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Kommentar Die DDR war in jeder Hinsicht grau

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Anetta Kahane ist Senior Consultand und ehemalige Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung.

Das alles sind Fragen, die zu stellen und zu beantworten nicht immer so einfach waren anlässlich des anderen 9. Novembers, das der Pogrome von 1938. Die Zeugen jenes Tages haben entweder gar nicht oder nur knapp überlebt, oder sie hatten Grund zu schweigen, zu verharmlosen oder zu lügen. Was für eine Erleichterung ist es also, sich gegenseitig die Fragen zum November 1989 einfach so stellen zu können und über Freiheit, deutsche Einheit und ihre Alltagsfolgen zu räsonieren. Oder zu schimpfen. Und sich anzuschauen, was aus der Skepsis, was aus den Träumen geworden ist.

Ich kann Ihnen ziemlich genau sagen, welche Träume ich hatte. Die DDR war in jeder Hinsicht grau. Ich empfand dieses Grau nicht als malerisch in seinen ausdifferenzierten Tönen, die mitunter auch andere Kolorierungen ahnen ließen. Für mich bedeutete das Grau einfach nur die erzwungene Negation aller anderen Farben. Die Farben der Freude, des Zweifels, der Neugier, der Hoffnung und auch die der Trauer. Das Grau war der Imperativ vor jedem Gedanken an ein kosmopolitisches Leben, das ich mir für mich und für die Gesellschaft um mich herum so sehr wünschte. Das wollte ich! Ausgerechnet das Kosmopolitische, das in der DDR mit gutem Grund als DAS ideologische Schimpfwort galt. Ich wollte in einem Land leben, in dem es selbstverständlich Menschen unterschiedlichster Herkunft gibt, die nach gleichen Maßstäben behandelt und respektiert werden, in einem Land, das nach innen und in der Welt auf Ethnisierung, Rassismus und Antisemitismus verzichtet, weil dies dem Kern der Demokratie widerspricht. Das sind natürlich nur Worte und Formulierungen, die ich im Laufe der Zeit gelernt habe. Was ich wollte, war einfach nur Freunde zu haben, ganz verschiedene und Menschen auf den Straßen, die alle ihre Farben von Glück oder Trauer tragen können, ohne einander deswegen auszuschließen. Deutsch oder nicht-deutsch, das sollte egal sein können. Das klingt etwas kitschig, ich weiß. Aber so sind Träume nun mal.

Am Kosmopolitischen arbeiten wir noch

Gemessen daran könnte man nach 20 Jahren Bilanz ziehen und in die Zukunft schauen. Dafür brauchen wir den Sinn für Realität. Realität ist, dass die Mauer fiel, weil es Gorbatschow gab, weil das Grau die Wirtschaft aufgefressen hatte und Tausende, wie z.B. Kevin aus Leipzig oder Cindy aus Marzahn, die Nase voll hatten. Die waren gegen den Staat DDR, aber deswegen noch lange nicht Opposition oder gar Demokraten. Eine politische Opposition gab es auch, doch die dachte nicht an so etwas wie Ausländer, Minderheiten, Kosmopolitismus. Sie sollte besonders deutsch sein: DDR-deutsch, aber besser als vorher. Auf einem dritten Weg sozusagen. Heute wird Gorbatschow in Russland gehasst, die Wirtschaft im Osten malt mehr weiße Flächen als bunte Flecken auf die Landkarte und die alles entscheidende Cindy aus Marzahn hat im Fernsehen eine großartige Karriere als Comedian gemacht.

Und das Kosmopolitische? Nun, wir arbeiten dran. Im 20. Jahr nach dem Mauerfall wurde eine schwarz-gelbe Regierung gewählt, der man ruhig zumuten darf, dass auch sie realistisch handelt. Und dazu gehört eben, wahrzunehmen, dass es nach wie vor besonders im Osten und zunehmend auch im Westen No-Go-Areas gibt, in denen Nazis das Sagen haben. Dass Menschen umgebracht werden, weil sie nicht „arisch“ aussehen oder leben. Und dass Rechtsextreme erfolgreich versuchen, alles Kosmopolitische – auch wenn es noch so bescheiden wächst – aus dem Alltag zu drängen. Dazu braucht die neue Regierung gewiss eine Menge Souveränität, denn diese Entwicklung ernst zu nehmen ist nicht sehr populär. Nun, im neuen Koalitionsvertrag steht, man bemühe sich, gegen jede Form von Extremismus – auch Linksextremismus, Antisemitismus und Islamismus – aktiv zu werden. Ich muss ehrlich zugeben: mir gefällt die Idee. Die Frage ist nur, wie ernst ist sie gemeint? Linksextremismus ist, wie alle antidemokratischen und anti-kosmopolitischen Ideologien, widerlich und menschenverachtend. Und Islamismus, also der politische, militante und antisemitische Fundamentalismus des Islam, sowieso. Doch es liegt auf der Hand, dass beides anderer Methoden und Maßnahmen bedarf als diejenigen, die bei der Eindämmung des rechtsextremen Milieu- und Stimmungspakets in der Sächsischen Schweiz oder Ostvorpommern helfen, um nur zwei Regionen zu nennen.

Eine offene und demokratische Gesellschaft als Ziel

Wenn also die Bundesregierung das alles zusammen denken und bekämpfen will, dann muss sie gegen Ethnisierung, Rassismus und Antisemitismus bei allen gleichermaßen vorgehen. Und das ginge am besten, wenn sie ein Ziel beschreiben würde und nicht nur die Zielgruppen. Menschenrechtspolitik könnte man das nennen, mit dem Ziel einer offenen und demokratischen Gesellschaft, in der es niemandem, egal ob deutsch oder nicht-deutsch, unabhängig von der Farbe der Haut oder der persönlichen Haltung zur Religion, erlaubt ist, andere zu hassen, zu beleidigen, zu verletzen oder gar zu töten, weil sie anders leben, glauben oder aussehen als sie selbst. Dabei soll es keine Privilegien geben, weder für „Herkunftsdeutsche“ noch für Einwanderer, weder beruhend auf „angestammte“ Rechte noch auf so genannte kulturelle Besonderheiten, weder auf Tradition dieser noch jener Art, wenn sie dem Ziel einer libertären Gesellschaft entgegen stehen.

Das klingt doch ganz gut, oder? Lassen Sie uns hoffen, dass es so gemeint ist und nicht ein dem national-ethnischen Gedanken verbundener Gemeinplatz mit Worthülse sein soll, der genau für diese kosmopolitische Gesellschaftspolitik im Grunde nicht so viel übrig hat. Wäre es nicht großartig und „Wahnsinn!“, wenn auch diese deutsche Mauer endlich fallen würde? Aber vielleicht können wir uns dafür einen Feiertag im Frühjahr aussuchen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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