Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, fällt Ende März während eines A-Jugend Fußballspiels zwischen dem FC Schwedt und dem FSV Bernau. Albertos Sohn wird massiv rassistisch beleidigt, ein Gegenspieler nennt ihn unter anderem ?alter Sauneger? und droht ?ich prügel? dich tot?. Niemand greift ein, auch Schwedts Co-Trainer schweigt. Familie Alberto erstattet Anzeige, ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet. Obwohl der Bernauer Verein jegliche Mithilfe verweigert, konnte der Täter inzwischen gefunden werden. Für Ibraimo Alberto war der Vorfall im Stadion ?Heinrichslust? nur das letzte Glied in einer Kette aus Beleidigungen und Bedrohungen. Die Familie trifft die Entscheidung, die Stadt zu verlassen und einen Neuanfang in Baden-Württemberg zu wagen.
Die Gewalt und das Schweigen
?Die Entscheidung, Schwedt zu verlassen, ist zu 80 Prozent darin begründet, dass ich mich hier nicht mehr sicher fühle. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder zurückkehren werde?, erklärt Ibraimo Alberto seinem Anwalt und Freund Andreas Brandt, der am 07. Juli 2011 in seiner Kanzlei den Fragen zum Rücktritt Albertos Rede und Antwort steht. Auch Birgit Alberto ist anwesend. Sie möchte nicht fotografiert oder gefilmt werden, aus Angst vor weiteren Anfeindungen. ?Die Situation hier wurde unerträglich? erklärt die Ehefrau Albertos. Der Weggang aus ihrer Heimat fällt ihr schwer und dennoch sieht sie keine Alternative: ?Jetzt ist Schluss. Unser Sohn ist in Gefahr!? In verschiedenen Medien war zu lesen, Ibraimo gehen nur nach Baden-Württemberg, weil er dort einen Job gefunden habe. Dem stimmt sie nicht zu. Die Stelle als Erzieher trete er zur Probe an, er besitze noch keinen Arbeitsvertrag. ?Wenn jemand wegen der Arbeit wegzieht, heißt das, dass er einen festen Job gefunden hat? erklärt sie. Bei ihrem Ehemann sei das aber nicht der Fall. Die tägliche Bedrohung ist es gewesen, die offenen Anfeindungen und die versteckte Ablehnung.
Journalist Peter Huth und Rechtsanwalt Andreas Brandt
Mehrfach wurde Ibraimo Alberto auch körperlich angegriffen. Eine Frau schlug ihm ins Gesicht, stachelte ihre ?Kameraden? auf, dasselbe zu tun. Alberto erstattete Anzeige. Immer wieder. Täter seien nie ermittelt worden, sagt er. Verbalen Angriffen war er fast täglich ausgesetzt, Beleidigungen, schiefe Blicke ? das gehörte zu seinem Alltag. Schon 2008 schreibt sich Ibraimo Alberto seine Gefühle von der Seele: ?Für Menschen mit anderer Hautfarbe ist es ein großer, kaum endender Stress, sich ständig und überall erklären zu müssen. Ununterbrochen muss man wegen verbalen oder tätlichen Angriffen auf der Hut sein. Dadurch kommt es, dass man sich selten unbefangen äußern oder bewegen kann. (?) Ob ich spazieren gehe oder einfach nur einkaufe, ich merke, dass die Leute mich ganz genau beobachten: was ich an habe, ob ich mich auffällig benehme und ein wesentlicher Punkt, dass sie mir nicht in die Augen schauen. Versuche ich, mit ihnen Blickkontakt aufzunehmen, dann schauen sie weg. (?)Das Schlimmste aber ist, dass sich alles auch auf meine Familie auswirkt. Ich kann überhaupt nicht mit meiner Familie in meiner Heimatstadt Schwedt spazieren gehen: wegen übelster Beleidigungen ist es so eine Tortour für meine Frau, dass wir gemeinsam nicht mehr ausgehen. Eine deutsche Frau mit ihrem ausländischen Mann ? wenn er aus Ungarn oder England oder aus den USA kommt ? kann das. Ich nicht!?
Am Schlimmsten sei das Schweigen, sagt Ibraimo Alberto. Diejenigen, die ihn und seine Familie offen angreifen, dass sei eine kleine Gruppe. ?Aber sie haben Macht.? Die Menschen sehen weg, ignorieren die Schmähungen. Auch im Stadion ?Heinrichslust? sei das so gewesen. Keiner stand auf, keiner mischte sich ein. ?Die haben zugeguckt?, berichtet Alberto, ?Wie bei einem Spektakel, wie im Theater?.
Die Stadtobersten engagieren sich gegen Rechtsextremismus, riefen den ?Anti-Rassismus-Tag? ins Leben und das Projekt ?Vielfalt tut gut?. ?Es wird etwas getan, aber es passiert nichts?, erklärt Peter Huth, Journalist und Betreiber des Internetportals Gegenrede.info, das über rechtsextreme Vorfälle in der Uckermark informiert.
Zwischen ehrlichem Bedauern und Imagepflege
Der Bürgermeister Schwedts, Jürgen Polzehl, beteiligte sich mit Ibraimo Alberto im Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit, sie waren gemeinsam in der SPD-Fraktion aktiv. Über Albertos Rücktritt und sein Abschied ist Polzehl sehr betroffen. ?Ibraimo war etwas Besonderes. Er war ein Aushängeschild der Stadt.? Jürgen Polzehl ist es wichtig zu betonen, dass es die Schwedter Bürgerinnen und Bürger waren, die Ibraimo Alberto in die Stadtverwaltung gewählt und letztlich zum Ausländerbeauftragten gemacht hätten. Es sei ein Signal gewesen, ?denn Ibraimo als Ausländerbeauftragter hat ja gerade die Wirkung der Stadt nach außen vertreten, dass wir gerade mit jemand mit schwarzer Hautfarbe auch sagen: Wir stehen zu Ibraimo, wir stehen hinter ihm.?
Das Dilemma, in dem Jürgen Polzehl dieser Tage steckt, ist ihm deutlich anzumerken. Welcher Bürgermeister möchte seine Stadt schon mit Schlagzeilen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Medien sehen. Jürgen Polzehl bedauert, dass es nicht gelungen sei, Ibraimo Alberto eine feste Arbeitsstelle zu beschaffen. Und dass Rassismus der alleinige Grund für den Weggang der Familie Alberto gewesen sei, möchte er nicht recht glauben. ?In den 90ern hatten wir eine rechte Szene in Schwedt? erklärt er, heute seien es Einzelne. ?Ich kann mir meine Bürger eben nicht backen?, das war als Scherz gemeint, aber darüber lachen kann er selbst nicht so richtig. Auf die Frage, wie die Reaktionen in der Bevölkerung ausfallen, zuckt Jürgen Polzehl mit den Schultern ?Die Wahrnehmung von Rechtsextremismus ist unter den Bürgerinnen und Bürgern kaum vertreten?. Im jüngsten Verfassungsschutzbericht tauche Schwedt immerhin gar nicht auf. Gegen Rassismus und Rechtsextremismus solle aber unvermindert weiter gekämpft werden. ?Wehret den Anfängen? betont Jürgen Polzehl mehrfach. Es bleiben allerdings Zweifel, ob man in der Uckermark nicht längst mittendrin steckt. ?Der Bürgermeister hat ein liebes Herz? sagt Ibraimo Alberto, ihm fehle jedoch die Durchsetzungskraft.
Der Kämpfer gibt auf
20 Jahre und sieben Monate lebte Ibraimo Alberto in der 35.000-Einwohner-Stadt in der Grenzregion zu Polen. Der in Mosambik geborene Deutsche kam 1981 nach Ost-Berlin, war lange erfolgreicher Boxer und zeichnete sich vor allem durch sein unermüdliches Engagement für Toleranz und gegen Rassismus aus. 2006 trat er in die SPD ein und wurde 2008 zum Stadtverordneten gewählt. Außerdem war er als ehrenamtlicher Übungsleiter im Fußballverein tätig und nahm sein Amt als städtischer Ausländerbeauftragter sehr ernst. Von all seinen Tätigkeiten in Schwedt trat Alberto jetzt zurück.
Seine Auszeichnung als ?Botschafter für Toleranz und Demokratie?, die ihm 2008 vom Bund verliehen wurde, gibt er allerdings nicht zurück, die bedeutet ihm viel: Aufrichtige Anerkennung für seine Arbeit bekam er längst nicht von allen Seiten. Nach den massiven rassistischen Anfeindungen, war es vor allem die fehlende Unterstützung von Politik und Behörden, die ihn nun zum Aufgeben zwang. Die geringen Aufwandsentschädigungen, die er für seine ehrenamtliche Arbeit erhielt, wurden von seiner Grundsicherung durch das Jobcenter abgezogen. Dass er trotz unermüdlicher Arbeit finanziell auf Hartz4-Niveau leben musste, ?lag im Ermessen der Behörden? erklärt Rechtsanwalt Brandt. Dass sich Politiker in ?Sonntagsreden? gegen Rassismus stark machen und gleichzeitig die Stelle des hauptamtlichen Ausländerbeauftragten ? ohne Diskussion oder Abstimmung ? streichen, dass Menschen, die jahrelang im Landkreis leben, die ihr Einkommen selbst erwirtschaften, abgeschoben werden, das konnte Ibraimo Alberto nicht verstehen. ?Die Mitarbeiter der Behörde waren zum Teil rüde ausländerfeindlich? zitiert Brandt seinen Mandanten. Die Akzeptanz für die Unterstützung derjenigen Ausländer, die von Abschiebung bedroht sind, fehlte gänzlich. ?Es reicht nicht, jemandem einen Preis zu verleihen und ihn dann allein zu lassen? erklärt Ibraimo Alberto, der seine Arbeit heute als ?gescheitert? bezeichnet.
Lothar Priewe
?Wäre Ibraimo nicht so ein Kämpfer, hätte er viel früher aufgegeben? bemerkt sein Freund Lothar Priewe, der sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus in der Uckermark engagiert und dafür 2007 mit dem ?Band für Mut und Verständigung? ausgezeichnet wurde. Priewe und Adriano arbeiteten gemeinsam im Jugendclub ?Flash Too? in der Berliner Straße. Birgit Adriano bestätigt Priewes Einschätzung: ?Ibraimo hat lange durchgehalten, aber er hatte es satt, gegen Windmühlen zu kämpfen?.
Ibraimo Alberto fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat in Baden-Württemberg. ?Es geht mir fantastisch? berichtet er im Interview mit dem ?Deutschlandradio?. Am vergangen Wochenende sah er sich den großen Boxkampf Klitschko gegen Haye in einer Gaststätte an ? und war begeistert: weniger vom Sport als vom offenen und freundlichen Klima unter den Barbesuchern. ?Ich habe da gesessen und gemerkt, wie viele Schwarze da sind, die mitgemacht haben, getanzt haben?. Der Umgang zwischen den ?Deutschen? und den ?Schwarzen? im Lokal hat Ibraimo Alberto geradezu überrascht, ?richtig locker? beschreibt er die Stimmung. Es ist schlimm, dass der Mann, der jahrzehntelang für ein offenes und tolerantes Miteinander kämpft, erst seine Heimatstadt verlassen muss, um sich willkommen und frei zu fühlen, fernab von scheelen Blicken und offenem Fremdenhass. So liegen Freude über die neu gewonnen und Wut und Trauer über die gemachten Erfahrungen dicht beieinander.
Mehr im Internet:
| Ibraimo Albertos „Nächtliche Gedanken“ 2008
| Deutschlandradio Kultur im Interview mit Jürgen Polzehl und Politikwissenschaftler Hajo Funke und Gespräch mit Ibraimo Alberto (Audio)