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Johanngeorgenstadt Auseinandersetzung anregen, wo der NSU groß geworden ist

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In Johangeorgenstadt wuchsen Teile der NSU-Mörder*innen auf, Unterstützer*innen leben hier bis heute - 200 Demonstrant*innen geben keine Ruhe, fordern Aufklärung. (Quelle: T. Mönch)

Das Städtchen Johanngeorgenstadt liegt tief im Erzgebirge an der tschechischen Grenze. Lange war der Bergbau prägend, heute denken die meisten bei Johanngeorgenstadt an Schwibbögen und Weihnachtspyramiden. Doch die Stadt spielt auch eine wichtige Rolle im NSU-Komplex. Dass dieser Punkt unter den Teppich gekehrt werden soll, wollten am Samstag, den 04.11.2023, knapp 200 Antifaschist*innen verhindern. Sie haben mit einer Demonstration auf die Verstrickungen und die verweigerte Aufklärung hingewiesen. Bei eisigen Temperaturen versammeln sich Demonstrierende aus ganz Sachsen auf dem Platz des Bergmanns, um anlässlich des 12. Jahrestages der Selbstenttarnung des NSU durch Johanngeorgenstadt zu ziehen.

Die beispiellose Mordserie des NSU

Am 04. November 2011 wurden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Banküberfall in Eisenach von der Polizei in ihrem Wohnmobil gestellt, woraufhin sie den Wohnwagen in Brand steckten und sich beide das Leben nahmen. Wenige Stunden später explodierte die Wohnung des untergetauchten Trios in Zwickau, nachdem sie von Beate Zschäpe angezündet worden war. Es war das Ende der rechtsterroristischen Mordserie, bei der Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter getötet wurden.

200 Demonstrierende liefen durch Johanngeorgenstadt und forderten Aufklärung über die Unterstützerstrukturen des NSU.

Gedenken? Wollen hier nur die Demonstrierenden

Während sich die antifaschistische Demonstration versammelt, zeigt sich rund um den Platz, was an diesem Tag die Demonstrierenden begleiten wird: Zahlreiche Kleingruppen von Anwohnenden, Schaulustigen und Neonazis sind auf der Straße. Einige haben sich Campingstühle mitgebracht, andere trinken Bier.

In einem ersten Redebeitrag erklärt ein Antifaschist, warum man sich dazu entschieden habe, genau hier in Johanngeorgenstadt zu demonstrieren. „Neben dem größten Schwibbogen der Welt und einer schönen Pyramide befindet sich hier auch die Heimat einiger Unterstützer des NSU.“ Die Stadt sei bereits seit den 1990er Jahren ein Hotspot für neonazistische Gewalt gewesen. Immer mit dabei: Die Zwillingsbrüder Maik und André Eminger, die in Johanngeorgenstadt aufgewachsen sind und hier politisch sozialisiert wurden.

NSU und Johanngeorgenstadt

Im NSU-Prozess war André Eminger als Unterstützer des Kerntrios unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord angeklagt. Er hatte Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt unter anderem 2006 geholfen, nicht aufzufliegen. Zudem mietete er Wohnmobile, die von Böhnhardt und Mundlos bei zwei Raubüberfällen und einem Anschlag genutzt wurden. Im Prozess wurde er lediglich wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 2,5 Jahren verurteilt.

Matthias Dienelt und Mandy Struck mussten für ihre Unterstützung des NSU hingegen nie vor Gericht. Das Ermittlungsverfahren gegen beide wurde 2022 eingestellt. Mandy Struck, ebenfalls in Johanngeorgenstadt aufgewachsen, hatte Beate Zschäpe ihre Identität geliehen und bei der Vermittlung der ersten Wohnung in Chemnitz geholfen. Dienelt mietete die beiden Wohnungen in Zwickau für die Terrorist*innen an. Gegenüber zwei MDR-Journalisten, angesprochen auf die ermordeten Menschen, sagte Dienelt: „Das ist mir egal.“ Er lebt bis heute in Johanngeorgenstadt.

Die Stadtgesellschaft scheint nur mit der Demo ein Problem zu haben

Ein Umstand, der von den Antifaschist*innen immer wieder betont wird. Es könne nicht sein, dass UnterstützerInnen des NSU völlig unbehelligt in Johanngeorgenstadt leben könnten, kritisieren die Demonstrierenden die Stadtgesellschaft. Doch diese scheint sich weniger an den Verbindungen in den NSU-Komplex zu stören als an dem antifaschistischen Protest. Immer wieder wird die Demonstration von Rechten und Neonazis bepöbelt. Mehrfach kommt es zu Angriffsversuchen auf den Protestzug, die die Polizei mit Pfefferspray und Schlagstock abwehrt.

Einmal Pfeffer und Begleitung für den Störer der Demonstration.

Auf der Zwischenkundgebung hält die Initiative NSU-Watch einen Redebeitrag und fordert: „Lasst euch von offenen Fragen und fehlender Aufklärung nicht ohnmächtig machen! Hört den Betroffenen zu! Nehmt Rassismus und Antisemitismus ernst! Beendet die Straf- und Konsequenzlosigkeit für Nazis!“ Währenddessen explodiert in direkter Nähe der Demonstration ein lauter Feuerwerkskörper. Er steht symbolisch für die Reaktion von Johanngeorgenstadt auf die, die auch 12 Jahre nach der Selbstenttarnung nicht ohne eine lückenlose Aufklärung zufriedengeben. Denn leider stören sich nicht nur die betrunkenen Rechten auf der Straße am NSU-Gedenken. Auch die Lokalpolitik schweigt lieber zu diesem Teil der Stadtgeschichte.

Vermummte versuchen immer wieder die Demonstration in Johanngeorgenstadt anzugreifen.

So wurde das Zeigen der Ausstellung des Projektes „Offener Prozess“ vom Gemeinderat zurückgewiesen. „Man will sich nicht mit den Verstrickungen nicht auseinandersetzen“, schilderte die Landtagsabgeordnete Jule Nagel in ihrem Redebeitrag. Der „Offene Prozess“ setzt sich seit Jahren für die Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Sachsen ein. Einer Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex in Johanngeorgenstadt steht offensichtlich noch viel im Weg. Der Wunsch eines Redners, „dass Johanngeorgenstadt vor allem für seinen Schwibbogen bekannt ist und nicht für rechte Umtriebe“, ist nur möglich, wenn die Auseinandersetzung endlich beginnt.

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