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Kommentar Wie die AfD sexualisierte Gewalt für Hetze instrumentalisiert

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(Quelle: picture alliance / imageBROKER | Arnulf Hettrich)

Was wir alle schon wissen, hat sich zuletzt nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen einmal mehr bestätigt: Rechtsextreme, menschenfeindliche und antidemokratische Akteur*innen werden immer beliebter und erringen Macht auf Bundes-, Landes-, und kommunaler Ebene. Dass wir etwas dagegen tun müssen, liegt auf der Hand. Denn immer mehr Menschen werden öffentlich diskriminiert, angefeindet und attackiert. Verbale und körperliche Angriffe auf Jüdinnen*Juden, migrantisch gelesene Menschen, Menschen mit Behinderungen und Queers sind an der Tagesordnung. Sicher spielen auch Kommunikation und Rhetorik extrem rechter Akteur*innen eine Rolle für den Anstieg von Gewalt. AfD-Politiker*innen und ihre Unterstützer*innen hetzen öffentlich in Interviews, auf Social Media und bei politischen Veranstaltungen gegen Gruppierungen, die vermeintlich ihre völkische Ideologie bedrohen. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass Hemmschwellen bei Anhänger*innen sinken und parallel die Gewaltbereitschaft steigt.

Verharmloste Gewalt

Unterschiedliche Gewaltformen werden durch die Rhetorik der extremen Rechten verharmlost und legitimiert. Offen wird über die Abschaffung angeblich „linker Ideologien“ und des „Gender-Wahnsinns“ gesprochen. Ein Beispiel dafür ist die Forderung der AfD nach der Abschaffung von Inklusion an Schulen (MDR, 03.09.2023), die das Gewaltrisiko für Menschen mit Behinderungen deutlich erhöhen würde. Regelmäßig sprechen sich rechtsextreme Parteien auch für die Einstellung des Kampfs gegen Rechtsextremismus aus (Deutsche Welle, 28.08.2024). Würde das in die Tat umgesetzt, hätte es verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft und insbesondere auf Projekte, die für Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Spezialisierte Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend tun genau das. Seit Jahrzehnten arbeiten sie unermüdlich für eine emanzipatorische, gewaltfreie und inklusive Gesellschaft. Sie stehen Betroffenen sexualisierter Gewalt mit einem breiten Beratungs- und Unterstützungsangebot zur Seite. Dafür braucht es eine gesicherte Finanzierung und eine flächendeckende Versorgung mit spezialisierten Fachberatungsstellen. Eine extrem rechte Politik bedroht sowohl die Finanzierung wie auch die Versorgung und es ist mit Rückschritten zu rechnen. In der breiten Öffentlichkeit kommt das jedoch häufig anders an. Extrem rechte Akteur*innen instrumentalisieren das Thema „sexualisierte Gewalt“ und gaukeln vor, sich für mehr Gewaltschutz einzusetzen, um rassistische und menschenfeindliche Ideologie zu propagieren.

Dass es sich dabei um leere Worthülsen handelt, ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Zuletzt hat eine Umfrage von infratest dimap unter Wähler*innen in Sachsen ergeben, dass 30 Prozent der Befragten die AfD bei der Kriminalitätsbekämpfung für kompetent halten (tagesschau, 01.09.2024). Die Rhetorik der extremen Rechten zeigt bei Wähler*innen also Wirkung. Bei genauer Betrachtung werden jedoch andere Motive deutlich. Sexualisierte Gewalt wird in einer perfiden Art und Weise instrumentalisiert, um Ängste und Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren. Beispiele hierfür gibt es zahlreich. In einer Pressemitteilung der AfD-Fraktion Sachsen heißt es „Fast 70 Prozent aller Täter, die unsere Kinder und Jugendlichen im Schwimmbad sexuell belästigt haben, sind Männer aus islamischen Ländern“ (MDR, 06.09.2019).

Auch von der Bundestagsfraktion wird das Thema instrumentalisiert. So sagte Alice Weidel, AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, während einer Rede, dass „Ausländerkriminalität und Ausländergewalt explodieren […] mehr Messerangriffe, mehr Morde, mehr Vergewaltigungen“ (ZDF, 29.06.2024).

Genauso ist der Instagram-Account der AfD von ähnlichen Schlagzeilen durchzogen. „12-Jährige von Syrer im Freibad vergewaltigt. Wer nicht abschiebt, macht sich mitschuldig.“ vom 05.09.2024 und „5-Fach gesuchter Afghane entblößt sich vor Kindern. Frauen und Mädchen schützen, Abschiebungen durchsetzen“ vom 13.08.2024 sind nur wenige Beispiele. Alles natürlich unter dem Deckmantel von „Sicherheit“. Betroffene sexualisierter Gewalt bleiben jedoch unbeachtet und kommen nicht zu Wort. Zusätzlich wird die wichtige Präventions- und Interventionsarbeit sowie Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gehemmt. In Wahrheit geht es nämlich nicht um den Schutz vor sexualisierter Gewalt, sondern darum, eine patriarchale, antidemokratische und menschenfeindliche Ideologie zu legitimieren.

Was ist sexualisierte Gewalt?

Mit sexualisierter Gewalt sind jegliche sexuellen Handlungen gemeint, die an Menschen gegen ihren Willen vorgenommen werden und solchen, bei denen aufgrund von körperlichen, seelischen, geistigen und/oder sprachlichen Fähigkeiten keine Zustimmung erfolgen kann. Sexualisierte Gewalt geht häufig mit anderen Formen wie psychischer und physischer Gewalt einher. Insbesondere bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wird ein Machtgefälle deutlich. Letzteres wird durch patriarchale und antifeministische Strukturen gestärkt. Täter*innen gehen strategisch vor und nutzen Macht- und Autoritätspositionen aus, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Sexualisierte Gewalt ist also immer eine Form von Machtmissbrauch (BKSF, 2024). Extrem rechte Akteur*innen fördern patriarchale Machtstrukturen, die sie als Ursache für sexualisierte Gewalt ignorieren und in der Kommunikation nicht thematisieren.

Sämtliche Artikel auf Websites und anderen Kommunikationskanälen extrem rechter Akteur*innen verdeutlichen, dass eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Ursachen von sexualisierter Gewalt und den Unterstützungsbedarfen von Betroffenen nicht stattfindet. Auch Medien der extrem rechten Szene befeuern Hetze, Diskriminierung und Gewalt. Das belegen Schlagzeilen der Online-Ausgabe des rechtsextremen Magazins Compact wie „Ausländergewalt“ und „Jugendgewalt: deutsche Opfer – fremde Täter“. Solche Artikel sind häufig schlecht recherchiert. Neben einem Verweis auf BILD wird ausschließlich auf eigene Reportagen verlinkt, wodurch der Artikel einseitig bleibt. Auch die angeführte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts (BKA) wird aus dem Kontext gerissen und für Pauschalisierungen genutzt. Die Redaktion spricht z.B. von der steigenden Zahl „deutscher Opfer“.

Eine Differenzierung nach Hintergründen wird von der PKS allerdings nicht vorgenommen, da sie bei der Strafeinordnung des BKA keine Rolle spielt. Die Statistik erfasst alle in Deutschland lebenden Menschen, die von Gewalt betroffen sind. Auch verwendete Zitate belegen die rassistische Rhetorik indem z.B. „südländisches Aussehen“ mit gewalttätigen Ausländern gleichgesetzt wird. Letztlich wird der Artikel auch dafür instrumentalisiert, um eine von dem Medium veröffentlichte Broschüre zu bewerben. Häufig werden Quellen auf diese Art und Weise verfälscht und für eine extrem rechte Ideologie uminterpretiert. Falschinformationen werden verbreitet (correctiv, 07.06.2024). „Beweise“ stützen sich auf Meinungen Einzelner und können oftmals nicht durch repräsentative Studien und Umfragen belegt werden, obwohl durchaus konkrete Zahlen und Ergebnisse aus seriösen Quellen abrufbar sind. Eine reflektierte Berichterstattung jedoch erfordert die dezidierte Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, politischen Strukturen, juristischen Rahmenbedingungen und dem bestehenden Beratungs- und Unterstützungsangebot.

Rechtsextreme Narrative

In der Fachberatung begegnen uns drei Narrative besonders häufig, anhand derer deutlich wird, wie sexualisierte Gewalt von extrem rechten Akteur*innen instrumentalisiert wird. Am häufigsten genutzt wird der Mythos des „übergriffigen Fremden“, der koloniale Stereotype bedient (Amadeu Antonio Stiftung, 2016). Insbesondere Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen sind im Visier und werden für Gewalttaten verantwortlich gemacht. Offenbar kommen sie nur als Täter infrage, womit Betroffene sexualisierter Gewalt, die migrantisch gelesen werden, scheinbar kein Recht auf Gewaltschutz haben. Schon 2016 nach den Gewalttaten in Köln an Silvester verlautete Björn Höcke, Vorsitzender der vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremen AfD-Fraktion in Thüringen, dass die Gefahr sexualisierter Gewalt „gerade für blonde Frauen“ immer größer wird. Auch Frauke Petry, damalige AfD-Vorstandssprecherin, machte die Migrationspolitik von Angela Merkel verantwortlich. Auf Facebook schrieb sie „Ist Ihnen nach der Welle an Straftaten und sexuellen Übergriffen Deutschland nun ‚weltoffen und bunt‘ genug, Frau Merkel?“ (Spiegel, 08.01.2016).

Das auch migrantisch gelesene Menschen in Köln von sexualisierter Gewalt betroffen waren, wird nicht thematisiert. Selektiv werden solche Lebensrealitäten ausgeblendet. In Fallbeispiele der AfD und anderer extrem rechter Akteur*innen sind fast ausschließlich weiße Frauen sowie Kinder und Jugendliche von sexualisierter Gewalt betroffen, die von Männern mit Migrationshintergrund ausgeht. Tatsächlich sind insbesondere Kinder und Jugendliche mit Migrations- und Fluchterfahrungen von physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt betroffen, heißt es im „Psychosozialen Versorgungsbericht“ der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF) von 2024. 85,7 Prozent der im Bericht Befragten geben an, diverse Formen von Gewalt erlebt zu haben. Davon sind etwa fünf Prozent von sexualisierter Gewalt betroffen. Nachgewiesene und wissenschaftlich belegte Fakten wie diese werden einfach ignoriert, denn geflüchtete Menschen haben vermeintlich keine Empathie verdient. Alles wird darangesetzt, den Mythos des „übergriffigen Fremden“ als alleinigen Tätertypen zu etablieren und die Politik der extremen Rechten aufrechtzuerhalten.

Je mehr Patriarchat, desto mehr sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt gegen andere Gruppen und Menschen wie zum Beispiel POC oder Queers und diverser anderer Communitys wird relativiert. Gewalt, die von extrem rechten Akteur*innen ausgeht, wird ebenfalls nicht thematisiert. Tatsächlich findet in allen gesellschaftlichen Bereichen sexualisierte Gewalt statt.

Auffällig im Diskurs der extremen Rechten ist allerdings, dass der Tatkontext „Familie“ keinerlei Beachtung findet, obwohl die Familie statistisch das häufigste Tatumfeld darstellt (Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung Sexuellen Kindesmissbrauchs, 2021). Die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau wird von der extremen Rechten als gesellschaftliches Ideal und Fundament der sozialen Ordnung gesehen. Ein konservatives, heteronormatives Familienbild und überholte Geschlechterrollen werden beworben. Andere Lebensformen werden diskriminiert und antifeministische und ungleiche Strukturen gefördert. Doch je mehr Patriarchat, desto mehr sexualisierte Gewalt (UBSKM, 2024). Ein Bewusstsein dafür scheint bei extrem rechten Akteur*innen scheinbar nicht vorhanden und auch die Stärkung von Kinderrechten findet sich auf keiner Agenda. Zufall? Sicher nicht! Das zeigt einmal mehr, dass dem Schutz vor sexualisierter Gewalt insbesondere von Kindern und Jugendlichen abseits von rassistischer Propaganda keine große Bedeutung eingeräumt wird.

Auch Prävention mithilfe von Sexualbildung und -pädagogik spielt im Diskurs zu sexualisierter Gewalt der extremen Rechten keine Rolle. Jedenfalls nicht im Sinne von Gewaltschutz für Kinder und Jugendliche. In Wahlprogrammen, Aktionen und Kampagnen wird stattdessen die Abschaffung von Sexualbildung und –pädagogik an Schulen gefordert und häufig ist von „Frühsexualisierung“ die Rede (correctiv, 25.05.2017). Eine adäquate und für den Kinderschutz essenzielle Sexualpädagogik wird infrage gestellt, weil diese aus Sicht der extremen Rechten die Kinder „sexualisiert“ und die von ihnen propagierte traditionelle Familie vermeintlich angreift. Eine Erziehung zur Selbstbestimmung von Kindern würde dem von der extremen Rechten geforderten autoritären Führungsprinzip entgegenstehen. Ein demokratisches Miteinander steht weniger im Vordergrund als eine Unterordnung von Frauen und Kindern. Im Gegensatz dazu betont Prävention die Gleichwertigkeit der Rechte und Bedürfnisse von Kindern gegenüber Erwachsenen.

Um sexualisierte Gewalt erfolgreich zu bekämpfen, braucht es dringend Sexualbildung. Kinder und Jugendliche müssen gestärkt werden. Darum kümmern sich deutschlandweit viele spezialisierte Fachberatungsstellen, die ein breites sexualpädagogisches Angebot anbieten.

Kinderschutz von der extremen Rechten nur vorgeschoben. Eine wahrhafte Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt würde Prävention mithilfe von Sexualbildung und –pädagogik immer mitdenken. Der Schutz vor sexualisierter Gewalt ist ein hilfreiches rhetorisches Mittel für Propaganda der AfD und anderer extrem rechter Parteien.


Roland Ludwig arbeitet bei der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) als Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die BKSF ist die Informations- und Servicestelle für die spezialisierte Fachberatung deutschlandweit und vertritt deren Interessen in Politik und Öffentlichkeit. Weitere Informationen zum Auftrag und der Arbeit sind auf der Website unter www.bundeskoordinierung.de verfügbar.  

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