Es ist schon ein halbes Jahr her, dass die radikal-islamistische Hamas vom Gazastreifen aus ein Waffenstillstandsabkommen mit Israel gebrochen hat. Mitglieder der Qassam-Brigaden, von Angehörigen verbündeter palästinensischer Milizen ergänzt, überwanden die Grenzposten und Sperranlagen zwischen Gaza und Israel und drangen erfolgreich in das Land vor. Etliche Terroristen landeten zudem via Paragliders. In zahlreiche Kibbuzim richteten sie Blutbäder an, das Konzertgelände des Rave-Festivals in Reʿim wurde binnen Sekunden in ein Schlachtfeld verwandelt. Nach aktuellem Kenntnisstand wurden bei dem Angriff ca.1.200 Menschen in Israel getötet. Weitere Hunderte wurden vergewaltigt, verstümmelt und verschleppt. Der Tag 7/10, Israels 9/11, ging in die Geschichtsbücher als der schlimmste Massenmord an Jüdinnen*Juden nach dem Holocaust ein. Doch damit nicht genug: Im Anschluss an den Überfall wurden zivile Bevölkerungszentren in Israel von den Qassam-Raketen der Hamas massiv beschossen.
Weite Teile der Weltgemeinschaft stellten Israel übergangslos an den Pranger. Als angeblicher „Apartheidstaat“, als vermeintliche „Kolonialmacht“. Dass Ministerpräsident Benjamin Netanyahu dann, drei Wochen nach 7/10, die Gegenoffensive Eiserne Schwerter startete, wurde zudem als Beweis israelischer Aggressivität bewertet. So ließ der Vorwurf des Völkermords nicht länger auf sich warten.
Mittlerweile seien 33.000 Menschen ums Leben gekommen vermeldet das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium Gazas am 7. April 2024, macht bei den Zahlen allerdings keinen Unterschied zwischen Zivilist*innen und Kombattant*innen. Laut Angaben der israelischen Armee seien 14.000 Terrorist*innen in Gaza getötet worden. So oder so ist es unbestreitbar, dass Tausende Zivilisit*innen infolge der Kampfhandlungen verstorben sind. Reicht das jedoch, um Israel des Genozids zu bezichtigen? Denn für Genozid im juristischen Sinne des Wortes gibt es spezifische Tatbestandsmerkmale, die trotz aller Emotionalität nicht immer erfüllt werden.
Dabei wiegt die Frage der Absicht schwerer als die schiere Zahl der Getöteten. Hinzu kommt, dass die Hamas – auf völkerrechtswidrige Weise – ihre eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde benutzt und zivile Krankenhäuser sogar als Kommandozentralen missbraucht. Diese ärgerlichen Tatsachen hielten die erklärte Regenbogennation Südafrika jedoch nicht davon ab, den jüdischen Staat kurz vor Jahresanfang vor Gericht zu ziehen.
Unklarheiten bei Gericht
In der Gesellschaft herrscht allerdings weitgehend Unklarheit über das zu ziehende Zwischenfazit und es summieren sich fachlich falsche Annahmen die in die Alltagsdiskussion und Debatten Einzug halten. Sogar bei solidarischen Stimmen herrscht die Meinung, Israel sitze nun im „Kriegsverbrecher-Prozess“ auf der Anklagebank. Misinformationen gibt es auch in der Presse. Der Spiegel berichtete im Januar, noch vor dem Auftakt des Verfahrens: „Israel weist Anklage wegen Völkermords zurück.“ Die Schlagzeile ist bedenklich irreführend, da der Begriff „Anklage“ an der Stelle fehl am Platze ist.
Eine „Anklage“ gegen Israel gibt es bisher gar nicht. Südafrika hat Klage gegen Israel eingereicht, und zwar beim Internationalen Gerichtshof (IGH) und nicht beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Es handelt sich also keineswegs um ein Strafverfahren gegen Israel. Bei der Einreichung der Klage hat Südafrika genaugenommen Eilanträge gestellt, um Israel an der Durchführung der Gegenoffensive in Gaza zu hindern. Der Klage wurde stattgegeben, aber in der Sache hat der IGH noch kein Urteil verkündet. Dabei erließ das Gericht die einstweilige Anordnung an Israel, Maßnahmen zu ergreifen, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen. Dem weitergehenden Antrag Südafrikas, einen sofortigen Stopp israelischer Kampfhandlungen in Gaza anzuordnen, wurde vom IGH nicht stattgegeben. So darf Israel den Militäreinsatz in Gaza weiterhin fortsetzen, wenn auch unter den obenerwähnten Auflagen. Denn bislang wurde in Gaza noch kein Genozid juristisch festgestellt.
Eine „harte Autokratie“ klagt an
Ungeachtet dessen erhob Nicaragua Anfang März in Den Haag Klage gegen Deutschland, und zwar wegen der „Verletzung der Völkermord-Konvention“. Denn durch Waffenlieferungen an Israel leiste die Bundesrepublik „Beihilfe zum Völkermord“ an den Palästinenser*innen. Für diesen auf alle Fälle konsequenten Schritt erhält Nicaragua viel Lob aus linken, israelkritischen Kreisen. Währenddessen berichtet die NGO Reporter ohne Grenzen besorgt über Morddrohungen, Hetzkampagnen und willkürlichen Festnahmen seitens der Regierung in Nicaragua. Das mittelamerikanische Land wird zudem von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) als „harte Autokratie“ bezeichnet. In der globalen Demokratie-Matrix der DFG rangiert es auf Platz 160, hinter Diktaturen wie Katar, Belarus und Tadschikistan. Aber immerhin vor dem Gaza-Streifen, der weiter weg auf Platz 169 liegt.
Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz fünf und wird, wie auch Israel auf Platz 30, als „funktionierende Demokratie“ bezeichnet. Südafrika, von Korruption arg gebeutelt, liegt als „defizitäre Demokratie“ übrigens auf Platz 47. Ausgerechnet Südafrika, mit seinen hohen Mord- und Vergewaltigungsraten, hat es in Den Haag irgendwie versäumt, die Hamas wegen ihrer – von der UNO bestätigten – systematischen sexualisierten Gewalt zu verklagen. Eventuell war die südafrikanische Regierung so sehr beschäftigte mit Staatsbesuchen, dass sie die brutal geschändeten Frauen vergessen hat. Denn noch im November und Dezember 2023 nahmen hochrangige Mitglieder der Hamas an der Gedenkzeremonie für Nelson Mandela teil.