Herr Jäger, was unterscheidet eigentlich einen rechten Demokraten von einem Rechtsextremisten?
Ganz einfach, ein guter Konservativer wird immer die Grenze achten, die das Grundgesetz gezogen hat: die unbedingte Achtung der Menschenwürde. Ich weiß, die Verfassungsschutzgesetze der Länder definieren jemanden erst dann als extremistisch, wenn er eine explizit feindliche Haltung zum Grundgesetz hat. Aber ich würde die Grenze zur Unterscheidung von rechtskonservativ und rechtsextremistisch viel früher ziehen: nämlich dort, wo der Grundsatz in Zweifel gezogen wird, dass die in unserer Verfassung definierten Grundrechte auch für Nichtdeutsche gelten. Da ist für mich Feierabend. Und da gibt?s auch keine Diskussion, ob man das mal ein bisschen ausbeulen sollte.
Für manchen in der Union scheint die Frage schwerer zu beantworten.
Das hat mit einer allgemeinen Entwicklung seit ?68? zu tun: In der Bundesrepublik galt es lange Zeit ja schon als latent rechtsextrem, wenn man mal die deutsche Flagge gezeigt hat. Oder Stolz auf unser Land bekunden wollte. Und das ist für die Union natürlich nicht akzeptabel. Aber spätestens seit der letzten WM hat sich der Umgang mit der Deutschlandfahne geändert.
Ich glaube, dass man stolz sein kann auf eine Kultur, in die man hineingeboren ist und in der man sich wohlfühlt. Doch deswegen muss man nicht dauernd sagen: ?Ich bin stolz ein Deutscher zu sein!? Trotzdem wäre es ein Riesenproblem, wenn die Union patriotische Leute rechts liegenlassen würde. Patriotismus halte ich für gut, aber das ist etwas ganz anderes als Rassismus. Und ein echter Patriot wird zum Beispiel nie sagen, von deutschem Boden sei immer nur Gutes ausgegangen.
Wenn Sie im rechten politischen Spektrum möglichst viele Leute einbinden wollen ? könnte es da nicht nützlich sein, die Grenze bewusst offen zu halten?
Nein. An der klaren Kante darf man nicht knabbern. Ich bin mir sicher, dass man viel offener diskutieren kann, wenn die Grenze definiert ist. Allerdings darf man sich nicht von Wählern abwenden, die dumpfe Vorurteile von sich geben. Man muss immer versuchen, sie ins demokratische Spektrum zurückzuholen. Deshalb darf man nicht sagen: Du bist blöd! Sondern muss ihnen erklären, wie man selbst es sieht. Und da muss man sehr geduldig sein. Dies hat nichts damit zu tun, Verständnis für rechtsextreme Vorstellungen zu haben. Würden wir so tun, als hätten wir Verständnis für Regelüberschreitungen, dann beschädigen wir die Regel.
Warum war von der Union in den letzten Jahren relativ wenig zum Rechtsextremismus zu hören? Oft hat man den Eindruck, sie überlasse das Thema linken Kräften.
Das sollten Sie nicht mich fragen! Ich gelte in der CDU als jemand, der teilweise überzogen reagiert. Mein Plädoyer für ein NPD-Verbot zum Beispiel wird von vielen Kollegen nicht geteilt. Ich würde sicherlich auch manches anders sehen, wenn ich heute noch in einem der alten Bundesländer wäre. Meine Erfahrungen hier in Mecklenburg-Vorpommern und auch jetzt mit den sechs NPD-Leuten im Landtag, die prägen einen sehr deutlich.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist eigentlich eine Christenpflicht, denn das Weltbild der NPD ist meilenweit entfernt von unserem christlichen Menschenbild. Eigentlich kann ein guter Konservativer ? denn Konservatismus ist in der abendländischen Kultur ja christlich geprägt ? gar nicht in Gefahr kommen, da irgendwo tolerant zu werden. Nur eines macht die CDU auch nicht mit: eine Hysterie bei dem Thema.
Während der ersten Erfolgswelle der NPD in den sechziger Jahren war die Union trotzdem viel offensiver. Damals druckte das Konrad-Adenauer-Haus Aufklärungsbroschüren über die NPD ? heute gibt es so was nur bei SPD, Grünen oder Linkspartei.
Naja, ich selbst brauche solch eine Handreichung nicht. Aber in der Tat sollte das Problembewusstsein auch in unseren eigenen Reihen noch gefördert werden. Leider höre ich von Kollegen öfter: Wir müssen die NPD akzeptieren, weil sie in den Landtag gewählt wurde. Wenn ich mich im Vergleich an die Debatten erinnere, als die Grünen aufkamen: Da sagte Holger Börner, auf dem Bau würde man so was mit der Dachlatte klären. Dabei ist die NPD eine ganz andere Bedrohung! Die Grünen wollten niemals diesen Staat aus den Angeln heben ? sie wollten nur eine andere Lebensweise in diesem Staat.
Viele in der Union vergleichen die NPD heute mit der PDS oder setzen Rechts- mit Linksextremismus gleich. Sie arbeiten im Schweriner Landtag mit der Linkspartei zusammen in der Auseinandersetzung mit der NPD ?
? wofür ich in der Partei auch regelmäßig Prügel beziehe. Ich war immer und werde immer ein Antikommunist sein. Aber aus der Not heraus glaube ich, dass wir der NPD nicht erlauben dürfen, einen Keil zwischen uns andere Landtagsparteien zu treiben. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit unserer Schweriner Linie: Wenn die NPD irgendeinen Antrag stellt, antwortet immer nur ein Redner der anderen Fraktionen. So geben wir Demokraten Paroli, ohne der NPD eine zu große Bühne zu bieten. Das funktioniert sicher noch nicht perfekt, aber wir werden immer besser?
Ich gebe zu, das ist für mich ein ganz schwieriges Thema. Natürlich habe ich große Probleme mit der PDS. Natürlich gibt es da Strömungen, die Freiheitsrechte einschränken wollen und deshalb nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Aber das sind einzelne Leute ? bei der NPD dagegen ist die ganze Grundausrichtung ganz klar extremistisch.
Linksextremismus dagegen ist auf den Straßen in Mecklenburg-Vorpommern nicht wirklich ein Problem?
In der Tat, das war in Berlin während meiner Zeit als Innenstaatssekretär ganz anders. Da musste man deutlich dagegenhalten. Aber die Art von linken Autonomen, die ich da kennen gelernt habe, die kann man in Mecklenburg-Vorpommern auf die rote Liste setzen.
Die wirkliche Bedrohung unserer Demokratie geht übrigens auch nicht von rechten Extremisten auf der Straße aus. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass wir das Problem mit der Polizei beherrschen könnten. Die NPD versucht zielstrebig, innerhalb des demokratischen Systems Mehrheiten für ihre undemokratische Ideologie zu schaffen. Mittlerweile bin ich nicht mehr sicher, dass das ein aussichtsloses Unterfangen ist. Wenn Sie mir das vor zehn Jahren gesagt hätten, hätte ich Ihnen geantwortet: Sie spinnen! Aber man muss es erlebt haben, wie sich Menschen beeinflussen lassen. Man muss gesehen haben wie Udo Pastörs ?
? der Chef der Schweriner NPD-Fraktion ?
? den einfachen Leuten auf der Straße als Biedermann gegenübertritt, ihnen nach dem Mund redet ? und es tatsächlich schafft, dass die sich auf ihn einlassen. Dabei benutzen Pastörs und Kameraden oft einen Jargon, der hier in den neuen Ländern vertraut klingt. Sie benutzen Begriffe, die vielen unserer Mitbürger noch aus der DDR bekannt sind: das Gerede vom weltbeherrschenden Imperialismus zum Beispiel. In der Tat gibt es Exzesse im Kapitalismus, da sagen auch wir als gestandene Konservative: Es reicht! In unserer Volkswirtschaft soll niemand rücksichtslos Profite machen. Das Grundgesetz sagt nun mal: Eigentum verpflichtet. Aber auch hier ist der Unterschied klar: Rechtsextremisten bauschen Missstände gleich zur Systemfrage auf. Wir Demokraten sagen: Mist, dass es so was gibt wie Nokia in Bochum. Aber schauen wir doch mal, wie wir dafür sorgen können, dass es nicht wieder passiert.
Ich bin sehr für eine offene Auseinandersetzung mit denen, und da merkt man dann bald, dass der Pastörs so gut nun auch wieder nicht ist. Wenn der wirklich mal argumentieren muss, dann kommt fährt er ziemlich schnell an die Wand. Das Dumme ist nur: Viele Menschen finden sich in der Kompliziertheit der augenblicklichen Welt nicht mehr zurecht und glauben nur zu gern der NPD. Wenn man genau hinschaut, dann hat die nur primitive Parolen zu bieten.
Warum schaffen Sie es dann nicht, dies den Wählern zu sagen?
Den meisten ist Politik einfach schnuppe, das merke ich sogar im eigenen Freundeskreis. Ich will gar nicht sagen, dass wir als Politiker alles richtig machen. Natürlich sind wir manchmal zu bequem. Und, ja, wir haben über Jahre hinweg Lücken gelassen haben, die die NPD heute füllt. Aber wir arbeiten sehr stark dran, dass das besser wird: Kürzlich haben wir zum Beispiel in der Fraktion ein Sorgentelefon eingerichtet. Da kann jeder anrufen, und es ist immer jemand erreichbar. Ich selbst merke in meiner Bürgersprechstunde, wie groß der Bedarf nach ganz einfacher Hilfe ist. Da kommen zum Beispiel Leute, denen ich eine Wohnung besorge. Menschen, die ganz praktische juristische Fragen haben und offenbar niemanden, dem sie diese stellen können.
Genau das bietet die NPD in ihren Bürgerbüros auch an.
Aber das können wir Demokraten besser! Ich bin selbst Anwalt, ich darf zwar im Rahmen meiner Abgeordnetentätigkeit keine formale Rechtsberatung machen, aber was ich gelernt habe über Mietrecht, das sage ich weiter. Aber klar, so was setzt von einem Abgeordneten auch ein Stück Fleiß voraus…
In Vorpommern hatte man im letzten Wahlkampf den Eindruck, manche Dörfer seien von den demokratischen Parteien aufgegeben worden. Da hingen fast nur NPD-Plakate.
Das hat sich geändert. Wir haben unsere Bürgernähe nach der Wahl massiv verbessert. Das weiß ich auch deswegen, weil meine Kollegen heute mit Themen in die Fraktion kommen, die sie früher nicht gebracht hätten. Plötzlich ist die GEZ bei uns ein Thema ? da geht es zwar um läppische 17 Euro im Monat, aber das regt die Leute wirklich auf. Und solche Stimmungen muss ein Abgeordneter in der Lage sein weiterzugeben.
Wir haben da einen Job zu tun. Wir müssen rausgehen, und mit den Menschen reden. Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. In meinem Wahlkreis hier in Schwerin habe ich gemerkt, da können Sie an bestimmten Orten ab 16 Uhr keinen Wahlkampf mehr machen ? weil dann viele Leute auf der Straße betrunken sind vor lauter Elend. Wenn ich zu einer Diskussion einlade, da geht es dann nicht um die Steuerreform ? denn 60 Prozent der Leute zahlen dort gar keine Steuer. Sie wollen stattdessen wissen, warum die Stadt Schwerin bei ihnen neuerdings nachts das Straßenlicht ausschaltet.
Wenn es den Leuten schlecht geht und sie sehen, dass andere etwas kriegen, dann glauben die sofort, die bekämen mehr. Sobald sich etwa ein Mädchen aus einer Aussiedlerfamilie hübsch anzieht, wird sofort getuschelt: Wo haben die denn das Geld her? Da muss man ganz nüchtern antworten: ?Es gilt für alle das Gleiche. Hartz IV ist keine schöne Sache, aber Aussiedler kriegen auch nicht mehr!? So einfach ist das. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese Leute oft sehr fleißig sind. Die Jungs, die bei uns die Zeitungen austragen und sich ein paar Euro verdienen, das sind diese Jungs!
Wenn die NPD in so einer Situation herumwirbelt und ihre Neidparolen predigt, dann wird es schwierig. Sie ist auch in Vorpommern sehr aktiv, wo es Ängste gibt gegen eine polnische Überfremdung. Dabei könnte das Krankenhaus Pasewalk gar nicht mehr existieren, wenn da nicht auch polnische Ärzte arbeiten würden. Die ersten polnischen Unternehmer schaffen dort Arbeitsplätze für Deutsche. Vor ein paar Wochen war unsere Fraktion zu Besuch in Stettin, und da wurde uns erzählt, auf dem dortigen Flughafen könnten noch viel mehr EU-Fördergelder verbaut werden, es fehle aber inzwischen an Baufirmen. Da haben wir gedacht: Denen können wir helfen und haben deutsche Bauunternehmen vermittelt.
Bedauerlicherweise muss man der NPD eines lassen: Sie sind sehr treffsicher im Ansprechen von Instinkten. Es gab ja in der DDR starke Vorurteile gegen Polen, die von der SED nach dem Aufkommen von Solidarnosc auch noch geschürt wurden. Wenn jetzt die Polen kommen und Eigenheime bauen, dann gelten die sofort als Schieber.
Es gibt den Vorwurf, die NPD sei in Mecklenburg-Vorpommern so stark geworden, weil die Landes-CDU so links sei.
(lacht)
Von Ihren Kollegen in Sachsen fordern zum Beispiel manche Politologen ganz offen, sie müsse rechter sein, dann kriege man die NPD schon klein.
Das glaube ich nicht. Natürlich müssen wir deutlich machen, dass Patrioten bei uns eine politische Heimat haben. Aber der Erfolg der NPD hat nichts damit zu tun, dass wir uns zu sehr in die Mitte bewegt haben. Für den harten Sicherheitspolitiker, der ich in Berlin war, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern kein Betätigungsfeld. Wenn sich in Kreuzberg Leute vor Überfremdung fürchten, dann kann man darüber reden. Aber bei uns ist das einfach nur absurd. Wenn die CDU in Mecklenburg-Vorpommern gesagt hätte, das Boot sei voll, das wäre völlig unsinnig gewesen. In diesem Land gibt es keine Notwendigkeit des Säbelrasselns. Klar, auch bei uns ist der Anteil nichtdeutscher Straftäter in der Kriminalstatistik höher als ihr Anteil an der Bevölkerung. Das liegt aber auch daran, dass die wohlverdienenden Ausländer, die dann auch weniger straffällig sind, gar nicht nach Mecklenburg-Vorpommern kommen. Wenn sie die Kriminalstatistik auf soziale Gruppen herunterbrechen, dann haben sie in der Deliktshäufigkeit keinen Unterschied mehr zwischen Deutschen und Ausländern. Das müssen Sie den Leuten aber erstmal erklären.
Natürlich gibt es auch in meinem Wahlkreis Probleme. Da beschweren sich Leute, wenn Spätaussiedler mit ihren großen Familien den ganzen Sonntag unter ihrem Balkon grillen. Oder abends lange draußen sitzen und sich laut unterhalten. Im Urlaub finden sie das toll ? aber nicht in Schwerin. Da muss ich mich mit auseinandersetzen. Aber als CDU haben wir es nicht nötig, daraus ideologische Konsequenzen zu ziehen. Ganz im Gegenteil: Es ist unsere Aufgabe, für Toleranz zu sorgen in einem Land, das vorher 40 Jahre lang nicht tolerant war. Ausländer wurden ja in der DDR kritisch beäugt, die Behörden haben sie isoliert. Da wurde Misstrauen gegenüber Menschen gesät, die anders sind, und das merken sie bis heute.
In Asyldebatten sind von Unionspolitikern manchmal Sätze zu hören, die auch von der NPD stammen könnten.
Das finden Sie bei der SPD genauso. Als Otto Schily, den ich lange vorher kannte, vor zehn Jahren Bundesinnenminister wurde, da hab ich meinen Ohren nicht mehr getraut. Er wollte am Ende ja sogar mit Hubschraubern gegen Graffiti vorgehen ? das ist polizeitaktisch so dämlich, dass man es gar nicht denken darf. Aber in der Tat, Anfang der neunziger Jahre, kurz vor dem Kompromiss zur Änderung des Asylartikels im Grundgesetz, da hatte die Politik sich heißgeredet. Da habe auch ich manchmal gedacht, jetzt sollte man innehalten.
Auch in der Familienpolitik ähneln rechtskonservative Positionen bisweilen dem biologistischen Menschenbild der NPD. Die glaubt auch, dass Frauen an den Herd gehören.
Auch so was können Sie in keiner Partei ausschließen. Nur wäre es gefährlich zu glauben, Mitglieder der Union hätten eher eine Nähe zur NPD als Leute aus anderen Parteien. Das stimmt nicht, wie auch die Geschichte gezeigt hat. Zum Aufstieg der Nationalsozialisten haben Konservative beigetragen ? ebenso wie Arbeiter. Die Ideologie der NPD hat auch Schnittmengen mit linken Positionen, hören Sie sich nur mal deren Kapitalismuskritik an!
Aber es stimmt, es gibt in unserer, Gott sei dank, sehr weit gefächerten Partei Menschen, die ab und zu sagen: Da hat die NPD recht. Wenn sie wie kürzlich im Landtag vorträgt, Frauen seien nun mal von Natur aus besonders geeignet, Kinder zu erziehen ? dann ist das erstmal furchtbar einleuchtend. Denn das war ja über Jahrhunderte so. Auch meine Mutter war nicht berufstätig ? übrigens habe ich nicht darunter gelitten und meine Mutter auch nicht. Aber wir leben nun mal in einer Zeit, in der sich Menschen nicht mehr definieren über das Umsorgen eines Haushaltes. Und als Vater von drei Kindern sage ich, so schlecht sind Männer auch nicht. Gewisse biologische Einrichtungen für die Kinderbetreuung fehlen uns, aber die sind nach ein paar Wochen nicht mehr wichtig. Meine Position ist ganz schlicht: Wenn eine Frau sich ein Leben am Herd wünscht, dann sollte der Staat ihr das ermöglichen. Aber ich würde nichts tun, um das zum Sog werden zu lassen.
Das Interview führte Toralf Staud