K-Pop-Fans sind international vor allem für eines bekannt: Ihre Leidenschaft. Die treuesten Anhänger*innen von Popgruppen vom südlichen Ende der koreanischen Halbinsel nennen sich sogar stolz „Stans“ – eine Mischung aus Stalker und Fan, die sich auch auf den gleichnamigen Eminem-Song über einen obsessiven Fan bezieht. Was allerdings als kulturindustrielles Produkt des koreanischen Binnenmarkts anfing, ist schon längst zum globalen Phänomen geworden: K-Pop boomt weltweit – und nun politisiert sich die Szene.
Im Visier der K-Pop-Fans aktuell: rechte Hetze und rassistische Polizeigewalt. Und ihre Aktionen tragen schon Früchte. Denn die Digital Natives der Szene bringen viel Online-Knowhow und Kampagnenerfahrung mit. Sie sind algorithmus-affin und hashtag-versiert – Kompetenzen, die sie jahrelang bei den Online-Abstimmungen für K-Pop-Musikpreise perfektionieren konnten. Auch die Klickzahlen für die neusten Musikvideos ihrer Lieblingsbands treiben sie innerhalb kürzester Zeit gekonnt in Millionenhöhen. Dabei haben sie gelernt, Spamfilter und Schutzmechanismen gegen DDOS-Angriffe zu umgehen. Nun wenden sie diese Fähigkeiten aktivistisch an.
So konnten K-Pop-Fanarmeen bereits zahlreiche rechtspopulistische Hashtags auf Twitter, Instagram und Co. von #BlueLivesMatter und #MAGA (Make America Great Again) bis #ExposeAntifa teilweise kapern, indem sie diese mit Fancams – so heißen szeneintern kurze Fanvideos von Live-Auftritten ihrer Idole – sowie K-Pop-Memes überfluten. Das Ergebnis: Rechtsalternative Inhalte gehen unter.
Im Fall der verschwörungsideologischen Bewegung QAnon hatte die Aktion bizarre, wenn nicht komplett unerwartet absurde Konsequenzen. Nachdem die Hashtags #QAnon und #WWG1WGA (Where we go one, we go all) von K-Poplern gespammt wurden, weil die Verschwörungsbewegung zuvor Desinformation über „Black Lives Matter“-Proteste verbreitete, reagierte QAnon-Anhänger*innen mit wirren antisemitischen Erklärungen dafür: Hinter den Fanarmeen von „tanzenden Asiaten“ stecke eine von George Soros finanzierte Antifa.
Auch die Polizei im texanischen Dallas bekam die aktivistischen K-Pop-Fans zu spüren: Im Zuge der „Black Lives Matter“-Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt in den USA lancierte die örtliche Polizei die „iWatch Dallas“-App, mit der Bürger*innen Videos von mutmaßlichen Straftaten und verdächtigen Personen während der Proteste hochladen konnten – eine digitale Denunzierungsplattform, die die K-Pop-Armeen mit tausenden Fancams angriff. So wurde die App schnell unbrauchbar und kurze Zeit später wegen „technischen Schwierigkeiten“ deaktiviert.
Im Bundesstaat Washington appellierte auch die Polizei von Kirkland an die Öffentlichkeit, „wichtige Information“ über die Proteste und Demonstrant*innen mit dem Hashtag #CalmInKirkland (Ruhig in Kirkland) weiterzugeben. Der Hashtag wurde mit mehr als 2000 Kommentaren überschwemmt, überwiegend nur Fancams und K-Pop-Memes. So positionierten sich große Teile der K-Pop-Szene eindeutig auf der Seite der „Black Lives Matter“-Bewegung im Netz.
Doch ihr digitaler Aktivismus hat auch analoge Folgen: Mit über einer Million Ticket-Anfragen wollte Brad Parscale, Vorsitzende von Donald Trumps Kampagne zur Wiederwahl, vor einer Wahlveranstaltung in Tulsa, Oklahoma im Juni prahlen. Die Nachfrage war so groß, dass seine Kampagne zusätzliche Plätze draußen vor dem BOK Center, das immerhin 19.000 Sitzplätze hat, aufbaute. Am Ende war die Besucherzahl ernüchternd: Lediglich 6.200 Trump-Unterstützer*innen kamen. Der Außenbereich musste vorzeitig abgebaut werden und Bilder von leeren Reihen im Stadion gingen um die Welt. Ein peinlicher Moment für den bekanntlich dünnhäutigen Präsidenten. Was war passiert?
Auf Twitter hatten K-Pop-Fanprofile dazu aufgerufen, sich für kostenlose Tickets zu Trumps Wahlveranstaltung massenhaft anzumelden. Auf der Plattform TikTok verbreitete sich der Aufruf mit millionenfach geklickten Videos wie ein virtuelles Lauffeuer. Viele Nutzer*innen tauschten sich aus, wie man neue gültige Telefonnummern mit Google Voice und anderen Anbietern registrieren kann, um sich für Tickets erfolgreich und unauffällig zu registrieren. Viele Benutzer*innen löschten ihre Videos innerhalb 48 Stunden, um so die Spuren von ihrem Plan zu vernichten – und die Trump-Kampagne darüber im Dunkeln zu lassen. Trumps Kampagne will die Niederlage nicht eingestehen, sondern macht die Medien und die Corona-Pandemie für die wenigen Teilnehmer*innen verantwortlich.
Der Plan war aber auch effektiv aus einem anderen Grund: Kostenlose Wahlveranstaltungen sind ein guter Anlass, Daten über Wähler*innen zu sammeln. Nach jeder Kundgebung hat die Trump-Kampagne einen neuen lokalen Datensatz. Theoretisch. Doch die Datensätze von der Tulsa-Veranstaltung sind so gut wie unbrauchbar, weil die Kampagne kaum noch zwischen richtigen und falschen Angaben unterscheiden kann. Gezielte Kampagnen kosten zudem viel Geld. Das lohnt sich, wenn die Datensätze richtig sind. Der Skandal um das umstrittene Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica ist weiterhin nicht vollständig aufgeklärt, hat aber einen Eindruck hinterlassen.
Viele der netzaktivistischen Taktiken aus der K-Pop-Szene erinnern stark an Anonymous. Tatsächlich beeinflussen aktuell beide Bewegungen sich gegenseitig: So twitterte das etablierte Anonymous-Profil @YourAnonCentral seine Unterstützung für die Aktion gegen #QAnon. Ein anderes Profil – @YourAnonNews – zählte innerhalb kürzester Zeit mehr als 3,5 Millionen neue Follower, was auf einen aktiven Einfluss der K-Pop-Szene hindeutet.
Gleichzeitig kommt diese neue Welle politischen Aktivismus zu einem besonders günstigen Zeitpunkt für eine konkurrenzstarke und viel kritisierte Branche, die immer wieder für tragische Schlagzeilen gesorgt hat. Zwei beliebte Sängerinnen – Sulli und Goo Hara – nahmen sich letztes Jahr innerhalb zwei Monaten das Leben – die neusten Opfer in einer deprimierend langen Reihe von Stars in Südkorea, die Selbstmord begangen haben. Beide waren Ziel von misogynen Troll-Angriffen im Internet.
Kann eine Politisierung den Ruf der K-Pop-Branche retten? Die international erfolgreiche Boyband BTS sorgte im Juni für internationale mediale Aufmerksamkeit, als sie eine Million Dollar an „Black Lives Matter“ spendete. Daraufhin spendeten ihre Fans – die sogenannte BTS Army – eine weitere Million Dollar an die Bewegung. Das mag zwar ein kalkulierter PR-Move sein, hilft aber enorm und setzt ein wichtiges Zeichen in der Kulturbranche. Und für ein auf der ästhetisch-musikalischen Ebene alles andere als politische Genre ist diese Mobilisierung gegen Rassismus und rechte Hetze nicht selbstverständlich, dennoch aber begrüßenswert.
Mehr noch: Die Zivilgesellschaft kann von den K-Pop-Fanarmeen in Sachen Online-Aktivismus lernen. Denn ihre Strategien sind durchaus erfolgreich gegen rechte Hetze, Verschwörungsideologien und virtuelle polizeiliche Repression. Ganz zu schweigen von ihrer beeindruckenden Leidenschaft.