Gewiss – Institutionen wehren sich gegen jede Veränderung, so ist ihr Wesen. Gerade staatliche Einrichtungen oder Behörden bringen jeder Art von Wandel erstaunliche Hartnäckigkeit entgegen. Mit der Gesellschaft ist es ähnlich. Nur langsam stellt sie sich auf Entwicklungen ein. Besonders in Deutschland und ganz besonders den Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Migration. Nun ist es aber eine Tatsache, dass die Einwanderer von einst die Bundesbürger von heute sind. Die Gesellschaft hat sich in der Geschwindigkeit geändert die man spürt, wenn man ein Baby eine ganz kurze Weile nicht gesehen hat. Bei einem Besuch krabbelt es durch die Wohnung, beim nächsten schon geht es zur Schule und kurz danach trifft man es als Kollegin im Büro nebenan. Gerade erst redete die Politik von Gastarbeitern, kurz danach kam schon das Wort Migrant auf und schwups laufen in Berlin zwei Bundeswehrsoldaten, die miteinander gepflegt türkisch-berlinern durch den Kiez.
Dass so etwas noch auffällt zeigt, wie langsam die Mühlen mahlen. Aber immerhin gehört es zum Stadtbild. Kinder aus Einwandererfamilien sind hier durch die Stuben gekrabbelt und während die Politik zu den Wahlkämpfen die Überfremdungsfahne hochzieht, sind diese Kinder Schüler, Studenten und Kollegen geworden. Gegen den Widerstand hartleibiger Behörden, Institutionen und veränderungsunwilligen Strukturen.
Die Politik ist noch nicht in der Einwanderungsgesellschaft angekommen
Die Politik – das hat das Debakel um die Morde des NSU und das skandalöse Staatsversagen gezeigt – ist noch immer nicht in der Einwanderungsgesellschaft angekommen. Weder die ordnungspolitischen Organe wie Polizei und Verfassungsschutz haben die veränderte Gesellschaft in ihrem Handeln zur Kenntnis genommen – ein nach dem NSU-Debakel besonders schmerzlicher Umstand, noch ist die Bildungspolitik- und Praxis darauf eingestellt, dass sich die Welt geändert hat und Migration und Vielfalt das Leben bestimmen. Da Rassismus und andere Arten von Abwehr dieser Realität nicht ernst genommen werden, stagniert die Entwicklung. Und wenn sie stagniert, erhöht sich der Abwehrdruck. Dieser fatale Kreislauf muss irgendwann unterbrochen werden. Vielleicht sind die Berichte des Untersuchungsausschusses des Bundestages zum NSU und der Prozess gegen Beate Zschäpe Anlass für ein Umdenken. Wenigstens ein wenig.
Doch zurück zur Wahl. Jede neue Regierung wird sich damit beschäftigen müssen, dass in einer Gesellschaft mit mehr Vielfalt Rassismus ein echter Störfaktor wird. Ob die nächste Regierung nun versuchen wird, dem mit Aussitzen beizukommen oder doch mit vernünftigen Programmen, wird nur zu einem Teil an den Wahlurnen entschieden. Es ist auch eine Sache der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit. Denn egal wer regiert, wir werden in jedem Fall den Prozess voranzutreiben wissen. Wir werden genauso hinschauen wie wir es bisher getan haben. Wir werden eine Art Task Force bilden und prüfen, ob Bund und Länder ihre Aufgaben ernst nehmen, ob sie mit dem Steuergeld in Sachen Bekämpfung des Rechtsextremismus und Rassismus wirklich effektiv arbeiten. Das gilt besonders für die Sicherheitsorgane, deren vornehmste Aufgabe es sein wird, endlich die Realität der Einwanderungsgesellschaft anzunehmen. Nix Döner und Bosporus und alle anderen Formen von Rassismus in Amtsstuben und Oberstübchen, sondern eine Gesellschaft, die sich in einer Sache einig ist: Rechtsextremismus und Rassismus nicht mehr einfach so hinzunehmen!
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).