen Tatsachen« hergestellt hatte.

Die hartnäckige Nutzung demokratischer Infrastrukturen und deren gleichzeitige Aushöhlung durch die Rechten generiert immer neue Einschüchterungsversuche. Kürzlich hielt die NPD sogar vorm Haus des Magdeburger SPD-Oberbürgermeisters eine Mahnwache ab und beschimpfte vorm Landtag in Magdeburg per Lautsprecher den Innenminister.

Vielleicht haben solche Angriffe aber auch einen positiven Effekt. Sie könnten Politiker auf die Permanenz einer Gefahr aufmerksam machen, die sich nicht durch Empörungsrituale und anfallartiges Demokratiemarketing eindämmen lässt. Die Rechten nutzen nämlich systematisch all die Lücken, die sich durch Haushaltskürzungen auftun. Trotzdem hat Sachsen-Anhalt die Zuschüsse für freiwillige Jugendarbeit in den letzten sieben Jahren von 3 Millionen auf 500000 Euro gekürzt. Das Landesprogramm gegen Rechts ist mit 100000 Euro so jämmerlich ausgestattet, dass es gerade für drei Sozialarbeiterstellen reichen würde. Und nun hat der Bund auch noch die Förderung lokaler Toleranzinitiativen erschwert. Sie selbst können keine Gelder für den »Kulturkampf« mehr beantragen, das dürfen ab sofort nur Kommunen. Was in der Praxis bedeutet: Die Bürgermeister entscheiden, ob sie das rechte Problem deckeln oder sich unbequeme Sozialarbeiter ins Haus holen. Damit hat man den Bock zum Gärtner gemacht. Und die Jungen Nationaldemokraten lachen sich ins Fäustchen.

Erscheinungsdatum 21.06.2007

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