Vom 14. bis 19. Juni 2022 findet in Berlin und Potsdam das Jüdische Filmfestival Berlin | Brandenburg (JFBB) statt. Unter dem Motto „Jewcy Movies” präsentiert das Festival in diesem Jahr 43 Filme und zwei Serien. Im Gespräch mit Belltower.News stellt Lea Wohl von Haselberg (Mitglied des Programmkollektivs des Festivals) das größte jüdische Filmfestival Deutschlands vor, spricht über das Potenzial des Filmfestivals im Kampf gegen Antisemitismus und die Rolle audiovisueller Medien in der Erinnerungskultur um jüdische Themen. Ein Interview.
Belltower.News: Was ist das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg?
Lea Wohl von Haselberg: Das JFBB ist ein oder das Jüdische Filmfestival Deutschlands. Es findet dieses Jahr zum 28. Mal statt. Gegründet und etabliert wurde es von Nicola Galliner, die das Festival zu dem gemacht hat, was es ist. Seit letztem Jahr gibt es ein neues Team, dass das JFBB verantwortet: Einerseits das Team des Filmfestivals Cottbus, andererseits ein fünfköpfiges Programmkollektiv, das unter der Leitung von Bernd Buder, dem Programmdirektor, das Festivalprogramm kuratiert.
Darüber hinaus hoffe ich, dass es ein Begegnungs- und Diskursraum ist, in dem Filme gesehen, gelacht und geweint, diskutiert und gern auch gestritten wird. Ich hoffe und das beinhaltet eine gewisse Gleichzeitigkeit, dass das JFBB auf dem Weg ist, ein Festival zu werden, von dem die Potsdamer:innen und Berliner:innen sagen: „Das ist unser Festival“ und auch ein jüdischer Raum, der für Jüdinnen und Juden in Brandenburg ebenso ein Bezugspunkt ist, wie für jüdische Filmschaffende, die wissen, das ist auch mein Ort.
Welcher Aufgabe hat sich das Festival gewidmet beziehungsweise welches Ziel verfolgt das JFBB?
Vielleicht spreche ich hier davon, was ich in dem Festival sehe und mir für die Zukunft wünsche – denn kollektive Arbeit bedeutet ja auch, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Ideen zusammenarbeiten und wir dieser Bandbreite und Unterschieden auch Raum lassen. Das Festival soll gute Filme zeigen und ein Publikum einladen sich ‚jüdische‘ Filme anzuschauen, damit soll es einen Diskursraum öffnen, sich mit jüdischer Erfahrung, Geschichte und Gegenwart auseinanderzusetzen – was auch immer das im Einzelnen heißt und heißen kann. Die Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit, die dabei sichtbar wird, kann Stereotypen und auch Ressentiments entgegenwirken. Doch ich möchte das Festival nicht in einem solchen Ziel verschreiben. Wir zeigen gute Filme mit jüdischen Bezügen, versuchen ein Publikum zu begeistern und mit Filmschaffenden ins Gespräch zu bringen. Außerdem können Filmschaffende bei uns nicht nur mit dem Publikum in Kontakt treten, sondern sich auch mit anderen Filmschaffenden vernetzen. Dass wir dabei gesellschaftliche vorhandene Bilder des Jüdischen mit ihren mitunter problematischen Verengungen kennen und diese nicht bedienen, sondern ihnen widersprechen, ist selbstverständlich – doch es ist nicht Sinn und Zweck des Festivals, das erstmal von Liebe zum Kino und zum Film getragen wird.
Sie sind eine von fünf Personen im Programmkollektiv des JFBB und bestimmen daher mit, welche Filme im Programm gezeigt werden. Welche Kriterien sind für eine Aufnahme in das Festivalprogramm entscheidend?
Ein hartes Kriterium ist, dass wir nur aktuelle Filme zeigen, die in diesem und dem Vorjahr entstanden sind – abgesehen von unseren Retrospektiven und dem Umstand, dass man in Zeiten der Pandemie auch nicht ganz so streng sein kann mit der Aktualität. Außerdem zeigen wir Filme, die jüdische Erfahrung berühren. Darüber kann man schon ziemlich lange diskutieren und das ist gut so. Wir diskutieren mitunter im Programmkollektiv; gut, wenn das Publikum das auch tut. Denn wir machen zwar ein Programm und wählen dafür Filme aus, fragen aber auch mit jeder Festivalausgabe neu, was das eigentlich sein kann jüdischer Film. So wie sich jüdische Erfahrung verändert, so wie sich die Fragen und Perspektiven der Gegenwart ändern, wandelt sich unser Gegenstand.
Doch idealerweise zeigen wir ungewöhnliche Themen und Geschichten, die von spannenden Filmschaffenden aus aller Welt aufregend und neu filmisch umgesetzt sind und dabei jüdische Erfahrung berühren.
Seit 2020 leiten Sie die Nachwuchsforschungsgruppe „Was ist jüdischer Film?“. Was macht jüdischen Film aus?
Über die Filmschaffenden können wir keine Definition begründen, denn Film ist ein kollektives Produkt, an dem viele Menschen beteiligt sind und nicht nur ein Einzelner. Also lässt sich jüdischer Film nur über die Sujets greifen, doch auch hier würden wohl die meisten zustimmen, dass antisemitische Filme wie JUD Süß sich nicht ohne Reibung in die gleiche Box packen lassen wie Dokumentarfilme jüdischer Autor-Regisseur:innen, die sich essayistisch mit ihren Familiengeschichten und Erinnerung befassen.
Für meine Forschung gibt es hier zwei Auswege. Den einen wählen wir in der Nachwuchsgruppe „Jüdischer Film“: Hier fragen wir nicht, was jüdischer Film tatsächlich ist, sondern woher eigentlich die Idee kommt, was als jüdischer Film gezeigt und diskutiert wurde und in welchen Räumen. Der andere ist ein begrifflicher: ‚Jüdischer Film‘ klingt nach einem Filmkorpus, also nach einem Gegenstand, den wir definieren und von anderen klar abgrenzen können, was wir aber nicht problemlos können.
Ich spreche stattdessen in wissenschaftlichen Zusammenhängen von jüdischer Filmgeschichte. Dieser Begriff beschreibt keinen Gegenstand, sondern ein Forschungsfeld, in dem sich Filmgeschichte und jüdische Geschichte berühren. Und hier wird auch deutlich, warum jüdische Filmschaffende darin einen Platz haben, ohne dass insinuiert wird, sie hätten alle ‚jüdische Filme‘ gemacht und eine essentialisierende Zuschreibung vorgenommen wird: Filmgeschichte umfasst nämlich nicht nur den filmischen Text, sondern auch seine Produktion und Rezeption. In den Produktionszusammenhängen kann es durchaus eine Rolle spielen, ob Filmschaffende jüdisch sind oder nicht, auch wenn das in ihren Filmen keine übergeordnete Rolle spielt. Und wenn wir zum Beispiel JUD Süß zurückkommen: Eine brutale antisemitische Zuschreibung von außen, aber sehr relevant für viele Jüdinnen und Juden, die von den Ausschreitungen betroffen waren, die mit diesem Film lanciert wurden – also aus meiner Sicht ein Teil einer jüdischen Filmgeschichte.
Welche Rolle und welches Potenzial hat das JFBB im Kampf gegen Antisemitismus?
Wir können jüdisches Leben in seiner Vielfalt, seinen Unterschieden und Widersprüchen zeigen, wir können einen Gesprächsraum eröffnen und durch Begegnung Stereotypen entgegentreten. Im Kampf gegen Antisemitismus kann das meines Erachtens aber immer nur ein Baustein sein. Denn darüber hinaus muss über Antisemitismus gesprochen werden, seine Argumentationsstrukturen, über die Angebote, die er macht und die Funktion, die er für die Gesellschaft macht. Da sehe ich nicht unsere Aufgabe. Und ich sehe auch das Risiko, dass ‚jüdischen‘ Institutionen diese Aufgabe zugeschoben wird: Ich möchte weder das JFBB darüber rechtfertigen müssen, dass wir etwas gegen Antisemitismus tun, noch jüdische Gegenwart noch fester in diese ohnehin schon vorhandene Verbindung hineinzwingen. Insofern heißt es hier für uns, wie auch an anderen Stellen, nach einer guten Balance zu suchen.
Welche Rolle spielen audiovisuelle Medien in der Erinnerungskultur um jüdische Themen in deutschen Diskursen?
Erinnert wird, was medial zirkuliert. Das ist schon fast eine Binsenweisheit. Natürlich funktioniert Erinnerung auch audiovisuell. Das ist auch gar nicht neu: Die Shoah wurde schon ganz früh filmisch dokumentiert, dabei ging es um Beweise für Prozesse gegen Nazitäter:innen, darum Zeugnis abzulegen und natürlich künstlerische Bearbeitungsformen zu finden, die auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung stärken konnten. In Deutschland sind jüdische Themen deswegen besonders stark medial vermittelt, weil die jüdische Minderheit so klein ist – auch wenn sie seit den 1990er Jahren ja deutlich gewachsen ist. Es bleibt: Die Wahrscheinlichkeit im Fernsehprogramm jüdischen Figuren zu begegnen, ist größer als auf der Straße lebenden Jüdinnen und Juden zu begegnen. Gleichzeitig: die Welt begegnet uns zunehmend medial vermittelt, aber es gilt, die Darstellungen zu reflektieren und mediale Kommunikationsprozesse kritisch zu begleiten. Das können wir mit dem Programm des JFBB tun und wir können Filme zeigen, die hier neue Wegen erproben und andere Geschichten erzählen und damit Erinnerungskultur herausfordern.
Kulturboykotte machen einen Hauptanteil der BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen)-Kampagnen aus: Ist BDS für das JFBB selbst von Bedeutung? Wenn ja, wie wirken sich entsprechende Störungsversuche auf das Festival aus und wie wird damit umgegangen?
Wir haben bis jetzt Glück gehabt und sind davon nicht getroffen worden, gleichwohl wir natürlich die polarisierten Auseinandersetzungen verfolgen. Wir haben gleichzeitig ein Interesse an einer echten Auseinandersetzung mit Antisemitismus, den wir von keinem whataboutism wegwischen lassen, wir sehen es aber auch als unsere Aufgabe Gesprächsräume offenzuhalten: Das kann Kultur nicht nur im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt, sondern auch anderen Konflikten.
Welche Filme oder andere Programmpunkte wollen Sie den Besucher:innen des JFBB in diesem Jahr besonders empfehlen?
Das ganze Programm ist schön geworden, aber ich möchte zwei persönliche Highlights herausgreifen: Die Hommage für Jeanine Meerapfel zeigt sieben ihrer Filme, die allesamt politisch sehr aktuell sind: Gerade „Im Land meiner Eltern” und „Die Kümmeltürkin geht”, die ein Westberlin, der 1980er Jahre mit seinem ganzen gesellschaftlichen Rassismus zeigen, sind leider immer noch relevant. Wir zeigen sie zusammen mit aktuellen Filmen im Doublefeature: „Am Rande der Städte” und „Displaced”. Damit bringen wir nicht nur Filme, sondern auch Filmemacherinnen ins Gespräch. Außerdem zeigen wir „Broken Barriers, einen Stummfilm von 1919 in einer neurestaurierten digitalen Fassung mit Livevertonung von Daniel Kahn und das Openair im Kutschstallhof in Potsdam. Wenn das Wetter mitspielt, wird das toll.