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Kommentar Weshalb gibt es noch immer einen so großen Hass auf Flüchtlinge?

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Foto: © Mut gegen rechte Gewalt

Erinnern wir uns an den Satz von Willy Brandt: „Nun wächst zusammen, was zusammengehört“, mit dem er die deutsche Vereinigung 1990 kommentierte. Er hatte dabei die Idee einer Nation im Sinn, wie sie über die letzten 200 Jahre üblich war: Ein Territorium, ein Volk, eine Sprache, eine Geschichte und Werte, die daraus hervorgegangen sind. Dazu kommen noch eine Brise Schicksal, etwas Kultur und ein paar Traditionen, das wird ineinander gerührt und schon haben wir die Nation. Die war erst geteilt, dann wieder vereinigt, weil sie ja im Grunde eine Einheit bildet. Was ihm damals nicht präsent war, ist die Tatsache, dass die Bundesrepublik, also der Westen, im praktischen Leben dieses Nationenbild längst hinter sich gelassen hatte. Millionen Einwanderer waren zu Einheimischen geworden – auch wenn diese Normalität auch damals hart umkämpft war und durchaus nicht von allen anerkannt wurde.

Die Vereinigung zeigte dann aber einen Bruch. Denn mit ihr blubberte der alte Nationenbegriff an die Oberfläche, in den die Einwanderer ein weiteres Mal nicht zu passen schienen. „Wir alle wachsen zusammen“, wäre ein besserer Slogan gewesen, denn er hätte nicht vorausgesetzt, dass es ein naturgegebenes WIR gibt, das zusammengehört. Und ein anderes, das nicht dazugehört. Das nationale WIR einfach so vorauszusetzen, ohne dabei auf die Vergangenheit dieser Nation zu schauen, noch die Zukunft im Blick zu haben, gehörte nicht zu den brillantesten Sätzen Willy Brandts. Sie hat Euphorie über den Moment ausgedrückt, als die Mauer fiel, jedoch nicht Weisheit. Denn nur wenige Augenblicke später, als die ersten Asylbewerberheime brannten, zeigte sich die hässliche Fratze vom Nationalen.

Womöglich haben sich Politik und Gesellschaft doch verändert

Was zusammengehört – und vor allem was nicht – zeigte sich in den Jahren nach der Vereinigung besonders heftig. Mit den Angriffen auf Asylbewerber und Migranten fing es an, später traf es auch jene, die sich gegen Rechtsextremismus wehrten und schließlich war Deutschland wieder geteilt. Im Westen eine Gesellschaft mit Migration, im Osten eine ohne. Nein, Deutschland ist noch lange nicht vereint! Die zweite Wende hat gerade erst begonnen.

Nun kommen wieder Flüchtlinge nach Deutschland. Im Gegensatz zu den 1990ern in der Asyldebatte ist der Ton in der Politik heute besonnen und die Menschen sind gegenüber Geflüchteten hilfsbereit. Weshalb das so ist? Wer weiß, womöglich haben sich Politik und Gesellschaft doch verändert. Vielleicht ist klar geworden, dass der Nationenbegriff im 21. Jahrhundert sehr viel mehr bedeutet als in den Jahrhunderten davor, weil mehr Menschen, mehr Gruppen, mehr Minderheiten, mehr Kulturen, mehr Sprachen, mehr Erinnerungen dazu gehören können als das, was früher nur Volk und Vaterland war. Und weshalb gibt es dann noch immer einen so großen Hass auf Flüchtlinge? Weil einige im Westen und leider viele im Osten noch immer denken, wenn sie nur laut genug schreien, trampeln und randalieren, könnte ihre Welt weiter weiß und national im alten Sinne bleiben.

Nichts wächst von allein zusammen

Im Osten zeigt sich jetzt, dass die Abschreckung von Migranten nicht mehr funktioniert. Denn Flüchtlinge suchen sich nicht aus, wo sie untergebracht werden. Jetzt muss die Lokalpolitik gegen Rassismus vorgehen und die Unterkünfte schützen. Früher hieß es oft, die Nazis – das seien „unsere Jungs“, vereinzelt und verwirrt. Die Zeiten sind jetzt auch vorbei. Jetzt aber kommt’s drauf an. Jetzt sind Rassismus und Rechtsextremismus nicht mehr eine zu negierende Größe, die von irgendwo kommt und wieder verschwindet. Nun muss sich zeigen, ob Deutschland wirklich zusammenwächst als eine moderne offene Gesellschaft – als ein Ort in der Welt des neuen Jahrtausends. Oder ob es festklebt am provinziellen Nationalismus aus düsteren Zeiten.

Wenn wir ersteres wollen, ist die bittere Erkenntnis, dass Brandt auch in einem anderen Punkt Unrecht hatte: Nichts wächst von allein zusammen, weder das Schöne noch das Hässliche. Nur, dass die Offenheit einer Gesellschaft meist noch viel mehr Arbeit macht, als die alten Muster. 

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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