Das erste Mal seit Beginn der Corona-Pandemie wird in diesem Jahr wieder ganz ohne einschränkende Maßnahmen Karneval gefeiert. Neben bunten Kostümen, viel Alkohol und lauten Ritualen zeigen sich regelmäßig auch rassistische und andere menschenfeindliche Einstellungen, getarnt als Humor. So auch dieses Jahr.
Die diesjährige Auswahl rassistischer Karnevalphänomene prägt vor allem die Debatte um die Figur Winnetou und den Rassismus ihres Autors Karl May aus dem vergangenen Sommer. Der Ravensburger Verlag hatte zwei an Winnetou angelehnte Kinderbücher mit dem Titel „Der junge Häuptling Winnetou“ in Folge negativer Reaktionen wieder aus dem Programm genommen – damals noch mit einer scheinbar selbstkritischen Einsicht bezüglich der darin transportierten Stereotype. Daraufhin entbrannte eine sehr öffentlichkeitswirksame Kontroverse über die vielbeschworene „Cancel Culture“, auf die der Vorfall geschoben wurde, sowie über den Rassismus in Mays Werk. Nach den von rechter Seite vertretenen Positionen überrascht es wohl nicht, dass der Begriff „Indianer“ nun wieder auf Twitter trendet und zahlreiche mehr oder weniger bekannte Provokateur*innen ihr Recht auf die rassistische Praxis, sich als Indigene zu verkleiden, unter Beweis stellen wollen.
Solche Verkleidungen beruhen auf westlichen Stereotypen indigener Kultur. Diese wird, entgegen der Realität eines breiten Spektrums indigener Kulturen und Lebensrealitäten, als einheitlich und exotisch dargestellt. Auch wenn Verkleidete oder Winnetou-Fans sich als Bewunderer*innen „der Indianer“ bezeichnen, ändert das nichts am Rassismus dieses Motivs, da ihre Bewunderung sich letztlich auf die westliche Fantasie vom „edlen Wilden“ bezieht. Der in diesem Kontext ebenfalls häufig formulierte Vorwurf kultureller Aneignung verweist dabei darauf, dass die Ausgangssituation keinen kulturellen Austausch auf Augenhöhe ermöglicht. Kulturelle Elemente aus indigenen Kontexten werden hier von Weißen verwendet, nachdem eine zutiefst von Gewalt geprägte Kolonialgeschichte zu Völkermorden und Unterdrückung gegenüber indigenen Kulturen führte. Zugleich wurden Zerrbilder dieser Kulturen auch stets für die Unterhaltung Weißer missbraucht. Daran knüpft auch die Praxis an, sich als „Indianer“ zu verkleiden.
Besonders geschmacklos zeigt sich dabei ein Umzugswagen in der sächsischen Stadt Prossen, der es schafft, diese Art des Rassismus noch mit Queerfeindlichkeit anzureichern: Unter dem Banner „Asyl-Ranch“ sind auf dem Wagen mehrere als „Indianer“ verkleidete Personen zu sehen, die um einen Mann in einem regenbogenfarbenen Anzug tanzen, der an einen Marterpfahl gefesselt ist. Auf der Seite des Wagens ist ein Schild mit der Aufschrift „Deutschland dekadent und krank Winnetou sucht Asyl im Sachsenland“ angebracht. Ein Video des Spektakels sorgte für Empörung in den sozialen Medien, die Veranstalter*innen zeigten jedoch Unverständnis für die Aufregung und verwiesen gegenüber dem Spiegel auf die Meinungsfreiheit.
Wenig einfallsreich wählte die AfD Köln die gleiche Masche: In einem Twitterpost zeigen sich drei Fraktionsmitglieder im Kölner Rathaus als „Indianer“ verkleidet und machen ihren Schrei nach Aufmerksamkeit auch gleich explizit durch die Bildunterschrift „Aufschrei, weil AfD Köln als Indianer geht!“
Die gewünschte Empörung blieb jedoch aus, wohl auch weil der Thüringer CDU-Politiker Mike Mohring ihnen die Show stahl, indem er die rassistische Provokation noch zu steigern wusste. In einem Twitterpost zeigt er sich als „Indianer“ verkleidet und lässt das Motto seines Wagens verlauten: Man „pfeife auf die Sprachpolizei“, indem sowohl ein antiziganistischer als auch ein rassistischer Begriff verwendet werden (der in einer zweiten Fassung durch die Klage über das „Gendersternchen“ ersetzt wird). Mohring knüpft damit an gängige rechte Motive an. Politiker*innen der SPD und der Grünen bezogen dagegen Position.
Große Aufregung nach ähnlichem Muster wie es bei den Winnetou-Kinderbüchern zu beobachten war, löste es aus, als die Heilbronner Antidiskriminierungsstelle (adi.hn) einem Bäcker nahelegte, die Dekoration seiner Berliner zu überdenken. Diese zeigten von rassistischen Stereotypen geprägte Darstellungen – unter anderem halbnackte Schwarze Personen in Baströcken und mit Knochenketten aber auch gelbe „Chinesen“-Figuren mit Krummsäbeln, „Indianer“ und „Cowboys“. Das Schreiben der adi.hn landete in den sozialen Medien – ebenso wie ein Bild der Mitarbeiterin, die den Brief verfasst hatte, in rechten Chatgruppen. Die adi.hn ereilte daraufhin ein Shitstorm aus beleidigenden E-Mails und Anrufen, wie die Rhein-Neckar-Zeitung berichtet. Der Bäcker erklärte, es handele sich nicht um Rassismus und dass er die Dekoration der Berliner beibehalten wolle. Wie gering die Bereitschaft in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist, sich mit dem Rassismus und den menschenfeindlichen Stereotypen auseinanderzusetzen, die auch die Karnevalstraditionen prägen, wurde auch daran deutlich, dass die Abwehrreaktion des Bäckers breiten Zuspruch erfuhr.
Auch das schon länger öffentlich diskutierte „Blackfacing“ ließ im diesjährigen Karneval nicht lange auf sich warten. Wie der mdr berichtet, empfing der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) die Ober-Mörler Karnevalsgesellschaft auf Schloss Biebrich in Wiesbaden. Diese sandte unter anderem eine schwarz angemalte Person, die einen „Mohr“ darstellen sollte. Eine solche Schwarze Figur gilt als Symbol der Ober-Mörlener Fastnacht und findet sich sowohl im Wappen der Karnevalsgesellschaft als auch in dem der Wetterau-Gemeinde Ober-Mörlen. Dass es sich jedoch bei diesem sogenannten Blackfacing um eine rassistische Praxis handelt, wurde seit geraumer Zeit in öffentlichen Debatten immer wieder dargelegt.
In den USA hat diese Praxis eine lange Geschichte, in der sich Weiße als Schwarze verkleideten, sich über Versklavte lustig machten und körperliche Merkmale oder Aspekte afroamerikanischer Kultur diffamierend überspitzten. Ähnlich wie bei Verkleidungen, die Indigene darstellen sollen, werden auch hier Zerrbilder und Stereotype verfestigt und der Eindruck vermittelt, Schwarzsein sei eine kuriose Besonderheit, die Weiße sich anziehen könnten.
Ebenfalls im karnevalistischen Treiben zu finden war dieses Jahr eine „Querdenken“-Gruppierung in Clownskostümen, mit den Gesichtern von Politiker*innen als Masken. Bereits im Vorfeld hatte der Journalist David Janzen Chatverläufe aus einem Telegramkanal veröffentlicht, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Gruppe „Vereint & Friedlich“ am Schoduvel in Braunschweig mitlaufen wolle, wie der NDR berichtete. Janzen wies daraufhin, dass es sich bei der Gruppe um verschwörungsgläubige Corona-Leugner*innen handele, die die „Montagsspaziergänge“ in Braunschweig organisierten.
Die Schwurbler*innen wollten ursprünglich Politiker*innen in Sträflingskleidung verkörpern, bekamen jedoch Auflagen vom Komitee Braunschweiger Karneval, weshalb sie letztlich in Clownkostümen erschienen. Janzen zeigte sich von diesem laxen Umgang mit den „Querdenker*innen“ enttäuscht. Diese konnten den Umzug als Bühne für sich und ihre kruden Botschaften nutzen. Um den Hals trugen sie Zitate der Politiker*innen, die kommentiert oder korrigiert waren, um unter anderem Impfskepsis auszudrücken oder die angebliche Diskriminierung Ungeimpfter anzuprangern.
Auch waschechte Neonazis ließen sich im diesjährigen Karneval blicken. Beim Umzug im Essener Stadtteil Kettwig waren dieses Jahr erneut die rechtsextremen „Steeler Jungs“ als „Steeler Jecken“ mit dabei, wie das Bündnis „Essen stellt sich quer“ auf seiner Website berichtet. Bereits 2019 waren sie mit einem Umzugswagen aufgefallen, auf dem politische Gegner*innen bedroht wurden. Auch diesmal war das Motiv von damals auf ihrem Wagen mit der Aufforderung „Schützt euch vor Zecken“ untergebracht. „Zecken” ist in Rechtsaußen-Kreisen eine gängige Bezeichnung für politisch Andersdenkende. Der Wagen fiel um einiges kleiner aus als vor vier Jahren, trug jedoch praktisch die gleiche Aufschrift: „Auf Kohle geboren mit Stahl in den Adern“ in altdeutscher Frakturschrift. Die Gruppe versammelte sich in roten, mit dem Logo der „Steeler Jecken“ und dem Steeler Wappen bedruckten Hoodies und Helme tragend auf dem Bürgermeister-Fiedler-Platz. Bei den Steeler Jungs handelt es sich um eine rechtsextreme, hooligannahe Vereinigung, die von Landesverfassungsschutz NRW als „bürgerwehrähnliche Gruppierung” bezeichnet wird und bei sogenannten „Spaziergängen“ durch Essen Angst verbreitete.
Zu den Widersprüchen des Karnevals in einer rassistischen Gesellschaft gehört auch, dass am Jahrestag des Terroranschlags von Hanau, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet wurden, Narrenumzüge stattfinden. Eine Twitternutzerin kommentiert das direkte Nebeneinander einer Gedenkveranstaltung und eines solchen Umzugs mit den Worten: „Wie kann es sein, dass in Frankfurt, wo die Hanau-Gedenkveranstaltung ist, auch ein Karnevalsumzug stattfindet?!“ Die größtenteils völlig unempathischen Kommentare unter dem Tweet bestätigen, dass ihre Beobachtung keineswegs einen inhaltsleeren Zufall dokumentiert.