Von Frank Jansen
Der Name des Internet-Forums ist bezeichnend: Bei „Slavnazi“ schwadronieren russische Rechtsextremisten, mit Decknamen wie „SA-Mann Brand“, „SS88“ oder „Dienststellenleiter“. Die Einträge werden mit Hakenkreuzen und Videos garniert, ein Foto zeigt eine private Kollektion von Kampfmessern. In diesem Ambiente fand sich im Oktober plötzlich Ute Weinmann wieder, die in Moskau lebende Landesbeauftragte für Russland der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“. Ein Neonazi hatte die Adresse der Deutschen und ihres russischen Ehemannes, des linken Publizisten Vlad Tupikin, steckbriefartig veröffentlicht. „Zu meinem großen Erstaunen habe ich festgestellt, dass der Volksfeind Vlad Tupikin und seine Frau in meinem Nachbarhaus wohnen“, hetzte der Rechtsextremist. Und er drohte, „wir kriegen ihn noch“.
Es folgten ähnliche Steckbriefe auf anderen Websites. Sie habe Angst, sagt Ute Weinmann dem Tagesspiegel bei einem Besuch in Berlin. Die 40-Jährige ist seit 1999 für die Aktion Sühnezeichen in Moskau aktiv und betreut derzeit acht deutsche Freiwillige, die in Russland bei Geschichtsprojekten und in sozialen Einrichtungen arbeiten. Der vor 50 Jahren gegründete Verein entsendet Jahr für Jahr junge Menschen in Länder, die mit dem Terror des NS-Regimes konfrontiert waren.
Russische Neonazis verbreiten einen Schrecken, der außerhalb des Landes kaum wahrgenommen wird
Weinmann fühlt sich angesichts der Drohungen in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Erst recht, seitdem Anfang November direkt neben ihrer Wohnungstür ein Keltenkreuz, weltweit Erkennungszeichen ultrarechter Gruppen, in die Wand geritzt wurde. Der Fall zeugt vom Schrecken, den russische Neonazis verbreiten, der aber außerhalb des Landes kaum wahrgenommen wird. Bei rassistischen Angriffen seien von Januar bis August mindestens 68 Menschen getötet und 262 verletzt worden, berichtet das unabhängige Informationszentrum „Sova“, das seit 2002 von Moskau aus den Rechtsextremismus in Russland beobachtet und mit Amnesty International kooperiert. Opfer werden vor allem Ausländer aus Mittelasien, aber auch Nazi-Gegner. Das Ausmaß der Gefahr ist der Berliner Zentrale von Aktion Sühnezeichen bewusst. „Die Bedrohung unserer Mitarbeiterin besorgt uns sehr“, sagt Barbara Kettnaker, Referentin für Russland und weitere Länder. Und sie berichtet, seit 2001 verzichte der Verein darauf, dunkelhäutige Freiwillige nach Russland zu schicken, nachdem ein Deutscher indischer Herkunft in Moskau verprügelt wurde.
An die russischen Behörden wollte sich Weinmann bislang nicht wenden. „Da gibt es Sympathisanten der rechtsextremen Szene“, sagt sie und erinnert an den schwul-lesbischen Aufzug im Mai 2006 in Moskau, den Neonazis attackierten. Eines der Prügelopfer war Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünenfraktion im Bundestag. Beck warf hinterher den Polizeikräften vor, sie hätten die Demonstranten den rechten Schlägern „schutzlos ausgeliefert“.
Weinmann wird jedoch nach ihrer Rückkehr in Moskau mit der deutschen Botschaft sprechen – ohne große Hoffnung auf Hilfe. Doch Russland verlassen will sie nicht. „Ich kann meinen Mann nicht nach Deutschland verfrachten“, sagt sie. Außerdem will sie ihre Arbeit in Moskau nicht im Stich lassen, „ich habe mir doch viel aufgebaut“. Es soll sogar noch mehr werden. Weinmann überlegt, zusammen mit Bürgerrechtlern, eine in Russland bislang nicht existierende Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt einzurichten. Nach dem Vorbild mehrerer Vereine, die sich in Ostdeutschland um Menschen kümmern, die von Rechtsextremisten misshandelt wurden.
Dieser Artikel erschien zunächst im Tagesspiegel vom 24.11.2008. Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung.