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Kann ein Buch gefährlich sein? Hitlers „Mein Kampf“ ab 2016 wieder im Buchhandel

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Eine Ausgabe von "Mein Kampf" aus dem Jahr 1940 ist auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ausgestellt (Quelle: Michael Dawes, CC BY-NC 2.0)

Was gegen die Wiederveröffentlichung von „Mein Kampf“ spricht

Bis vor kurzem gehörte Charlotte Knobloch zu den Unterstützerinnen eines Projekts, das die bayerische Landesregierung in Auftrag gegeben hat: Es handelt sich um eine von Münchner Historikern des Instituts für Zeitgeschichte kommentierte Ausgabe von Mein Kampf, die im Jahr 2016 auf dem freien Buchmarkt erscheinen soll. Mit der wissenschaftlich kommentierten Version von Mein Kampf will die bayerische Regierung zum einen kommerziellen Verlegern den Wind aus den Segeln nehmen, die 2016 die Originalversion von Hitlers Hetzschrift herausgeben können. Zum anderen soll die kommentierte Ausgabe eine Anleitung für Leser und Mediatoren wie Geschichtslehrer sein, wie mit dem Text umzugehen ist.

Auch Charlotte Knobloch war lange Vertreterin dieser Argumentation. Nach einem Jerusalem-Besuch, zu dem die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland den bayerischen Ministerpräsidenten begleitet hatte, änderte sich jedoch ihre Meinung: Wie sie der Zeitung Die Welt berichtete, reagierten besonders Angehörige von Holocaust-Opfer- und Überlebendenverbänden in Israel entrüstet auf die Ankündigung, dass jenes Buch, in dem Adolf Hitler seinen Rassenwahn offenlegte und das von den Nationalsozialisten als „bedeutsamstes deutsches Buch“ bezeichnet wurde, bald wieder auf den Ladentischen liegen soll.

Charlotte Knobloch

Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, will strafrechtlich überprüfen lassen, ob eine Publikation des Volltextes von „Mein Kampf“ noch zu stoppen ist. (Foto: Herbert Burda Media, CC BY-NC-SA 2.0)

Knobloch will nun strafrechtlich überprüfen lassen, ob eine Publikation des Volltextes von Mein Kampf noch zu stoppen ist. Ausgeschlossen ist das nicht. Denn entgegen einer verbreiteten Annahme war das Buch in Deutschland bisher nicht verboten. Die bayerischen Urheberrechtsverwalter hatten die Veröffentlichung lediglich verhindert – aus Angst, Hitlers Machwerk könnte von Rechtsextremen propagandistisch instrumentalisiert werden. Auch Erwägungen zum Jugendschutz spielten eine Rolle: Das bayerische Justizministerium befürchtet, junge Leser von Mein Kampf könnten von Hitlers kruder Argumentation in die Irre geführt und fasziniert werden.

Knobloch und einige andere plädieren auch aus diesem Grund dafür, im Jahr 2016 nur eine kommentierte Fassung mit Auszügen und Textbeispielen von Mein Kampf zu veröffentlichen. Ein solches Buchprojekt entsteht bereits bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

Was für die Wiederveröffentlichung von „Mein Kampf“ spricht

Dass Mein Kampf ein propagandistisches Werk voller Grausamkeit ist, das Verfolgung und Vernichtung rechtfertigt, ist auch unter den ernstzunehmenden Befürwortern der Neuauflage unumstritten. Sie sehen trotzdem gute Gründe für eine Wiederveröffentlichung.

Besonders häufig zu hören ist das Argument der Mündigkeit: Aus Sicht der Befürworter ist es der Gesellschaft nach Jahrzehnten der Geschichtsaufarbeitung zuzutrauen, dass sie die Brutalität und Absurdität von Hitlers Schrift erkennt und die Wiederveröffentlichung als Mahnung versteht. Eine ähnliche Argumentation verfolgt seit langem der Kabarettist Serdan Somuncu, der schon in den neunziger Jahren mit dem Programm „Nachlass eines Massenmörders“ auf Tournee ging und dabei Auszüge aus Mein Kampf verlas, um die Widersprüchlichkeit in Hitlers innerer Logik aufzuzeigen.

Philipp Blom

Historiker Philipp Blom Foto: „Es ist besser, Hitlers Behauptungen, Lügen und Hasstiraden mit einem Kommentar herauszugeben, der Fakt und Fiktion voneinander trennt und historischen Kontext schafft.“(© Peter Rigaud)

Viele Wissenschaftler argumentieren zudem, dass gerade die Veröffentlichungs-Sperre negative Konsequenzen hat: Dadurch werde ein schlechtes Buch mythologisiert und ein falsches Tabu geschaffen, sagt etwa der Historiker Philipp Blom. „Hitlers Reden und Schriften sind im Buchhandel erhältlich, auch die Werke der anderen Nazigrößen und ihrer Ideengeber. Im Internet ist diese Literatur umsonst zu haben. Warum sollen wir dieses eine Buch gesondert behandeln? Wegen seiner dämonischen Macht, seinem totemischen Status? Vergiftet seine Lektüre mehr den Geist als die der anderen Autoren?“

Bloms Antwort lautet Nein: „Es ist besser, Hitlers Behauptungen, Lügen und Hasstiraden mit einem Kommentar herauszugeben, der zumindest für Leser, die etwas verstehen wollen, Fakt und Fiktion voneinander trennt und historischen Kontext schafft. Es ist besser zu zeigen, dass wir nicht mehr wie gebannt sind vor Hitlers dämonischem Blick, sondern dass wir verstanden haben, wie dieses Gift sich neutralisieren lässt, dass wir den Gröfaz längst entzaubert haben. Dazu gehört, unseren Bürgerinnen und Bürgern die Reife zuzutrauen, einen klug herausgegebenen Text zu lesen und sich eine Meinung darüber zu bilden, anstatt im Internet Informationen aus zweifelhaften Quellen zu beziehen.“

Aus Bloms Sicht erfüllt das auslaufende Urheberrecht seinen Zweck als „Zensurmittel im Namen der Demokratie“ ohnehin nicht mehr: Schon nach wenigen Klicks werde im Internet jeder, der Mein Kampf lesen wolle, fündig.

So pragmatisch sehen es viele Befürworter: Eine Neuauflage ermöglicht Verlegern immerhin ein Stück Kontrolle über das, was beim Leser ankommt.

Mit freundlicher Genehmigung des deutsch-tschechischen Online-Magazins jádu des Goethe-Institutes Prag

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