Das alte, mehrstöckige Haus im Nordosten Baden-Württembergs hat sich zu einem beliebten Neonazi-Treffpunkt in der Region entwickelt. Es trägt den Namen „Jugendheim Hohenlohe“ und wurde vor 50 Jahren vom „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V.“ gegründet – ein Teil des bundesweiten Ludendorff-Netzwerkes.
So veranstaltete die NPD-Jugend „Junge Nationalisten“ (JN) vom 28. bis 30. August 2020 dort einen „Gemeinschaftstag Süd“. „WIR Heilbronn“ um den rechtsextremen Steuerberater Michael Dangel war vom 8. bis 10. Oktober 2021 beim „Thing der Titanen“ zu Gast. Und die „Identitäre Bewegung Schwaben“ traf sich vom 9./10. April 2022 im Haus für ein „Aktivistenwochenende“. Die Teilnehmer*innen reisten bundesweit, teilweise aus Frankreich und der Schweiz an. Alleine 2022 fand ein Dutzend rechtsextremer Treffen im „Jugendheim Hohenlohe“ statt. Das jüngste Treffen liegt nur wenige Wochen zurück: Vom 14. bis 16. Oktober 2022 nutzten die JN die Räume wieder, um weiteren „Gemeinschaftstag Süd“ durchzuführen.
1972 gründete der „Bund für Gotterkenntnis“ das „Jugendheim Hohenlohe“ im baden-württembergischen Kirchberg/Jagst-Herboldshausen. Das Ludendorff-Netzwerk, zu dem er gehört, besteht aus Vereinen, Immobilien, Unternehmen und Publikationen und verehrt Mathilde Ludendorff (1877-1966). Die Frau war eine zentrale Akteurin der völkischen Bewegung im 20. Jahrhundert. In den 1920er-Jahren erfand sie die „Deutsche Gotterkenntnis“, eine antisemitische und rassistische Lehre. Der „Bund für Gotterkenntnis“ ist nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine „von Antisemitismus und Rassismus geprägte[n] rechtsextremistische[n] Organisation“. Das schrieb der Inlandsgeheimdienst in einem „Lagebild Antisemitismus 2020/21“. Allerdings findet der „Bund für Gotterkenntnis“ und sein „Jugendheim Hohenlohe“ im aktuellen Jahresbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg keinerlei Erwähnung.
Dabei ist das Haus Dreh- und Angelpunkt der extremen Rechten in der Region. Der „Bund für Gotterkenntnis“ führt eine Reihe eigener Veranstaltungen im „Jugendheim Hohenlohe“ durch. So fand am 25./26. Juni 2022 eine „Sommersonnwendfeier“ statt. Vom 30. September bis 2. Oktober 2022 gab es eine „Herbstkulturtagung“ in der Immobilie. Im Falle der beiden Veranstaltungen stammten die meisten angereisten Autos aus Süddeutschland. Neben Veranstaltungen des Ludendorff-Netzwerks finden auch eine Reihe „fremder“ Veranstaltungen statt – wie von der JN.
Nach 2020 nutzten die JN die Immobilie wieder, um einen „Gemeinschaftstag Süd“ durchzuführen. Im Oktober 2022 reisten die Teilnehmer und wenigen Teilnehmerinnen bundesweit zur Veranstaltung an. So trugen Autos, die am „Jugendheim Hohenlohe“ parkten, Kennzeichen aus aller Ecken der Bundesrepublik: Von Niedersachsen im Westen über Sachsen im Osten bis hin zu Mecklenburg-Vorpommern im Norden.
Unter den Teilnehmer*innen war der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Weigler aus Braunschweig (Niedersachsen). Weigler trug ein Shirt seiner Organisation. Das weiße Shirt zeigte das JN-Logo, zwei gekreuzte Äxte und die beiden Schriftzüge „Heimat verbindet“ und „Wanderjugend“. Die meisten Autos trugen Kennzeichen aus dem Süden, aus Baden-Württemberg. Oder genauer: aus Hohenlohe.
Ein Teilnehmer war Dennis H. aus Mulfingen (Hohenlohekreis). H., der bereits mehrfach in Kirchberg/Jagst-Herboldshausen gesichtet wurde, ist offenbar ein lokaler Verbindungsmann zwischen dem „Bund für Gotterkenntnis“ und der Neonazi-Szene. Er ist Sänger der rechtsextremen Black-Metal-Band „Eishammer“ und war Teil der Neonazi-Kameradschaft „Junge Revolution“ (auch: „Nord Württemberg Sturm“). Vor dem Hintergrund strafrechtlicher Ermittlungen gab die Kameradschaft im Sommer 2021 ihre Auflösung bekannt.
Ein weiterer Teilnehmer war Janne K. aus Künzelsau (Hohenlohekreis/Baden-Württemberg). Er ist der Schlagzeuger von „Eishammer“ und war ebenso Teil von „Junge Revolution“. Am 13. Februar 2022 besuchten Dennis H. und Janne K. eine rechtsextreme Demonstration in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Gemeinsam mit weiteren Neonazis aus dem Nordosten Baden-Württembergs waren sie in die Durchführung der Veranstaltung eingebunden. An der Demonstration, die anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens 1945 stattfand, nahmen rund 800 Neonazis teil. Seit Jahren instrumentalisiert die Neonazi-Szene die Bombardierung der Stadt, um einen deutschen Opfermythos zu pflegen.
Am 23. Oktober 2022, erst eine Woche nach der Veranstaltung im „Jugendheim Hohenlohe“, machten die JN in den sozialen Netzwerken das Treffen publik. Wo das Treffen stattgefunden hat, verrieten die Neonazis nicht. Sie veröffentlichten zwei Fotos: Das eine Foto zeigt den JN-Bundesvorsitzenden Sebastian Weigler mit Brille und weißem Hemd. Er hält einen JN-Wimpel in den Händen. Das andere Foto zeigt die Teilnehmer und einzelnen Teilnehmerinnen mit Fackeln in einem Halbkreis. Die Männer tragen weiße Hemden und schwarze Hosen, die Frauen tragen rote Röcke. In der Mitte stehen vier Männer mit einer JN-Fahne.
Die JN titelten den Beitrag „Stützpunktgründung Baden-Württemberg“ und schrieben: „Mit Freude können wir berichten, dass die politische Jugendarbeit im Süd-Westen nun wieder einen organisierten Ansprechpartner im Kampf um Volk und Vaterland hat.“ Offenbar versuchen die JN mit einigen Vollmitgliedern aus dem Nordosten Baden-Württembergs, die brachliegenden Strukturen der NPD-Jugendorganisation im Bundesland zu reaktivieren und neu zu strukturieren. Schließlich hatten die JN Heilbronn-Hohenlohe ihre Aktivitäten vor ein paar Jahren eingestellt.
Einen Tag später, am 24. Oktober 2022, veröffentlichten die JN einen Bericht und einige Fotos zur Veranstaltung im „Jugendheim Hohenlohe“ (siehe Abbildung 2). Die Veröffentlichungen geben Einblicke in das Programm des „Gemeinschaftstag Süd“. Der Samstag, 15. Oktober 2022, begann mit Frühsport. Im Fokus des Tages standen ideologische Schulungen. Es wurden Vorträge zur Bedeutung und Pflege vom Brauchtum sowie zur Funktion und Rolle von Musik gehalten. Gemeinsames Musizieren und Zimmermannsklatschen knüpften an die Vortragsthemen an. Am Samstagnachmittag besichtigten die Neonazis ein Schloss in der Region. Es heißt im Bericht: „Nach dem Mittagessen und einer kleinen Pause haben wir an einer Führung durch ein über 500 Jahre altes Schloss teilgenommen, in welchem uns der geschichtliche Hintergrund erklärt und gezeigt wurde. Anschließend haben wir die Grundmauern der alten Wasserburg besichtigt.“
Die Neonazis haben, wie bereits im Hohenloher Tagblatt berichtet, das Alte Schloss in Gaildorf besucht. Gaildorf ist rund 35 Kilometer vom „Jugendheim Hohenlohe“ in Kirchberg/Jagst-Herboldshausen entfernt. Eine Person beobachtete die Ankunft der rund 30-köpfigen Besuchergruppe und dachte sofort: „Achje, die sehen aber deutsch aus …“. Mit Blick auf das äußere Erscheinungsbild ordnete sie die Gruppe ohne Zweifel der Neonazi-Szene zu.
Nach der Schlossführung folgte, wie die JN im Bericht schrieben, die „Feierstunde“, der „Höhepunkt eines jeden Gemeinschaftstages“. Am Samstagabend wurden die Anwärter*innen, die eine halbjährige Probezeit überstanden hatten, vereidigt. Sie wurden JN-Vollmitglieder. Weiter heißt es: „Im Kreis schworen sie den Eid auf Deutschland, auf die Bewegung und dass sie niemals ihre Kameraden verraten werden!“ In der extremen Rechten wird unter „Deutschland“ das Deutsche Reich und unter der „Bewegung“ die nationalsozialistische Bewegung verstanden. Zwar klammerten die JN die Gründung des „Stützpunkt Baden-Württemberg“ im Bericht zum „Gemeinschaftstag Süd“ aus. Allerdings ist anzunehmen, dass das Gründungsritual im Rahmen der abendlichen „Feierstunde“ zelebriert wurde. Aufnahme- und Gründungsritual wurden verknüpft.
Nachdem die JN schon im Jahr 2020 ihren ersten „Gemeinschaftstag Süd“ im „Jugendheim Hohenlohe“ durchgeführt hatten, veröffentlichte der „Bund für Gotterkenntnis“ eine Stellungnahme. Der rechtsextreme Verein schrieb, man habe das „Jugendheim Hohenlohe“ bloß an „junge Nationale“ vermietet – „deren einziges Verbrechen ganz offensichtlich ihre politische Anschauung ist“. Die Tatsache, dass die JN eine militante und NS-verherrlichende Organisation ist, verschwieg der „Bund für Gotterkenntnis“. In Anbetracht der zahlreichen Veranstaltungen, die Neonazis und Völkische seitdem im „Jugendheim Hohenlohe“ durchführten, dürfte sich an der Haltung bis heute nichts geändert haben. Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis das nächste Neonazi-Treffen im Haus stattfindet.