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Kommentar Beschämende Relativierungen

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

In Toulouse hat ein Islamist kalten Herzens Morde begangen. Erst erschoss er Soldaten und einige Tage später tauchte er vor einer jüdischen Schule auf und richtete drei kleine Kinder und einen Lehrer hin. Eines packte er mit der einen Hand am Zopf und mit der anderen schoss er ihm in den Kopf. Dabei filmte er das Ganze: Die Schreie, die Schüsse und den Tod. Die Reaktionen auf diese antisemitische Tat waren erstaunlich. Und auch traurig. Die (damalige) Außenbeauftragte der EU, Frau Ashton, beeilte sich, den Mord an diesen jüdischen Kindern in den Kontext aller möglichen Gewalttaten zu stellen, um am Ende bei dem Leid der Kinder in Gaza anzukommen. Das war ein antisemitischer Reflex, der immer auftaucht, wenn es um jüdische Opfer geht. Die Abwehr von Empathie und Trauer um die Opfer dieses Verbrechens, die zwanghafte Überleitung zum Nah-Ost-Konflikt, in dem die Rollen klar und immer gleich verteilt sind: Israel=böse, Palästina=gut. Und zwar immer und ohne Abstriche, das sich auch nicht durch feigen Mord für einen Moment auflösen lässt. Dieses andauernde Relativieren ist furchtbar. Es ist gefühllos und aggressiv.

Ebenso furchtbar sind die Reaktionen auf rassistische Morde. Ob es nun um den jungen Schwarzen Trayvon Martin geht, der in den USA aus rassistischen Gründen erschossen wurde oder die Opfer der NSU – jedes Mal schreit nur ein Teil der engagierten Gesellschaft auf. Und der andere schweigt. Oder relativiert auf beschämende Art und Weise. Gerade bei den rassistischen Tatmotiven auf der einen und antisemitischen auf der anderen Seite ist das so. Wenn etwas Furchtbares passiert, geht ein Schrei durch die schwarze oder/und türkische Community und denjenigen weißen Deutschen, die sich dem Thema Rassismus verbunden fühlen. Ein anderer Schrei geht durch die jüdische und israelische Community und denjenigen ebenso weißen Deutschen, die sich hier engagieren. Ein Schrei hier in dieser Gruppe, ein Schrei da in jener. Die Minderheiten untereinander verständigen sich meist über ihre jeweiligen Sorgen. Das jeweilige deutsche Umfeld hingegen nicht. In einer Art Stellvertreterrivalität darüber, welches die wahren Opfer sind, treten sie gegeneinander an.

Den Nazis und den Verdrängern entgegentreten

Es gibt aber noch eine Gruppe, deren Brutalität und Kälte sich mit den anderen messen kann: die Verleugner. Sie sehen weder das eine noch das andere. Bei ihnen ist alles paletti; da gibt es weder Neonazis noch andere Rassisten oder Antisemiten. Was immer geschieht, Hass, Prügel, Mord: Verleugnen ist die einzige Reaktion. Entweder kamen die Täter nicht „von hier“ oder die Opfer sind selbst schuld oder es ist einfach nicht passiert. Ich rede nicht von der ostdeutschen Provinz in diesem Fall, sondern von Schleswig-Holstein. Das Bundesland befindet sich in der westdeutschen Statistik bei rechtsextremen Gewaltstraftaten immer an oberer Stelle im Verhältnis zur Einwohnerzahl und niemand merkt’s. Im Osten sind die militanten Kameradschaften, wie es sie gerade in Schleswig-Holstein gibt, längst auch Thema in den Wahlkämpfen. In Kiel kommt man, bis auf wenige Ausnahmen, ohne aus. Doch geht es nicht um den Wettstreit ob nun der Osten oder der Westen hier mehr Probleme hat, sondern um die Varianten einer bemerkenswert hartherzigen Kälte gegenüber Menschen, die Opfer ideologischen Hasses werden.

Was man da tun kann? Im Fall von Antisemitismus und Rassismus sollte das gegenseitige Relativieren, das gegeneinander Ausspielen aufhören! Es ist unwürdig für alle Beteiligten. Im Fall der allgegenwärtigen Verleugner hilft nur, ihnen so kräftig wie möglich auf die Füße zu treten. Es kann sich etwas ändern; andere haben es vorgemacht. Schauen wir also mal gezielter auf Schleswig-Holstein in der nächsten Zeit und unterstützen diejenigen vor Ort, die dort den Nazis und den Verdrängern entgegentreten.

Aber bitte: ohne selbst zu verdrängen oder zu sortieren, wer unser Mitgefühl verdient und wer nicht. Rassismus und Antisemitismus sind nicht dasselbe, dennoch verdient beides unsere klare Ächtung. Wer hier Empathie zuteilt, den einen ja, den anderen nein, selektiert. Und diese Rolle steht niemandem zu. Besonders nicht in Deutschland.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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