Früher kamen die Berichte zur Zeit von weit her und betrachteten langfristig. Gewiss: auch heute läuft im Fernsehen die Sendung „Monitor – Berichte zur Zeit“. Nun, sie ist älter, als das Wort „Monitor“ benutzt wird, um den Inhalt von Computern abzubilden. Und sie ist viel älter als das Wort Monitoring, mit dem ausgedrückt wird, dass etwas beobachtet wird. Diese Zeitvorstellung ist wichtig, weil sie belegt, mit wieviel mehr Informationen wir es heute zu tun haben und wie schnell sie uns zugänglich sind. Die Sendung Monitor lief nicht jede Woche und – man stelle sich nur vor – Zeitungen waren das Aktuellste, das zu kriegen war, um Prozesse und Entwicklungen zu verfolgen. Heute ist eine Stunde schon eine lange Zeit, wenn es im Internet etwas zu beobachten gibt. Manche Leute checken ihre Mails und Facebooknachrichten im Minutentakt. Und was sie da sehen, ist erschreckend. Während frühere Medien ihre Informationen auswählten und der Stammtisch für seriöse Journalisten bestenfalls als kurioses Zitat vom Rande der Wirklichkeit galt, ist es heute genau umgekehrt.
Der Stammtisch mit seinen Parolen, den Sprücheklopfern und nach ein paar Bier auch derberen Ausdünstungen ist heute Gegenstand der Aufregung. Heute kann jeder Threat bei Facebook so ein Stammtisch sein. Und während früher der gebildete Meinungsmacher darum einen Bogen machte, rückt der Geist des Stammtischs nun ins Zentrum der Betrachtung. Die Gesellschaft, die Mitte, hat sich radikalisiert, heißt es. Stimmt nicht! Sie war schon immer so, nur hatten die Stammtische noch nie so viele Zuschauer. Es ist, als ob sich hetzende Männer (und auch Frauen) in einer Kneipe gegenseitig im Hass anstacheln und um deren Tisch herum tausende Neugierige herumstehen und mitfiebern. Und auch mal dazwischen schreien. Manche der Stammtische haben Namen oder stehen den Neurechten nahe und manche entstehen ganz spontan. Eines ist ihnen gemeinsam: der Journalist oder Politiker von früher wusste zwar von diesen Stammtischen, hatte aber in der Regel selten Gelegenheit, ihn wahrzunehmen. Heute sind sie sichtbar für jedermann und ansteckend in ihrem Hass. Denn ist der Damm erst gebrochen, ist das Publikum begeistert, dann gibt es bald kein Halten mehr und das Konkurrenzhetzen wird zum Lieblingssport jedes Tunichtguts.
Die sozialen Netzwerke auf Hatespeech betrachten
Die Amadeu Antonio Stiftung beobachtet die Entwicklung von Hassrede-Clustern. Dabei geht es weniger um Zahlen, sondern mehr um die Art, wie Ungleichwertigkeitsideologien und Menschenfeindlichkeit sich verbreiten, wo sie es tun und welche Gruppierungen sich dabei besonders hervortun. Was dabei herausgekommen ist, nennt sich Monoringbericht. Hier können Menschen sich darüber informieren, was in den sozialen Netzwerken los ist, wer Ziel des Hasses ist, wie die Stammtische in die öffentlichen Debatten eingreifen und sie zu beeinflussen suchen. Das ist wichtig, denn wer will sich schon die Mühe machen, selbst im Müll zu wühlen, um zu wissen, wovon sich der Hass ernährt? Das Ergebnis des Berichts ist beeindruckend, denn vorher ist auf diese simple Idee niemand gekommen, die sozialen Netzwerke auf Hatespeech zu betrachten und die Ergebnisse darzustellen. Nicht einmal der berühmte Verfassungsschutz tut das, zumindest hat die Öffentlichkeit darüber keine Kenntnis. Das ist in Anbetracht der Brisanz des Themas erstaunlich, zumal Bundesamt und die vielen Landesämter dafür weit mehr Mittel und Mitarbeiter haben als alle anderen zusammen, die sich damit beschäftigen.
Etwas Anderes ist auch interessant: der Schrecken, den Mandatsträger und andere Staatsbedienstete gerade bekommen, wenn auch sie Ziel von Hassattacken werden. Wenn sie bisher der Untiefen deutscher Stammtischideologien nicht gewahr waren, können wir ihnen nur sagen: Gewöhnt euch dran und seht genau hin, was in Deutschland los ist. Es muss ja nicht sein, dass wir das Gedicht von Pastor Niemöller erst wieder aus dem Repertoire der Gedenksymbolik rauskramen müssen. Er sagte damals: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, denn ich war ja kein Kommunist.“ Sie erinnern sich sicher. Es endet damit, dass er selbst geholt wird, dann aber niemand mehr da ist, der ihn beschützen könnte. Soweit wird es nicht kommen. Die gegenseitige Solidarität und der nötige Schutz sind schon heute vonnöten.
Deshalb mein Rat für den Juli: Liebe Leser*innen, bitte achten Sie auf sich und auf Ihre Nachbarn in der realen wie digitalen Welt. Und lesen Sie unseren Bericht zur Zeit. Er ist wirklich aufschlussreich.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).