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Kai Wegner und Berlin Bürgermeister für alle?

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Kai Wegner (CDU), Bundestagsabgeordneter, steht auf der Bühne beim Parteitag des Berliner CDU-Landesverbands im Estrel Hotel.
Who's the guy? Kai Wegner wird bald Berlins Bürgermeister und sollte das Gemeinschaftsgefühl beherzigen, dass die CDU hier selbst fordert. (Quelle: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen)

Kai Wegner ist der neue designierte Bürgermeister von Berlin. Zu diesem Erfolg hat es der 50-Jährige nicht durch eine charismatische Persönlichkeit geschafft, sondern durch pragmatische Parteiarbeit. Er ist bereits seit 1989 in der CDU politisch aktiv, arbeitete bisher aber eher, ohne das Licht der Öffentlichkeit zu suchen oder auf sich zu ziehen. Ein Taktiker also, und so ist offenkundig auch seine aktuelle Social Media-Arbeit zu verstehen:

Jetzt, wo der CDU-Politiker sich anschickt, Bürgermeister der deutschen Vielfaltsmetropole Berlin zu werden, will er offenbar für alle da sein: Wir sehen auf Facebook, Twitter oder Instagram ein „Eid Mubarak“ an Muslim*innen zum Zuckerfest, „Frohe Ostern“ an Christ*innen und „Chag Pesach Sameach“ an Jüdinnen*Juden von Wegner oder seinem Social-Media-Team. Das ist als ein positives Zeichen lesbar: Wer Bürgermeister aller Berliner*innen wird, hat sicher größere Chancen, es zu bleiben, wenn er vielen Gruppen in seiner Stadt zuhört, sie in Problemen und Herausforderungen ernst nimmt – und vor allem als ein Wir begreift. Denn bei nicht-rechten Berliner*innen hat Kai Wegner noch Vertrauen gutzumachen.

CDU seit Schülerzeiten

Der 50-Jährige ist gebürtiger Berliner, kommt aber aus Spandau, was in der klassischen Berliner Innenstadt-Schnauze „Spandau bei Berlin“ heißt und quasi die Verkörperung eines kleinbürgerlich-konservativ, sehr West-Berlinerischen Bezirks ist. Hier tritt Kai Wegner 1989 bereits mit 17 Jahren in die „Junge Union“ ein und übernimmt sogleich Verantwortung: Von 1990 bis 1992 ist der Landesvorsitzender der Schüler Union in Berlin, von 1994 bis 1997 Vorsitzender des „Junge Union“-Kreisverbandes Berlin-Spandau, danach ab 2000 bis 2003 Landesvorsitzender der JU Berlin.

In der „Leitkultur“-Debatte gegen eine „multikulturelle Gesellschaft“

Er meinte es schon mit Beginn seines Erwachsenenlebens gleich ernst mit der rechtskonservativen Politik. In der sogenannten „Leitkultur“-Debatte lehnt er eine multikulturelle Gesellschaft explizit ab (vgl. taz 2000): In einer Parteitagsrede forderte er im Jahr 2000, dass die Jungen „endlich ein gesundes Verhältnis zur Nation entwickeln“ müssten. „Wenn zu viel über die ‚12 Jahre‘ gelehrt werde, könne das auch Gegenreaktionen erzeugen“, paraphrasierte die taz damals Aussagen Wegners zur Andeutung eines Schlussstrich-Wunsches (vgl. taz 2000). Außerdem besucht er ebenfalls 2000 einen Auftritt von FPÖ-Rechtsaußen Jörg Haider in Berlin (vgl. FR, Twitter/Tagesspiegel).

Vom Abgeordneten zum Bürgermeister

Schon 1995 bis 1999 sitzt er in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Spandau, gehört von 1999 bis 2005 dem Abgeordnetenhaus von Berlin an. Dabei wird er stellvertretender Landesvorsitzender (2000 bis 2002), Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Spandau (ab 2005), Generalsekretär der CDU Berlin (2001 bis 2016), erneut stellvertretender Landesvorsitzender der Berliner CDU (ab Dezember 2017). Er ist zudem von 2005 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort ab 2009 für mehrere Jahre Vorsitzender der Landesgruppe Berlin in der CDU/CSU-Fraktion – auch das eher, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. 2019 wird er Landesvorsitzender der CDU Berlin. 2021 dann Bürgermeisterkandidat bei der Abgeordnetenhauswahl. Er bekommt 18 Prozent der Stimmen und wird Oppositionsführer gegen den rot-grün-roten Senat – und dann das Wahlchaos, die Neuwahl und der Gewinn von 28 Prozent für die CDU, in Wegners Außenbezirks-Milieus (vgl. auch ZEIT).

Wahlkampf mit rassistischen Ressentiments

In den Jahren 2021 bis 2023 überzeugte der rot-grün-roten Senat kaum. Dann kam die Silvesternacht 2023. Boulevardmedien und rechtsalternative Social Media-Kanäle zeichneten das Bild einer Krawallnacht – eine bereits in den Jahren zuvor erprobte Kampagne –, um damit rassistische Ressentiments zu bedienen.  Denn, so die rechtsalternative Erzählung, es seien junge Männer mit Migrationshintergrund gewesen, die in der Hauptstadt Krankenwagen und Feuerwehr angegriffen hätten, und damit bewiesen hätten, dass sie nicht integrierbar seien und keine demokratischen Werte verträten. Die vermeintlichen Belegbilder erwiesen sich nach Faktenchecks zwar schnell als falsch, waren an anderen Orte und zu anderen Zeiten aufgenommen (Hongkong!) (vgl. tagesschau).

Entsprechend konnte die Berliner Polizei nicht gerade viele Randalierer ausmachen – und die, die sie fand, waren größtenteils Berliner.  Doch die Berliner CDU mit Wegner als Fraktionsvorsitzenden trat, voll im Wahlkampf-Modus, schon eine Diskussion vom Zaun, in der sie die Herausgabe der Vornamen der Tatverdächtigen forderte.

Das greift zwei rechtspopulistische Narrative auf: Das Narrativ der „Passdeutschen“, dass also eine Unterscheidung zu machen sei, zwischen Menschen mit deutschem Pass und irgendwie – biologistischen – anders gearteten „Urdeutschen“. Außerdem wird die Erzählung bedient, die Polizei lüge über die Herkunft der Täter*innen, womöglich aus Gründen falsch verstandener oder von Rot-Grün-Rot auferlegter „Political Correctness“. Was davon im Laufe der polizeilichen Ermittlungen blieb? Vor allem der Rassismus dieses rhetorischen Moves, das Unterscheiden zwischen denen, die dazugehören sollen und „den anderen“ Berliner*innen – und inzwischen auch das Wissen, dass sich mit diesem Rassismus in den Berliner Außenbezirken Wahlen gewinnen lassen.

Kai Wegner selbst hat die Abfrage noch im März 2023 erneut verteidigt: „Nur wenn ich Probleme benenne, kann ich sie auch richtig lösen“, sagte er, „Wir haben ein Gewaltproblem in Berlin von rechts, von links, aber teilweise auch von Jugendlichen mit Migrationshintergrund.“ Aber um den gehe es ihm natürlich nicht, sondern darum, wie sich ein „Mehmet“ oder ein „Michael“ verhielten. Die Randalierer der Silvesternacht, so twitterte es die Polizei Berlin irgendwann, hießen, „Tim Oliver, Andre, Claus-Bernhard“. Immerhin meint Wegner noch: „Die AfD will spalten, ich will zusammenführen.“ (vgl. T-online). Das muss dann nur noch gelingen.

Wegner und die Causa Maaßen

Der Weg dahin kann Überzeugung sein – oder Taktik. Bereits 2021 warf sein Partei-Kollege Mario Czaja Kai Wegner einen „riskanten Rechtskurs“ vor, der ideologisch mehr in der Nähe des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zu verorten sei, als bei Angela Merkel (vgl. Süddeutsche). Maaßen ist ja inzwischen inhaltlich in dem Spektrum angekommen, mit dem er zuvor beruflich zu tun hatte. Kai Wegner fand 2021, Maaßen sei ein willkommenes CDU-Mitglied – 2023 nicht mehr (vgl. Tagesspiegel). Dies ist aber als Ausdruck einer Lernkurve zu sehen (und einer Absturzkurve von Maaßen).

Was „zerschlagen“ werden soll

Seine Ablehnung dessen, was er als „linksextrem“ wahrnimmt, äußerte Kai Wegner immer wieder angesichts von Wohnprojekten wie in der Rigaer Straße und in der Liebigstraße. Über die Rigaer Straße twittert er etwa 2019 „linksextreme Strukturen“ müssten „zerschlagen“ werden – immerhin: „mit dem Rechtsstaat“, aber die martialische Sprache und die #NullToleranz des Hashtags verraten, dass Wegner für diese Berliner*innen auch nicht gerade Sympathien übrig hat. Nach der Räumung des besetzten Hauses in der Liebigstraße 14 hatte er schon 2011 dem gesamten Bundestag vorgeworfen, dass er linksextreme Gewalttaten nicht ausreichend ablehne (vgl. Bundestags-Archiv).

Vorsicht im Internet

Eine Recherche allerdings, die Wegner in die Nähe von Rechtsextremen rücken wollte, erwies sich als nicht haltbar: Kai Wegner gehörte der Facebook-Gruppe „Politik und Polizei“ an, in der während der Coronavirus-Pandemie auch rechtsextreme, verfassungsfeindliche und verschwörungsideologische Inhalte verbreitet wurden – sogar Administrator war er dort. Allerdings lassen sich auf Facebook Menschen zu Gruppen hinzufügen und sogar zu Administratoren machen, ohne dass sie dem aktiv zustimmen. Dies schien in der Gruppe Usus zu sein, diverse Politiker waren hinzugefügt worden. Alle beteuern ebenso wie Kai Wegner, nichts von der Gruppenmitgliedschaft und der demokratiefeindlichen Ausrichtung der Gruppe gewusst zu haben (vgl. taz). In der Gruppe wurde ein Foto geteilt, das Kai Wegner 2018 gemeinsam mit Michael Kuhr zeigt, mittlerweile Beisitzer im Bundesvorstand der „Werteunion“, und Hartmut Hahn, dem Gründer der Facebook-Gruppe „Politik und Polizei“. Zu beiden, sagt Wegner, habe er aber keinen Kontakt – es ist ein Zufallsfoto, sagt die CDU Berlin.

Nun ist es an Kai Wegner, durch seine Arbeit als zukünftiger Bürgermeister zu beweisen, dass er nicht nur mit vorstädtischen „Law-and-Order“-Fantasien Berlin regieren möchte, sondern es ernst meint mit der Demokratie und Lebensqualität in der Stadt. An seiner Social Media-Arbeit sollte Wegner auf alle Fälle noch arbeiten: Auf Facebook etwa sammeln sich unter dem „Eid Mubarak“-Post schon wieder die empörten Islamablehner*innen: „Ich würde mich sehr freuen wenn man uns Christen zu den Festen auch beste Wünsche zukommen lassen würde . Aber wir sind wohl nicht mehr so wichtig“, „Wir sind doch nur die Dummen, die alles bezahlen “, „…und auch Wegner zeigt, dass es ihm nicht um Deutsche geht…cool…“ (alles sic!) – hier wäre eine erste Chance, integrativen Geist zu verbreiten und in die Gegenrede zu gehen, dass ein Glückwunsch an muslimische Berliner*innen genauso seine Berechtigung hat wie „Frohe Ostern“ und „Chag Pesach Sameach“.

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