
Die ersten Ergebnisse der Arbeitsgruppenprotokolle der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD wirken an vielen Stellen zunächst beruhigend. Die neue Bundesregierung verspricht „Null Toleranz gegenüber Feinden der Demokratie“, erkennt eine „gesamtgesellschaftliche Verantwortung“ zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung an und betont, „demokratische Resilienz“ stärken zu wollen. Das sind wichtige Signale – gerade in Zeiten, in denen autoritäre Kräfte weltweit an Einfluss gewinnen.
Doch wer genauer hinschaut, stellt schnell fest: Die Formulierungen bleiben häufig vage, und die zentralen Instrumente zur Demokratieförderung oder eine Strategie fehlen. Was auf den ersten Blick wie ein starkes Bekenntnis wirkt, entpuppt sich als Sammlung offener Baustellen – teils wegen Blockadehaltung, teils wegen mangelndem strategischem Umsetzungswillen.
Demokratiefördergesetz? Fehlanzeige.
Am deutlichsten zeigt sich das an der wohl größten Leerstelle: Das über Jahre vorbereitete Demokratiefördergesetz findet keinerlei Erwähnung. Dabei sollte es endlich die rechtliche Grundlage schaffen, um Programme wie „Demokratie leben!“ dauerhaft und verlässlich zu finanzieren.
Dass dieser Punkt nicht verankert wurde, liegt nicht nur am mangelnden Problembewusstsein – sondern auch an parteipolitischen Konflikten. Die Berichte aus den Arbeitsgruppen zeigen, wie oft Positionen „strittig“ geblieben sind. CDU und CSU verfolgen in Fragen der Demokratieförderung häufig einen sicherheitspolitisch geprägten Kurs, während die SPD stärker auf Teilhabe und Bildung setzt. Diese Differenzen haben zentrale Vorhaben schlicht blockiert – statt sich darauf zu einigen, dass beide Zugänge ihre Berechtigung haben. Dass beide Parteien dies eingesehen hatten, gab es zuletzt am Ende der letzten Großen Koalition, wo Bundesinnenminister Horst Seehofer zusammen mit Familienministerin Franziska Giffey einen Entwurf für das Demokratiefördergesetz verhandelte. In der Ampelkoalition scheiterte das Gesetz an einem kleinen Kreis von FDP-Abgeordneten.
Auffällig ist auch: Die Arbeitsgruppe 7 „Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie“, die das Thema Demokratie explizit im Titel trägt, hat sich kaum mit demokratiepolitischen Strukturen oder dem Demokratiefördergesetz befasst. Stattdessen dominieren Einzelmaßnahmen und programmatische Verlängerungen. Die viel diskutierte strukturelle Verankerung von Demokratieförderung bleibt ausgeklammert. Das unterstreicht: Selbst dort, wo Demokratie draufsteht, fehlt oft der strategische Unterbau.
„Demokratie leben!“ – mit angezogener Handbremse?
Das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ soll laut Arbeitsgruppe 7, „Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie” zwar weitergeführt werden, doch begleitet von einer „unabhängigen Überprüfung“, deren Zielrichtung unklar bleibt. Warum ein etabliertes und durchevaluiertes Programm erneut evaluiert werden soll, bleibt offen – ebenso wie die Kriterien.
Besonders problematisch: In der Arbeitsgruppe 1, „Inneres, Recht, Migration”, wurde vorgeschlagen, das Programm künftig ins Bundesinnenministerium (BMI) zu überführen. Der entsprechende Satz – „Wir siedeln das Bundesprogramm ‘Demokratie leben’ im BMI an“ – stammt allerdings ausschließlich von CDU/CSU, ist nicht mit der SPD geeint und wurde im Verhandlungspapier blau markiert, also als „strittig“ festgehalten.
Das ist kein unwichtiges Detail. Denn gerade die Frage, wo Demokratieförderung institutionell angesiedelt ist, entscheidet über ihren Charakter. Eine Verlagerung ins BMI, ein klassisches Sicherheitsressort, wäre mehr als ein Verwaltungsakt – es wäre ein Signal, dass Demokratieförderung künftig stärker aus sicherheitspolitischer Perspektive gedacht wird. Zudem wäre das Programm mit dem Umzug über Monate und Jahre lahmgelegt – und auch das kann gerade niemand wollen.
Unklar bleibt auch die Zukunft des BMI-Programms „Zusammenhalt durch Teilhabe“, dass auch in dem AG-Text zur „Bürokratieabbau und Staatsmodernisierung“ als SPD-Vorschlag und als nicht geeint gekennzeichnet wurde – ebenso wie die Errichtung eines Dokumentationszentrums zum NSU-Komplex, für das in der letzten Legislaturperiode bereits ein fertiges Gesetz im Innenausschuss diskutiert wurde.
Antisemitismus und Islamismus: Rhetorisch präsent, praktisch vage – aber mit „Lex Höcke“
Wie vermutet, tauchen Antisemitismus und Islamismus explizit in den Papieren auf. Deutschland bekenne sich zur besonderen Verantwortung gegenüber jüdischem Leben, das Existenzrecht Israels sei „deutsche Staatsräson“. Geplant sind härtere Strafen für antisemitische Hetze, auch in geschlossenen Chatgruppen, sowie Einschränkungen des passiven Wahlrechts für Täter*innen.
Besonders bemerkenswert: Im Rahmen der Resilienzstärkung will die Koalition den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung gesetzlich regeln – eine Maßnahme mit erheblicher demokratiepolitischer Sprengkraft. Wer wiederholt wegen Volksverhetzung verurteilt wird, soll künftig nicht mehr für öffentliche Ämter kandidieren dürfen. Eine „Lex Höcke“? Vielleicht. Aber vor allem: ein überfälliger Schritt, der endlich deutlich macht, dass demokratische Institutionen sich nicht von ihren erklärten Feinden instrumentalisieren lassen dürfen.
Auch Islamismusprävention soll durch eine ständige Task Force im BMI und einen Bund-Länder-Aktionsplan institutionalisiert werden. Das sind zweifellos richtige Schritte. Doch sie bleiben auf der repressiven Seite. Maßnahmen zur Prävention, etwa im Bildungsbereich, in der Jugendarbeit oder durch zivilgesellschaftliche Träger, werden nicht konkretisiert. Hier fehlt es an einem ganzheitlichen Konzept, das gesellschaftliche Ursachen mitdenkt.
Rassismus bleibt ein weißer Fleck
Trotz zahlreicher Bekenntnisse zur Demokratie blendet die neue Koalition das Thema Rassismus in seinen strukturellen und institutionellen Dimensionen weitgehend aus. Weder im Innen- noch im Migrationsbereich finden sich belastbare Maßnahmen zur Bekämpfung rassistischer Diskriminierung – stattdessen dominieren sicherheitspolitische Narrative, die pauschale Problemzuschreibungen gegenüber Migrant*innen und Geflüchteten verstärken. So heißt es im Papier der AG 1: „Wir begegnen importiertem Antisemitismus, Islamismus, anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Gewalt und sonstigen verfassungsfeindlichen Bestrebungen konsequent mit allen rechtsstaatlichen Mitteln.“ Diese Formulierung greift nicht nur zu kurz, sie reproduziert ein gefährliches Narrativ, wonach Geflüchtete primär als Sicherheitsrisiko erscheinen – anstatt strukturelle, auch hausgemachte Rassismusprobleme ernsthaft anzugehen.
Während rassistische Polizeigewalt, institutionelle Diskriminierung oder fehlende Teilhabe marginalisierter Gruppen im Koalitionspapier kaum vorkommen, wird gleichzeitig angekündigt, den Anspruch auf Einbürgerung bei bestimmten Straftaten – etwa im Kontext antisemitischer Äußerungen – zu entziehen. Ein Schritt, der auf den ersten Blick entschlossen wirkt, aber letztlich mit zweierlei Maß misst: Denn Antisemitismus oder Rassismus durch deutsche Staatsbürger*innen wird damit strukturell weniger sanktioniert als jener durch Menschen mit Migrationsgeschichte. Wer es mit der Gleichwertigkeit aller Menschen ernst meint, muss genau solche politischen Schieflagen hinterfragen.
Immerhin findet sich im Papier der AG 7 ein explizites Bekenntnis zur Antirassismusarbeit. So heißt es: „Wir stärken die Förderung von Maßnahmen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus.“ Auch werden Sensibilisierungen in der Jugendhilfe, im Ehrenamt und in der Bildungsarbeit genannt. Doch konkrete Maßnahmen, gesetzliche Rahmenbedingungen oder strukturelle Fördermodelle fehlen – ebenso wie ein klares Konzept, wie die Vorhaben ressortübergreifend verankert werden sollen. Damit bleiben auch diese Ansätze eher punktuell als politisch verlässlich.
Ausländische Einflussnahme: Problem erkannt – Lösung verfehlt?
Besonders heikel ist auch der Abschnitt zur ausländischen Einflussnahme. Das Papier der AG 1 kündigt an: „Wir führen eine Pflicht zur Offenlegung der Finanzierung dieser Vereine und Verbände ein und überwachen diese.“ Gemeint sind Organisationen, „die von ausländischen Regierungen oder mit ihnen verbundenen Organisationen finanziert oder gesteuert werden“.
Das Anliegen ist nachvollziehbar – insbesondere angesichts russischer, chinesischer oder iranischer Einflussoperationen. Doch die Maßnahme birgt Risiken. Denn sie droht, in eine pauschale Misstrauenshaltung gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement umzuschlagen – vor allem dann, wenn nicht klar zwischen autoritärer Einflussnahme und unabhängiger, internationaler Zusammenarbeit unterschieden wird.
Ein Beispiel, warum hier Differenzierung nötig ist: Die tatsächlichen Herausforderungen durch rechtsextreme, antidemokratische Stiftungen aus dem Umfeld der sogenannten Alt-Right in den USA oder durch Netzwerke mit Nähe zum Kreml sind real – aber gerade diese agieren selten über formell als Vereine registrierte Organisationen. Stattdessen nutzen sie lose Netzwerke, Social-Media-Kampagnen oder Frontorganisationen. Eine pauschale Transparenzpflicht gegenüber allen ausländischen Geldgebern löst dieses Problem nicht – sie schafft neue Unsicherheiten für offene, internationale Zusammenarbeit, die in der Menschenrechtsarbeit selbstverständlich ist.
Digitales Gewaltschutzgesetz: Ein Lichtblick in der Netzpolitik
Positiv hervorsticht dagegen der geplante Entwurf für ein Digitales Gewaltschutzgesetz. Ziel ist es, die Rechtsstellung Betroffener von digitaler Gewalt zu verbessern und die Sperrung auch anonymer Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten zu ermöglichen. Plattformen sollen künftig Schnittstellen zu Strafverfolgungsbehörden bereitstellen, damit relevante Daten automatisiert und schnell abrufbar sind. Ergänzend will die Koalition prüfen, ob bei bestimmten Delikten die Angabe von Wohn- oder Aufenthaltsanschriften im Strafverfahren entfallen kann – ein wichtiger Schritt im Sinne von Opfer- und Zeugenschutz.
Gerade in einem politischen Klima, in dem digitale Gewalt zunehmend gegen Engagierte, Journalist*innen oder Kommunalpolitiker*innen eingesetzt wird, ist das ein dringend notwendiger Vorstoß – und einer der wenigen Punkte, an dem die neue Koalition sowohl Problembewusstsein als auch Umsetzungswillen beweist.
Politik ohne Strategie
Der Koalitionsvertrag erkennt viele Herausforderungen – aber er bleibt in der Umsetzung stecken. Teils, weil der politische Wille fehlt. Teils, weil alte parteipolitische Reflexe dominieren. Und teils, weil Sicherheitspolitik zu oft an die Stelle von Demokratieschutz tritt.
In der Summe entsteht der Eindruck einer Politik, die das richtige Vokabular nutzt – aber oft an Struktur und Konsequenz spart. Die Demokratie soll gestärkt, die Resilienz erhöht und die Zivilgesellschaft gewürdigt werden – aber bitte ohne neue gesetzliche Grundlagen, ohne verbindliche Zuständigkeiten, ohne klare Perspektiven für Förderung und Schutz.
Was bleibt, ist die Erkenntnis: Wer die Demokratie stärken will, braucht mehr als schöne Formulierungen. Es braucht Gesetze, Ressourcen – und Mut zur Offensive auch gegen den parlamentarischen Rechtsextremismus.
Die Zitate in diesem Text stammen aus den Abschlussprotokollen der Arbeitsgruppen 1 „Innen, Recht, Migration und Integration“, 7 „Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie“ sowie 9 „Bürokratieabbau“ der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD, Stand 24. März 2025. Veröffentlichung über fragdenstaat.de.