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Kommentar Politische und emotionale Folgen für Europa

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Die Tragödie von Norwegen hat uns alle sehr mitgenommen. Wir denken an die Opfer, an ihre Familien und an diejenigen, die das Unglück überlebt haben. In den Bildern vom Unglücksort sahen wir junge Leute, deren Leben aus den Fugen geraten ist. Und ehrlich gesagt, ist das auch mein Lebensgefühl in diesen Tagen. Das Morden in Norwegen löst bei mir ein ähnliches Gefühl von Schreck und Ratlosigkeit aus, wie der 11. September vor zehn Jahren. Das Massaker von Norwegen wird politische und emotionale Folgen haben für ganz Europa. Denn das hier ist ein europäisches Ereignis. Ganz eindeutig. Und es gefährdet Europa. Denn das besteht aus mehr als nur einer Währung oder einem Wirtschaftssystem.

Die globale junge Generation ist längst multikulturell

Die Opfer von Oslo sind junge Leute, sie sind Norweger und Freunde aus anderen Ländern. Ich finde, wir sollten uns mit ihnen beschäftigen und nicht allein mit dem Täter. In den Interviews nach der Tat sahen wir in Gesichter, die nicht verstehen konnten, was geschehen war. Die junge Generation auf der Insel bei Oslo lebt aktiv in einer globalisierten Welt. Mit anderen engagierten Jugendlichen verbinden sie gemeinsame Interessen an Politik und Kultur oder Wertvorstellungen, vielleicht sogar eine vergleichbare soziale Herkunft. Das allein bringt sie zusammen und nicht die ethnische Herkunft oder ihre Religion. Die globale junge Generation ist längst multikulturell. Viele haben Migrationshintergrund oder leben in binationalen Familien. So sieht Europa heute aus. Und wer dagegen mit Bomben und Gewehren antritt ist ein einfach nur ein Rassist.

Europas Stärke ist die Demokratie

Will Europa nicht ein unbedeutender Platz auf der Welt werden, der am Ende nur aus Sehenswürdigkeiten wie Fachwerkhäusern, gotischen Kirchen oder schönen Fjörds besteht, dann muss es die Welt hineinlassen. Ohne die nötige Offenheit kann es keine Entwicklung mehr geben. Ohne Einwanderung können die Herausforderungen nicht mehr beantwortet werden. Europas Stärke ist die Demokratie. Demokratie ohne Offenheit, aber dafür mit einem rassistischen Grundton, kann es nicht geben. Der Täter von Oslo zeigt es uns.

Rechtspopulisten sehen das offene Europa als ihren Feind

Es wird viel über seinen islamfeindlichen Hintergrund diskutiert. Aber stimmt das? Was sind das für Leute, die sich als islamkritisch bezeichnen und wilde Phantasien und Paranoia schüren gegen die Bedrohung durch den Islam? Ich bin davon überzeugt, dass dies nur ein platter rhetorischer Trick ist und eine verdammte Lüge. Die rechtspopulistischen Islamhasser schieben ihre Religionskritik vor, weil der reine Rassismus in Europa nicht mehr konsensfähig ist. Doch wie man an der Wahl der Opfer von Oslo sieht, sind die Feinde keineswegs die Muslime oder der Islam, sondern die Kinder des offenen, multiethnischen Europa. Die ermordeten Jugendlichen in dem sozialdemokratischen Camp waren aller Wahrscheinlichkeit nach eher säkular als religiös, eher kosmopolitisch als fundamentalistisch. Vor denen also fürchtete sich der Täter und nicht vor „dem Islam“. Die Verteidiger der westlichen Demokratie vor den Zumutungen des islamischen Fundamentalismus – so sehen sich die Leute aus dem „islamkritischen Milieu“ – sind in Wahrheit ganz banale, primitive Rassisten, die gegen die moderne Gesellschaft, die Gleichwertigkeit aller Menschen und die Globalisierung kämpfen. In ihren Hasstiraden sehen sie sich als Minderheit in einem überfremdeten, islamisierten Europa. Das ist statistisch und in jeder anderen Hinsicht Unsinn und verdreht die Machverhältnisse und Rassismen in ihr Gegenteil. Wer beispielsweise hysterisch und den Anlässen unangemessen vor „Deutschenfeindlichkeit“ warnt, reitet genau auf dieser Welle.

Gegen den Ungeist des alten weißen Herrenmenschentums

In den ideologischen Grabenkämpfen um Einwanderung und ethnische Pluralität wird viel gelogen und Missbrauch betrieben. Es wird Zeit, dass Europa und gerade Deutschland sich klar bekennt zur einer Zukunft, in der Rassismus keinen Platz hat: aus moralischen UND politischen Gründen. Sätze wie: „Multikulti ist gescheitert!“ die letztes Jahr leider auch von der Kanzlerin zu hören waren, zeugen vom unzeitgemäßen Ungeist des alten weißen Herrenmenschentums. Das neue Europa mitten in der Welt wäre demnach gescheitert. Dieses Europa sollte nicht bekämpft sondern gestaltet werden. Einschließlich der Tatsache, dass Einwanderung notwendig und wünschenswert ist! Daran arbeiten wir Tag für Tag. Der Ungeist der ethnisch wie religiös bereinigten, also ausschließlich weißen Nationen, sollte ein für alle mal verschwinden, denn er enthält die Obszönitäten des Rassismus. Bei Neonazis wie bei „Islamfeinden“. Das sind wir den Opfern von Norwegen schuldig!

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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