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Kommentar Wie berichten über Verschwörungsdemonstrationen?

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Wer die Existenz des Coronavirus negiert, hält keinen Abstand, gefährdet aber damit leider Andere. Unangemeldete Demo am 09.05.2020 in Berlin am Alexanderplatz. (Quelle: dpa)

Kein Wunder, dass sich aktuell Journalist*innen in ganz Deutschland auf die ebenfalls in ganz Deutschland stattfindenden, vorgeblichen Anti-Coronavirus-Schutzmaßnahmen-Demonstrationen stürzen. Das Thema ist neu, passt zu den Interessen der Zeit, in der es keine Nachrichten mehr ohne Coronavirus-Bezug zu geben scheint. Die Proteste, oft zumindest nominell „im Namen des Grundgesetzes“ initiiert, haben einen interessanten Kern: In einer von Unsicherheit geprägten Situation, in der Politiker*innen Beratung durch Wissenschaftler*innen nötig haben, die aber auch noch herausfinden müssen, welche Handlungen welche Folgen haben, ist die Frage berechtigt, wie Interessen abgewogen werden, wie Entscheidungen getroffen werden, ob es Alternativen gibt. Dies erscheint oft umso drängender, als alle in der Gesellschaft sich von Pandemieschutzmaßnahmen betroffen fühlen – und latent auch irgendwie ungerecht behandelt, ob als Arbeitnehmer*innen oder Arbeitgeber*innen, geforderte Eltern oder einsame Singles, unfreiwillig Arbeitslose wie überbeanspruchte Systemrelevante, als Virenschleudern wahrgenommene Kinder oder zu schützende Ältere, die aber nicht zu Hause eingesperrt sein wollen.

In dieser herausfordernden Situation ist von allen gefordert, verantwortungsvoll zu handeln – doch je länger der Zustand dauert, desto weniger haben Menschen daran Spaß. Rechtsextreme Kreise versuchen, die Unvernunft zur Demokratiefeindlichkeit zu befeuern und sie mit Rassismus und Antisemitismus anzureichern, also ihr Kerngeschäft. Geltungsbewusste Menschen, so scheint es aktuell, steigen derweil in die Verschwörungsbranche ein: mit Prominenz oder ohne, auf alle Fälle aber mit YouTube-Kanal und Telegram-Gruppe. Sie holen sich die Aufmerksamkeit, die sie in einer Pandemie als veganer Koch, Sänger, Ex-Nachrichtensprecherin, Arzt-aber-nicht-Virologe oder Rechtsanwalt nicht bekommen, zurück – im kruden Wettbewerb, wer die verschwörerischsten Geheimverschwörungen verbreiten kann (erste Wochen) und wer die meisten Menschen auf die Straße mobilisieren kann (jetzt).

Und die Journalist*innen? Die lieben auch die Geschichten von den Underdogs, den Kämpfer*innen gegen „das System“, das Neue, Laute, Wilde, Nicht-ganz-Vernünftige. Bei den aktuellen Demonstrationen kommt dazu ein – zum Teil auch arroganter – Unterhaltungsfaktor à la „Guckt, wie skurril sie sind! Wer da zusammenkommt! Sie tanzen und machen Yoga und heften sich Davidsterne als Impfgegner-Sterne an!“ Das ist so verständlich (Entlastungsfunktion) wie problematisch, wenn dazu die Einordnung fehlt, warum etwa „Impfgegner“-Sterne kein PR-Coup, sondern eine antisemitische Holocaustrelativierung sind.

Wunsch zur Berichterstattung: Nicht einfach abbilden und damit reproduzieren. Nichts wiedergeben, ohne es einzuordnen. 

Dies führt zur nächsten berichterstatterischen Problematik: Die Demonstrationen finden statt, bieten also einen Berichterstattungsgrund, und sie sind unübersichtlich. Es sind offenkundig Menschen mit verschiedensten Hintergründen, auch wenn zunehmend verschwörungsideologische Antisemit*innen und Rechtsextreme dabei sind, zu denen die Abgrenzung der “Anderen” fehlt. Deshalb tun sich viele Journalist*innen zu Recht mit der Benennung der Proteste schwer. Sind das Besorgte, Kritiker*innen, Verschwörungsideolog*innen, Rechtsextreme? Hinweise auf die Unsicherheiten der Berichterstattenden sind Formulierungen wie „der umstrittene Redner”, weil etwa der Antisemitismus so verklausuliert ist, dass er schwer fassbar erscheint.

Wunsch zur Berichterstattung: Wenn Unsicherheiten bestehen, warum nicht die Kriterien der Einordnung beschreiben?

Wer der Meinung ist, da sind Rechtsextreme auf der Demonstration, der wird in der Regel Kriterien für diese Einschätzung haben. Sind es Mitglieder rechtsextremer Parteien? Tragen Sie Bekleidung mit rechtsextremer Symbolik? Haben Sie Schilder, die antisemitische Verschwörungserzählungen verbreiten? Dann kann auch der oder die Leser*in die Einordnung vornehmen. Hat ein Teilnehmer dagegen eine „Querdenkerbommel“ um den Hals hängen, die zusammengeknüllte Aluminiumkugel, die sich Schwindelarzt Bodo Schiffmann als Erkennungszeichen seiner Anhänger*innen ausgedacht hat, dann sagt die vor allem, dass hier also ein „Widerstand 2020“-Fan steht, der offenbar geneigt ist, Menschen aus dem Internet mehr zu trauen als Regierung, Wissenschaft und Presse, mehr aber (noch) nicht.

Und weil Worte Realität schaffen: Redaktionen, bitte überprüfen Sie Ihre Begriffe. 

„Verschwörungstheorien“ ist ein etablierter Begriff, aber das „Theorien“ beinhaltet, dass sie sich durch Fakten und Beweise widerlegen ließen – genau das ist bei Anhänger*innen von „Es gibt eine geheime Weltverschwörung“ oder „5G-Masten manipulieren unsere Gehirne“ eher nicht der Fall. Wir haben es also mit Verschwörungsideologien zu tun (bei geschlossenem Weltbild) oder Verschwörungserzählungen oder Verschwörungsmythen (bei dem Glauben an einzelne Geschichten).

Bitte nicht von provokativer Pressefeindlichkeit triggern lassen.

Und dann gibt es noch die Momente, in denen die Demonstrationen und die Berichterstattung dazu an „Pegida“ erinnern: Also den Moment Ende 2014, Anfang 2015, als Flüchtlingsfeinde in Dresden so laut „Lügenpresse“ schrien, bis sie alle mediale Aufmerksamkeit erhielten,nicht zuletzt von Medien, die – schlimmstenfalls durch unkritische Berichterstattung – belegen wollten, dass sie gar keine „Lügenpresse“ sind. Bei den „Anti-Coronavirus-Maßnahmen-Demonstrationen“ geht die Eskalation schneller: Hier wurden schon bei ersten Treffen Pressevertreter*innen angegriffen, was absurderweise zu mehr Presse führt, zu mehr Sendezeit, zu mehr Berichterstattung, und damit in den Augen der Verursachenden mutmaßlich zu mehr Erfolg.

Soll man denn jetzt berichten oder nicht?

Jetzt wiederum – auch das kennen wir schon aus „Pegida“-Zeiten – fühlen sich Menschen und speziell auch Journalist*innen zunehmend unbehaglich damit, Verschwörungserzählungen zu besten Sendezeiten zu reproduzieren, gewaltverherrlichenden Verschwörungsverbreitern Personality-Artikel zu widmen und damit deren Spiel mitzuspielen: „Vielleicht sollte man einfach nicht mehr berichten! Keine Sendezeit, dann verschwinden sie.“

Das wiederum funktioniert nach meiner Erfahrung in diesem politischen Bereich nicht. Die Verschwörungserzählungen, vor allem mit prominenter Promotion, erreichen über Soziale Netzwerke Hunderttausende, und sollten nicht unerwähnt bleiben – denn das verleiht ihnen Legitimität.

Es braucht Gegenerzählungen, Erklärungen, Einordnungen, Argumente. 

Und genau das können Wissenschaft, Expert*innen, Journalist*innen leisten. Ihre Zielgruppe sollte dabei die noch viel größere Menge an Menschen in diesem Land, die unsicher, aber ansprechbar sind. Also Menschen, die ein Unwohlsein angesichts der Bewegung verspüren – und sei es zunächst angesichts der Unvernunft, sich nach Kontaktbeschränkungen zu Zehntausenden zu versammeln und eine zweite Welle zu riskieren und im zweiten Schritt durch demokratiefeindliche Plakate oder fehlende Abgrenzungen zu Rechtsextremen oder Antisemit*innen. Weil Verschwörungserzählungen sehr hartnäckig sind und aktuell in sehr viele Freundes- und Bekanntenkreise gespült werden, ist die Bestärkung aller Demokrat*innen nötig, um sachlich widersprechen zu können: Wie lassen sich Quellen einordnen? Welche Bedürfnisse erfüllen die geteilten Verschwörungserzählungen – und wie können die befriedigt werden, ohne in antidemokratische Agitation zu verfallen? Diese Ansätze können Journalist*innen verfolgen, um über Proteste zu berichten, ohne nur deren Erzählungen und Provokationen zu vervielfältigen. Das ist bisweilen anstrengend. Aber es ist sehr notwendig.

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