Das Problem der Thüringer Christdemokraten sitzt im schwarzen Anzug hinter einem wuchtigen barocken Schreibtisch, auf dem eine Vorderladerpistole liegt. Der Waffennarr Hans-Christian Köllmer war nach der Wende zunächst in die CDU eingetreten, nun kündigte er an, bei der umstrittenen rechtspopulistischen Wählerinitiative Pro Deutschland mitzumachen ? im Bund mit Rechtsextremisten wie dem Vorsitzenden Manfred Rouhs, dem ehemaligen Mäzen der rechtsextremen DVU Patrick Brinkmann, und dem verkrachten NPD-Multifunktionär Andreas Molau. „Wenn die bei Pro Deutschland sagen, der Köllmer denkt so wie wir, dann ist das in Ordnung“, sagt Köllmer, der in seiner Heimatstadt vor Jahren die Wählerinitiative Pro Arnstadt gegründet hat.
Für den Erfurter Innenminister Peter Michael Huber (CDU) wäre all das kein Problem, wenn der ehemalige Arnstädter Gastwirt nicht Bürgermeister der 25.000 Einwohner in der ältesten Stadt Thüringens wäre. Vielleicht hätte er auch weniger Sorgen, wenn sich die lokale CDU, die Köllmer seit Jahren mitträgt, von ihm distanziert hätte, nachdem der Bürgermeister angekündigt hatte, der „Pro Deutschland in Thüringen zu mehr Geltung zu verhelfen“. Aber die Arnstädter CDU hat das bislang nicht getan, obwohl ihr Minister Huber inzwischen angedroht hat, Pro Deutschland für den Fall durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen, dass „die Initiative in Thüringen Aktivitäten entfaltet“.
In Nordrhein-Westfalen gilt die inzwischen bundesweit agierende Pro-Bewegung längst als ausgemachtes Demokratierisiko. Dort ist die Ursprungs-Initiative Pro Köln angesiedelt sowie die Landesvereinigung Pro NRW, die bei der Landtagswahl am 8. Mai bereits die Konkurrenz der rechtsextremen NPD abgehängt hat. Hubers Düsseldorfer Amtskollege Ingo Wolf (FDP) bezeichnet Pro NRW als „Gefahr für die Demokratie“ ? gerade weil es ihren Mitgliedern immer wieder gelinge, sich als demokratische Kraft aus der gesellschaftlichen Mitte zu inszenieren. Deshalb wurde Köllmer wegen seines Bekenntnisses zu Pro Deutschland heftig kritisiert. Als Reaktion darauf traf er einen kruden Vergleich: „Wird heute wieder ausgegrenzt, wie im Dritten Reich die Juden?“
Dem Vorsitzenden von Pro Deutschland, Manfred Rouhs, gefällt Köllmers Haltung. Er sieht in ihm „großes Potenzial“, denn „schließlich genießt er in Arnstadt hohes Ansehen“. Köllmer denkt sogar darüber nach, für Pro Deutschland als Kandidat bei der Bundestagswahl 2013 anzutreten. Aber vorläufig will er Bürgermeister bleiben ? mithilfe der CDU. „Für uns zählt nur die lokale Politik, was Köllmer darüber hinaus treibt, ist uns egal“, sagt dazu ein CDU-Stadtratsmitglied.
Dass er die im Land mit der SPD regierende Partei durch sein Bekenntnis zu Pro Deutschland gegen sich aufbringen könnte, kommt dem selbstbewussten Bürgermeister nicht in den Sinn. „Hier in Arnstadt knurrt sie ein bisschen, aber hier sind die Gemeinsamkeiten sehr groß.“
Bei öffentlichen Auftritten mit CDU-Granden machte der smarte ältere Herr Köllmer stets eine gute Figur ? ob mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus oder dem ehemaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Der Mann mit der schlohweißen Fönfrisur ist ein guter Gastgeber, der keine Gelegenheit auslässt, für seine „Bachstadt“ zu werben. Gegenüber vom Rathaus steht die Neue Kirche, in der Johann-Sebastian Bach einige Jahre lang als Organist wirkte. Daraus destilliert Köllmer einen zuckrigen Lokalstolz, mit dem er die Stadt überzieht. Oft ist bei ihm von „Heimattreue“ die Rede, und von „Urarnstädtern“, die sich vornehmlich in seiner Wählerinitiative Pro Arnstadt organisierten.
Köllmer bezeichnet sich selbst als „national“, gegen den Begriff „Rechtspopulist“ wehrt er sich nicht. „Ja, ich bin rechts, ein Populist auch, nämlich volksnah“, sagt er. Und dann erzählt er von einem, den er stets bewundert hat: den verunglückten österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider. „Der hat mir schon imponiert, auch seine Aussagen“; er findet es gut, dass Haider das Österreichische in seiner Politik immer zuoberst gestellt habe.
Zu Köllmers engsten politischen Freunden gehört Siegfried Kampl, sein Amtskollege aus der Partnerstadt Gurk in Kärnten. Kampl ist ein früher Weggefährte von Jörg Haider, auch ein „Nationaler“, über den Köllmer Kontakt zur rechtspopulistischen FPÖ hält. Sie gehört zu den Partnerorganisationen von Pro Deutschland, die sich als Teil eines rechtspopulistischen europäischen Blocks sieht, der in einigen europäischen Ländern tatsächlich im Aufwind ist. Etwa in Frankreich, Belgien, Spanien und den Niederlanden. Nur in Deutschland noch nicht, weil es der Bewegung hier an lokalen Potentaten wie Hans-Christian Köllmer bislang fehlt.
Für den Arnstädter Pfarrer Michael Damm ist der Bürgermeister ein „geistiger Brandstifter“. Köllmer gebe Rechtsextremisten Auftrieb, und grenze andere aus. „Wenn ich rechts bin, weil ich meine Heimat liebe, dann bin ich halt rechts“, sagt Köllmer dazu. Auf die Frage, was denn die ausländerfeindliche Idee von Pro Deutschland mit Arnstadt zu tun habe, wo es kaum Ausländer gibt, sagt er vielsagend: „Wehret den Anfängen!“ Andere Fremde als Touristen möchte Köllmer in seiner Stadt nicht dulden. Dafür aber heimatliche Neonazis, die ihm ihrerseits in der NPD-Zeitung Bürgerstimme huldigen ? als „stets um Korrektheit bemühten Bürgermeister“.
Im vergangenen Jahr fand in Arnstadt der sogenannte „Thüringentag der nationalen Jugend“ statt, der größte jährliche Aufmarsch der landesweiten gewaltbereiten Neonaziszene. Üblicherweise wenden sich Bürgermeister gegen solche Veranstaltungen, denen dann allenfalls ein liebloser Platz am Stadtrand zugeteilt wird. In Arnstadt dagegen fand der „Thüringentag“ ? unter Köllmers Billigung ? im zentralen Schlosspark statt. Und das Stadtecho, das maßgebliche lokale Anzeigenblatt, das von einem Parteigänger aus dem engen Umfeld von Köllmer herausgegeben wird, feierte den Aufmarsch der „nationalen Kameraden“ als einen Sieg der Meinungsfreiheit. Nach Kölmmers politischem Outing veröffentlichte das Blatt großflächig Auszüge aus dem Programm von Pro Deutschland, wähnte den Bürgermeister einer „Hetzkampagne“ ausgesetzt, und bietet überdies justizbekannten Neonazis und verurteilten Volksverhetzern wie Patrick Wiedorn, einem der der Thüringentag-Aktivisten, und Joachim Siegerist, einem rechtslastigen Publizisten, ein Forum für ihre Ideologie.
Köllmer herrscht mittels einer eigenen lokalen Öffentlichkeit. Auch deshalb hatte ein Abwahlantrag keinen Erfolg, den SPD und Linke in den Stadtrat eingebracht hatten. In Arnstadt hat der nationale Bürgermeister viele Unterstützer.
Dieser Text erschien zuerst bei ZEIT Online am 10.06.2010. Mit freundlicher Genehmigung.