Die Amadeu Antonio Stiftung beispielsweise wird demnächst 15 Jahre alt. Hermann Freudenberg s. A., einer der Gründer der Stiftung, hätte gesagt, man solle sich nicht so wichtig nehmen. So ein krummes Jubiläum sei keine Erwähnung wert. Also verzichten wir darauf, diesen Anlass zu feiern, erwähnen wollen wir ihn allerdings schon. Das hat einen ganz einfachen Grund: die anderen anstehenden Jahrestage sind eher Gründe ganz schlechte Laune zu bekommen oder gar zu verzweifeln. Der Brandanschlag von Solingen, das Kanzlerwort vom Betroffenentourismus, der auch durch die Pogrome in Rostock durchgesetzte Asylkompromiss, Oskar Lafontaines Fremdarbeiterdebatte – das alles sind Ereignisse, die die allermiesesten Seiten deutscher Politik und Gesellschaft zutage treten ließen. Und sie sind auch noch nicht vorüber. Ob diesmal Sarah Wagenknecht ihre Variante von „Deutsche zuerst“ kundtut oder die Behörden als Konsequenz der NSU-Debakels nur noch mehr von dem wollen, was zum Versagen des Staates geführt hat, oder dass trotz vieler Worte keine Programme gegen Antisemitismus auf den Weg gebracht werden – das alles sind zwar Ereignisse von heute, es werden aber die Jubiläen der Zukunft sein.
Es mag schon sein, dass eine Gesellschaft nur langsam lernt und wer weiß schon, welches die richtige Geschwindigkeit für einen Wandel im Land sein kann. Doch ganz sicher kann sich Deutschland den Unsinn mit Rechtsextremismus und Rassismus nicht auf Dauer leisten. Einerseits – schaut man sich die Geschichte seit dem Fall der Mauer an – ist sehr viel geschehen. Die dumpfen 1990er Jahre im Osten sind weitgehend überwunden und im Westen sind die Ausländer inzwischen zu Migranten geworden. Das, was sich hierzulande Integration nennt, hat sich enorm entwickelt und auch gegen die Nazis im Osten wurde eine Menge unternommen. Hunderte von Projekten entstanden hier, die Zivilgesellschaft lebt nun auch im Osten; und im Westen sind aus den Kindern der früheren Gastarbeiter Angestellte, Journalisten, Lehrer oder Sportler geworden. Das alles ist unzureichend und längst nicht auf dem Niveau angekommen, das es braucht. Aber es ist einiges geschehen, das wollen wir nicht vergessen.
Die Morde des NSU hätten verhindert werden können
Die furchtbaren Rückschläge, die Morde, manches Unheil politischer Entscheidungen mag uns mehr in Erinnerung geblieben sein, als die Ereignisse und Entwicklungen über die wir uns gelegentlich freuen. Das liegt wohl an dem Thema der Arbeit, denn wer sich mit Menschenfeindlichkeit beschäftigen muss, nimmt die Diskriminierungen und Benachteiligungen stärker wahr, als deren Abwesenheit. Das ist keineswegs beschwichtigend gemeint. Nur brauchen wir den realistischen Blick – auch auf die Fortschritte. Wie sonst können wir auch wertschätzen oder aus den eigenen Erfahrungen lernen? Das geht nur, wenn die Arbeit für eine demokratische Kultur auch von uns selbst anerkannt wird. Und trotzdem die Defizite, Missstände und Grausamkeiten im Alltag weiter gesehen und beantwortet werden.
Die Morde des NSU hätten verhindert werden können. Zwischen dem Kartell der Verharmloser und dem Staatsversagen sind Menschen ermordet worden, die heute noch leben könnten, wäre Deutschland weniger dysfunktional im Umgang mit seinen Minderheiten und weniger selbstherrlich im staatlichen Handeln. Als Antwort darauf einen neuen Leitfaden für den Verfassungsschutz zu veröffentlichen und in die Kameras zu halten, wie es kürzlich der Bundesinnenminister und der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz taten, ist beschämend wenig und kein Grund zu Stolz und Freude. Auch aus diesem Grund werden wir auf das Jubiläum der Amadeu Antonio Stiftung dieses Jahr verzichten. Es wird keine Reden oder Blumen geben, aber Anerkennung und Dank an alle, die sich jeden Tag um eine Vernunft und Menschlichkeit bemühen, die vielleicht solche Verbrechen wie die des NSU für die Zukunft verhindert.
Wir danken allen Initiativen, Spendern, Partnern, Kollegen, Unterstützern für ihr Engagement!
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).