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Kommentar Weder ein DAVOR noch ein DANACH

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Wo der Zusammenhang liegt? Die Antwort ist relativ einfach. Hätte es eine Zivilgesellschaft gegeben, die diesen Namen auch verdient, wäre es weder zum Pogrom noch zur Vernichtung der Juden in Deutschland gekommen. Die Teilung des Landes war Folge von Krieg und Verbrechen, von denen die Deutschen anfangs unerhört profitiert hatten. Denn Raub und Mord brachte Wohlstand, bis sich die Welt wehrte und die Deutschen besiegte. Ohne diese Ereignisse wäre eine Terrorgruppe wie der NSU kaum vorstellbar, die aus dem Osten kam, im Westen mordete und perfekt auf der Klaviatur von Verdrängung und Vorurteil spielen konnte. Nach drei Jahren ist noch immer nicht annähernd geklärt, wann, wie und wer genau da mitgespielt hat. Auch das gehört in die Novemberkategorie.

25 Jahre nach dem Mauerfall inszeniert sich Deutschland gerade so, als hätte es weder ein DAVOR noch ein DANACH gegeben, sondern nur die Erleichterung darüber, dass endlich alles vorbei ist. Doch es ist nicht vorbei. Nicht solange Menschen von Nazis umgebracht werden, nicht solange Flüchtlinge belästigt und verprügelt werden und nicht solange die Verbrechen des NSU und das Versagen des Staates restlos aufgeklärt sind. Damit das geschieht, brauchen wir eine Zivilgesellschaft, die wirklich eine ist und Aufklärung ebenso will wie eine Gesellschaft von Gleichwertigen. Sie muss sich trauen. Das ist heute nicht furchtbar gefährlich, bedeutet aber sich mit den Seiten des Lebens in Deutschland zu beschäftigen, die man nicht einfach als helle Ballons am Abendhimmel Berlins fahren lassen kann. Es bedeutet sich gegen Rassismus zu äußern, gerade wenn behauptet wird, dass es den eigentlich nicht gebe.

Mauerfall, Pogromnacht und NSU – das ist der deutsche November

Das gleiche gilt für Antisemitismus, der ja nach dem Selbstverständnis vieler Deutscher angeblich mit dem Holocaust verschwunden ist. Dass dem nicht so ist, räumt sogar die große Koalition ein, denn sie wird die Programme gegen Rechtsextremismus fortsetzen. Allerdings nur mit etwas mehr als einem Appel und einem Ei. Das Bundesjugendministerium braucht für die gemeinsame Aufgabe von Staat und Gesellschaft, mit den Folgen des deutschen Novembers umzugehen, deutlich mehr als die bisher eingeplanten Mittel, um hier einigermaßen erfolgreich zu sein. Die Koalition muss in den Haushaltsverhandlungen endlich die Chance nutzen und den Koalitionsvertrag umsetzen, der eine bedarfsgerechte Aufstockung des Engagements gegen Rechtsextremismus in Aussicht gestellt hat. Für ein flächendeckendes Netz an Präventionsarbeit und Beratungsstellen, gerade auch im Westen, braucht es ein mit 70 Millionen ausgestattetes Bundesprogramm. Es kann nicht sein, dass schon wieder Forderungen nach mehr Unterstützung leer im Raum verhallen, nachdem sich in Köln fast 5.000 gewaltbereite Nazis und Hools bei dem rechtsextremen Aufmarsch der „Hooligans gegen Salafisten“ Seite an Seite vereinten. Wir wissen doch schon seit Jahren, dass die rechtsextreme Szene neben der Musik vor allem den Fußball nutzt, um junge Menschen für die rechte Szene zu vereinnahmen.

Mauerfall, Pogromnacht und NSU – das ist der deutsche November. Wir brauchen Sie, eine wache Zivilgesellschaft, die weder den braunen Schmutz noch die Niederungen der Ebene von Arbeit um politische Entscheidungen, um Verwaltungshandeln und die Umsetzung von Projekten scheut. Damit es nicht zu weiteren Novemberdaten kommt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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