„Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“. Diese Naziparole skandierten Teilnehmer des Landesparteitages der AfD Bayern am ersten Januarwochenende öffentlich in einer Disko in Greding. Unter den „Feierenden“ waren auch Landtagsabgeordnete der AfD. Im ARD-Magazin „Bericht aus Berlin“ wollte sich der Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, davon nicht distanzieren, er rechtfertigte sogar die Parole. Baumann gilt als einer der „Gemäßigten“ seiner Partei. Auf demselben Landesparteitag hatte der Spitzenkandidat der AfD Bayern bei der letzten Landtagswahl, Martin Böhm, unliebsame Parlamentarier*innen mit Karnickeln verglichen, denen man einen „Nackenschlag“ versetzen müsse. Der Nackenschlag ist eine traditionelle Methode im Zuge der Schlachtung von Kaninchen. Szenen eines ganz normalen Parteitages der AfD. Wenn die AfD sich so in aller Öffentlichkeit geriert, dann bedarf es nicht viel Fantasie um zu erahnen, was bei internen Strategietreffen passiert.
Die Correctiv-Recherchen über Deportationspläne von rechtsextremen Netzwerken im Umfeld der AfD haben für viel Aufsehen gesorgt. Die einen sind überrascht, wie konkret die rechtsextreme Partei bereits ihre Pläne für den Tag nach der Machtübernahme konkretisiert hat und wie breit die Netzwerke sind: Personen aus der Wirtschaft, aus der Werte Union, der CDU und (ehemalige?) Nazischläger nahmen an dem Strategietreffen teil. Andere sind über diese Überraschtheit überrascht. Dass die AfD viele Deutsche als „Passdeutsche“ zu Bürgern zweiter Klasse degradiert und diese teils auch aus Deutschland entfernen lassen möchte ist nichts Neues. Schon 2017 sagte der AfD-Ehrenvorsitzende und damalige Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Alexander Gauland, man werde die stellvertretende SPD-Vorsitzende und damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, in Anatolien „entsorgen“. Das war kein sprachlicher Lapsus, es ist die konkrete Ausformulierung der AfD-Ideologie.
Das Institut für Menschrechte belegte 2023 in einer Studie anhand von Äußerungen Björn Höckes, dass es ihm und anderen in der AfD darum geht, auch unliebsame Deutsche nötigenfalls mit Gewalt aus dem Land zu entfernen. „Wohltemperierte Grausamkeit“ lautet Höckes Begriff dafür. Das Institut kam zum Schluss: In der AfD setzt sich zunehmend „der insbesondere von Björn Höcke vorangetriebene Kurs durch, der sich an der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus orientiert“. Daher scheinen die Reaktionen auf die Correctiv-Recherchen mit Großdemonstrationen bundesweit auch die AfD zu überraschen. Bei dem Treffen in Potsdam habe man doch nur das besprochen, worüber die Partei seit Jahren redet – warum regen sich jetzt alle so auf?
Ein Grund dürfte auch darin liegen, dass viele Demokrat*innen insgeheim hofften, das Problem erledige sich von alleine, die AfD sei eine Partei ohne wirkliche Machtoption. Weit gefehlt: Nach dem Landrat in Sonneberg und Oberbürgermeister in Pirna könnte die AfD demnächst vielleicht sogar einen Ministerpräsidenten stellen. In Thüringen und Sachsen ist das nicht mehr ausgeschlossen. Zudem bröckelt die nie richtig bestandene Brandmauer der demokratischen Parteien.
Neben der direkten Machtoption, gibt es die indirekte. Sie lautet: „AfD wirkt“. Der Machtgewinn im politischen Raum geht seit längerem einher mit einer Zunahme rassistischer, menschenfeindlicher Diskurse – auch bei den demokratischen Parteien. Menschen die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, sitzen teils schon lange auf gepackten Koffern. Manche haben Deutschland schon verlassen. Viele Deutsche mit Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft besorgen sich, wenn noch nicht vorhanden, einen Zweitpass. Diese Überlegungen Deutschland den Rücken zu kehren, wie vom thüringischen Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer, bejubelt die AfD.
Auch aus der Debatte um das Geheimtreffen in Potsdam will die extreme Rechte Kapital schlagen und weiter Rassismus schüren: Das Treffen benennt sie auf Social Media gerne als „Geh Heim Treffen“. Dass „Remigration“ das Unwort des Jahres geworden ist, sieht die Identitäre Bewegung um Martin Sellner als „großen metapolitischen Erfolg“ und AfD & Co statten ihre Profilbilder auf SocialMedia mit dem Logo „Team Remigration“ aus. In verschiedenen Landtagen setzen AfD-Fraktionen das Thema „Remigration“ auf die Tagesordnung. Dennoch verunsichert der Aufschrei und beginnende Aufstand der demokratischen Zivilgesellschaft die Partei – und zwar massiv. Der Rausschmiss von Weidel-Berater Roland Hartwig ist dafür nur der offensichtlichste Beleg. Innerparteiliche Gräben, die durch den Erfolg der letzten Monate überdeckt wurden, drohen wieder aufzubrechen. Noch hält die Parteidisziplin. Was Teile der AfD besonders nerven dürfte: Mögliche Pläne mit dem rechten Rand der CDU oder auch FDP nach der Landtagswahl eine Übereinkunft über ein Koalitions- oder Tolerierungsmodell zu finden, sind erheblich schwieriger geworden.
Auch deshalb wärmt die AfD alte Erfolgsrezepte auf: Sie versucht das Treffen und dessen Inhalte zu verharmlosen. So wurde im Umfeld der Partei ein Kurzvideo geteilt, in dem Sebastian Münzenmaier, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion im Bundestag, ausgerechnet die von der AfD gehasst Bundeszentrale für politische Bildung zitiert und sich deren Definition von „Remigration“ taktisch zu eigen macht. Die österreichische Rechtsextremismusexpertin Judith Goetz hat jüngst im österreichischen Standard aufgeschrieben, wie dieser Begriff aus der NS-Exilforschung zu einem identitären Kampfbegriff mit völlig anderen Inhalt wurde. Jetzt tun einige AfDler so, als hätte er für sie seine Bedeutung nie verändert. Auch Björn Höcke wirkt dünnhäutig: Jeden Tag kommen neue Verschwörungserzählungen von ihm, warum in Deutschland jetzt gegen Rechtsextremismus demonstriert wird. Ratlosigkeit und teils Angst vor Bedeutungsverlust ist bei der AfD spürbar. Damit sollte die Zivilgesellschaft sich aber nicht begnügen. Also was tun? Die AfD verbieten?
Eine Demokratie braucht auch Handlungskonzepte wie sie mit Feinden der Demokratie umgeht. Eine Einordnung einer Partei als „gesichert rechtsextrem“ kann man sich sparen, wenn sie keine Konsequenzen nach sich zieht. Trotz der Frustrationen aus zwei gescheiterten NPD-Verbotsverfahren, muss ein solches eine Option bleiben – für eine Demokratie, die sich nicht abwickeln lassen will. Ein Verbotsverfahren dauert lange – und das ist gut so, und einer Demokratie würdig. Die Debatte darum, das Pro und Contra kann politischen Mehrwert bringen und die Demokratie stärken.
Aber es gibt mehr Optionen als ein Parteienverbot: Demokratie bleibt Handarbeit. Es ist zu hoffen, dass sich aus den Demonstrationen eine breite demokratische Basisbewegung herausbildet, die die Zivilgesellschaft vor Ort stärkt. Alle sind aufgerufen zu überlegen, wie wir unsere Demokratie gestalten wollen, wie die Bürger*innen wieder das Gefühl bekommen, dass es auf sie ankommt. Die Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus sind auch ein Misstrauensvotum gegen die Regierung und die Opposition im Bund. Diese sagen seit Jahren und jetzt auch wieder, das Problem mit dem (parlamentarischen) Rechtsextremismus müsse politisch gelöst werden. Aber sie haben keine Konzepte! Darum sind die Bürger*innen auf der Straße, um das Heft des Handelns in die eigene Hand zu nehmen. Die demokratische Zivilgesellschaft braucht jetzt einen langen Atem, gute Ideen damit die AfD, damit die extreme Rechte zunehmend in die Defensive gerät. Es kommt wirklich auf alle an.