Vor einigen Tagen erschien eine Studie der „Volkssolidarität“ über Ostdeutsche und ihre Einstellungen. Von allen Ergebnissen schmerzte wohl am meisten: 41% der Befragten zeigten deutlich „ausländerfeindliche“ Einstellungen. Wobei hier eher von rassistischen Haltungen gesprochen werden muss. Wir alle wissen, es geht hier nicht um die Art des Passes, sondern viel mehr um die Farbe von Haut und Haaren. Die Reaktionen auf die Studie waren vorhersagbar: im Westen fühlte man sich bestätigt, im Osten missverstanden. Ja, Himmel noch eins – gibt es denn gar nichts, was in der Frage Ost und West verbindet? Doch, es gibt einiges.
Anfang des Monats wurde in einem Dresdner Gerichtssaal eine Frau ermordet. Achtzehn mal stach der Täter vor den schockstarren Augen aller Anwesenden zu (zählen Sie mal bis achtzehn, um einen Eindruck für die Zeit während der Tat zu bekommen). Der Ehemann eilte zur Hilfe. Polizisten kamen herbei und – in Verkennung der Situation -schossen sie auf den Ehemann, nicht auf den Täter. Aktionismus als Gegenteil von Katatonie, Rassismus als Gegenteil professioneller Sorgfalt?
Die Ermordete war das 143. Opfer rassistischer Gewalt seit der Vereinigung. Schlimm genug, doch Gegenstand der zögerlich einsetzenden Berichterstattung war eher die Tatsache, dass sie, die promovierte Pharmazeutin aus Ägypten, ein Kopftuch trug, als dass eine solche Tat überhaupt geschehen konnte. Und dies in einem deutschen Gerichtssaal. Kopftuch oder nicht, die einen reklamierten Marva E. als Opfer wachsender Islamophobie und versuchten diesen Umstand für ideologische Gefechte zu missbrauchen – als Beweis oder Gegenbeweis dafür, dass der Islam unterdrückt oder gefährlich sei. Und es wurde zynisch spekuliert, was gewesen wäre, wenn der Mord jeweils eine säkulare arabische Frau, eine Jüdin, eine Schwarze oder eine „Deutsche“ getroffen hätte. Auch die Herkunft des Täters stand bei diesem Aspekt zur Debatte. Ist er ein echter Deutscher, doch einer, der nicht hergehört?! Was, wäre er ein eifersüchtiger Türke, ein Schwarzer oder sonst irgendwas. Nun, es gibt in Deutschland viele Gründe, kein Mitgefühl zu zeigen. In dem Fall hatte fast jeder einen anderen.
Bürgermeisterin fährt einen Tag nach dem Mord in Urlaub
Das war die Stimme der Medien und der Leute auf der Straße. Und die Politik? Wie immer reagierte sie spät, kühl und „unter dem Druck des Auslands“. Das gilt besonders für die Bürgermeisterin von Dresden. Eine Stadt, die es beim Trauern zu einer gewissen Meisterschaft gebracht hat, die sich um der echten und wahren Trauer wegen, Jahr für Jahr der Bedrohung durch Rechtsextremismus gegenüber blind stellt. Dresden trauert sauber, mit den weißen Rosen der Unschuld um die Opfer der alliierten Bombenangriffe. Dabei möchten die meisten Dresdner nicht von Menschen gestört werden, die entsetzt auf den Zug tausender Nazis zeigen, die hier das größte Aufmarschgebiet Rechtsextremer in Europa etabliert haben. Aber es ist Sommer und nicht Februar, der Trauermonat und einen Tag nach dem Mord an Marva E. fuhr die Bürgermeisterin in Urlaub. „Deswegen“ konnte sie auch nicht zurück kommen. Bei ihr klang das so: Sie hätte „nicht damit gerechnet, dass die Tat in den arabischen Staaten und anderswo so politisch aufschlägt.“ Wenn es einem da nicht menschlich wie politisch friert. Eine typische Reaktion für die sächsische CDU – und nicht ungewöhnlich für Viele im Osten.
Die Grünen haben aber auch Bürgermeister, natürlich im Westen, so wie in der Stadt Tübingen. Dort gab es einen anderen Fall von Gefühllosigkeit, der freilich kein Menschenleben kostete, aber mit einem totalitären Anspruch auf Wahrheit spielt, der sehr vielen Menschen das Leben gekostet hat. Es handelt sich um die Entscheidung des Bürgermeisters, eine Frau für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen, die sich mit den übelsten Antisemiten und Mördern verbündet, sie erklärt und verteidigt, um die ohne jeden Zweifel bestehenden Probleme und Missstände in Israel anzuprangern. Diese Frau heißt Felicia Langer, ist Anwältin, arbeitet aber heute vor allem als Anklägerin Israels. Am liebsten tut sie dies in Deutschland, wo sie ein dankbares Publikum findet. Nun, anprangern, warum nicht? Das Problem jedoch – sie ist keine Demokratin. Ihre Argumentation, ihre Haltung und ihre Gesinnung erinnert daran, dass sie Mitglied des Zentralkomitees der kommunistischen Partei Israels war. Dabei ist es wirklich egal, ob sie ihre bipolare, von Antiimperialismus und Klassenkampf geprägte Weltsicht als Jüdin oder Nicht-Jüdin vorträgt. Ihr Menschenbild, von Israelfeinden hoch gelobt, vor allem von Tübingens Bürgermeister, entsprach vollkommen dem in der DDR propagierten. Felicia Langer war häufiger und gern gesehener Gast in Honeckers DDR. Einem Land, dass auch antisemitische Terroristen wie Abu Nidal und sein Trupp unterstützte, welche überall auf der Welt Attentate gegen jüdische Einrichtungen mit etlichen Toten verübt hatten.
Dass heute ein grüner Bürgermeister stellvertretend für eine in der Linken weit verbreiteten Attitüde Langer als Symbol des Humanismus preist und der Bundespräsident ihr das Verdienstkreuz verliehen hat, zeugt ebenso von einem eigenartigen Verständnis für Empathie und Geschichte. Genauso wie nach der Ermordung der jungen Frau in Dresden. Ethisch, menschlich und sogar politisch richtig wäre es gewesen, wenn diejenigen, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen und dem Mord an Marva anprangern, auch gegen die Ehrung von Felicia Langer protestiert hätten. Und die Freunde Israels, auch die kritischen, hätten gut und gern auch etwas mehr Bereitschaft zeigen können, die Lage ganz normaler Muslime anzuerkennen und etwas Mitgefühl nach dieser schrecklichen Tat zeigen können. Dass dies leider weitgehend ausgeblieben ist, zeigt wie nah sich Ost und West inzwischen gekommen sind. Oder wie wenig sie mitunter trennt.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).